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Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ist der Neuzugang auf der Liste der "Feinde der Pressefreiheit" von Reporter ohne Grenzen.

Foto: Reuters

Die Vorwürfe, die die Organisation Reporter ohne Grenzen gegen den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán erhebt, sind seit längerem bekannt. Trotzdem ist es legitim, sie gebündelt aufzuzählen und ihren Veranlasser zum "Feind der Pressefreiheit" zu erklären.

Der heute 58-jährige Orbán regiert seit 2010 immer schrankenloser über sein Land in der Mitte der EU. Seine politische Laufbahn begann er als Studentenführer, der gegen die spätkommunistische Autokratie rebellierte. Die Pressefreiheit war eine selbstverständliche und zentrale Forderung der damaligen demokratischen Opposition, der sich die von Orbán gegründete Fidesz-Bewegung anschloss.

Doch schon in seiner ersten Regierungszeit von 1998 bis 2002 sicherte sich Orbán die Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Schon damals wurden MTV (Fernsehen) und MR (Radio) zu Propagandawerkzeugen umfunktioniert. Orbáns Leute begründeten dies damals damit, dass sie ein "Gleichgewicht" zu den "von Linken und Liberalen dominierten" Medien hätten schaffen müssen.

Nach der Wahlniederlage 2002 bauten Orbán und sein ehemaliger Schulfreund Lajos Simicska, das kreative Hirn hinter der Geldbeschaffung des Orbán-Kreises, zielstrebig ein eigenes Medien-Imperium auf. Das Ziel war die Rückeroberung der Macht.

Gewaltige Echokammer

Die Wahl 2010 bescherte Orbáns Fidesz-Bewegung-Partei sogar eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Seitdem verfolgt Orbán zwei Strategien, die sich ineinander verschränken: Zum einen wird das eigene Medien-Imperium, ergänzt um die erneut unter Totalkontrolle gebrachten Öffentlich-Rechtlichen, zur gewaltigen Echokammer ausgebaut, die die Botschaften der Macht transportiert und verstärkt; zum anderen werden unabhängige Medien eliminiert oder marginalisiert.

Die Strategien sind ineinander verschränkt, wenn etwa Fidesz-Bewegung-Oligarchen die Mehrheit der zuvor in privatem oder ausländischem Besitz befindlichen Medien aufkaufen und der Fidesz-Echokammer hinzufügen. Oder wenn, wie 2015 geschehen, das größte unabhängige Nachrichtenportal "origo" vom Eigentümer Deutsche Telekom an Fidesz-Bewegung-Leute verkauft wird, weil die Regierung mit einer Breitbandlizenz für die Telekom lockte. Auch "origo" ist seitdem Teil der Echokammer.

Doch das mächtigste Instrument zur Marginalisierung der verbliebenen unabhängigen – meist internetbasierten – Medien ist die Manipulation des Anzeigen- und Werbemarktes. Die Echokammer-Medien kommen in den Genuss von mehr als 80 Prozent des Werbevolumens staatlicher Stellen und staatsnaher Unternehmen. Medienwissenschafter wie Gábor Polyák vom Mérték-Institut gehen davon aus, dass die meisten Fidesz-Bewegung-abhängigen Medien ohne diese Geldspritzen nicht überlebensfähig sind.

Verzerrter Medien-Werbemarkt

Die verbliebenen unabhängigen Medien leiden wiederum darunter, dass potente Großunternehmen bei ihnen kaum inserieren, weil sie großen Wert auf den Komfort ungetrübter Beziehungen zum Orbán-Regime legen. "Der Medien-Werbemarkt ist völlig verzerrt", befindet Polyák. Damit verstößt Ungarn aber auch auf eklatante Weise gegen die EU-Verträge, die funktionierende Märkte vorsehen. Oppositionelle Medienpolitiker und unabhängige Experten können schlicht nicht verstehen, warum die EU-Kommission dies seit Jahren untätig hinnimmt. Bereits 2016 hatten Mérték, das – inzwischen um seine Sendelizenz gebrachte – Klubrádió und der grüne Europaabgeordnete Benedek Jávor eine diesbezügliche Klage bei der Kommission eingereicht.

Orbáns Ziel ist klar: Unabhängige Stimmen sind zu marginalisieren, und dank der Marktverzerrung braucht er nicht einmal die Polizei dazu. Als autoritärer Populist lebt er von der Hegemonie seiner Echokammer, die permanent Polarisierung und Verhetzung produziert. Ein freier und offener Diskurs könnte diese Hegemonie brechen – und damit Orbán die Macht kosten. Das will er um jeden Preis verhindern. (Gregor Mayer, 5.7.2021)