Roberto Mancini und Luis Enrique wollen ins Finale.

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Verteidiger Jordi Alba (rechts) und Stürmer Alvaro Morata: So feiert man einen Viertelfinalsieg über die Schweiz.

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Lorenzo Insigne vom SSC Napoli ist eines dieser ansehenswerten Gesichter des neuen italienischen Offensivgeists.

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Wäre ein Fußballspiel nicht bloß eine Ball-, sondern eine Balzveranstaltung – was es ja fraglos ist -, so darf man sich für Dienstagabend ein Aufeinanderprallen zweier veritabler Zwölfender erwarten. Oder, besser, einen Tanz gamsiger Großtrappen-Hähne, welche die Kunst beherrschen, sich im sportlichen Wettkampf umzustülpen wie ein Handschuh. Im besorgniserregend hochinzidenten Wembley tanzt im ersten Halbfinale am Dienstag ab 21 Uhr ein vierfachen Welt- mit einem dreifachen Europameister.

Sowohl Italien als auch Spanien haben sich einen neuen Anzug zugelegt. In der Sprache der Birdwatcher hieße es, sie haben sich gemausert. Italien ist offensiv. Spanien effizient. Gute Voraussetzungen, es krachen zu lassen.

Trainerteams

Beide Teams sind Trainermannschaften. Roberto Mancini hat die Squadra Azzurra nach dem Desaster der Nichtqualifikation für die WM 2018 nach seinen Vorstellungen ummodeln können: jung, offensiv, mannschaftlich. Italien, gestählt in Klubegoismen, hat er zu einer ballesterischen Einheit geformt. In der dürfen alle, die guten Willens sind, teilhaben. Bis auf den dritten Goalie – Alex Meret vom SSC Napoli – durften alle Spieler aus dem 26-köpfigen Kader schon EM-Atmosphäre tanken. Das könnte sich jetzt durchaus auszahlen.

Leonardo Spinazzola hat sich im Viertelfinale gegen Belgien die Achillessehne gerissen. Der Ausfall des AS-Roma Flügelwirbels – klänge es nicht anmaßend, ließe sich sagen: der Alaba der Apenninen-Halbinsel – tut dem Trainer weh. Emerson von Chelsea soll, so hört man, Italiens linke Seite nicht nur bearbeiten, sondern beherrschen. Es wird jedenfalls spannend anzuschauen, ob es diese Linkslastigkeit italienischen Tuns auch jetzt gegen Spanien geben kann.

Katalanisches Gewächs

Luis Enrique, der spanische Trainer, hat ein Jahr auch den AS Roma gecoacht. Ansonsten ist er ein katalanisches Gewächs, geprägt vom holländischen FC Barcelona, obwohl er von 1991 bis 1996 auch bei Real zugange war. 2019 hat er sich als Teamcoach eine Auszeit genommen. Erst später erfuhr die Öffentlichkeit von der – schließlich letalen – Krebserkrankung seiner neunjährigen Tochter. Im recht ruppigen Streit mit seinem einstigen, Begehrlichkeiten entwickelnden Assistenten Roberto Morena kehrte er zurück.

So wie sein italienisches Vis-à-vis ist auch Enrique recht rücksichtlos gegenüber Rück-, und Hinsichtln. Auch er ist einer, der dem Teambuilding verpflichtet ist. Er verzichtete – trotz lauten Widerspruchs spanischer Medien – auf sämtliche Spieler von Real Madrid – und setzt stattdessen auf bislang weniger bekannte Profis aus Villarreal, Bilbao oder San Sebastián. Wie immer im Fußball: Der Erfolg ist der Rechthaber. Dass er in der Vorrunde nur einen Sieg und zwei Remis verbuchen konnte, hat Enrique ordentliche Kopfwäschen gebracht.

Ein Privileg

Kapitän Sergio Busquets, den der Non Playing Captain als Playing Captain installiert hat, spricht jedenfalls von einem "Privileg, Enrique als Trainer zu haben". Der gibt das Kompliment gerne zurück. "Eine bessere Mannschaft als die spanische? Habe ich bei dieser EM nicht gesehen." Darüber möchte Roberto Mancini nicht einmal lachen. Immerhin seien die Seinen seit 32 Spielen ungeschlagen.

Über die Defensivqualitäten der Italiener braucht nicht gesprochen werden. Aber Mancini hat die Aggressiven, Spiellustigen, Laufbereiten und ballesterisch Vorzüglichen von der Leine gelassen. Nicht ganz, klar. Denn das ist die traditionsreichste italienische Qualität: die taktische Disziplin. In der Bibel, der Gazetta dello Sport, zählen sie aber die Sturmreihe um Ciro Immobile und sein starkes Mittelfeld mit Nicolo Barella und Marco Verratti zu den ganz Großen. Freilich: Die ganz Großen wären Spaniens Xavi oder Cesc Fabregas. Die wurden 2008 in Wien Europameister und verteidigten den Titel 2012 in Kiew. Mancini mahnt: "Je weiter man kommt, desto schwieriger wird es."( Wolfgang Weisgram, 5.7.2021)

Mögliche Aufstellungen zum Fußball-EM-Halbfinale Italien – Spanien am Dienstag in London:

Italien – Spanien (London, Wembley Stadion, 21.00 Uhr/live ORF 1, SR Brych/GER)

Italien: 21 Donnarumma – 2 Di Lorenzo, 19 Bonucci, 3 Chiellini, 13 Emerson – 18 Barella, 8 Jorginho, 6 Verratti – 14 Chiesa, 17 Immobile, 10 Insigne

Ersatz: 1 Sirigu, 26 Meret – 15 Acerbi, 23 Bastoni, 24 Florenzi, 25 Toloi, 5 Locatelli, 7 Castrovilli, 12 Pessina, 16 Cristante, 20 Bernardeschi, 9 Belotti, 11 Berardi, 22 Raspadori

Es fehlt: 4 Spinazzola (Achillessehnenriss)

Spanien: 23 Simon – 2 Azpilicueta, 12 Garcia, 24 Laporte, 18 Alba – 8 Koke, 5 Busquets, 26 Pedri – 9 Moreno, 7 Morata, 19 Olmo

Ersatz: 1 De Gea, 13 Sanchez – 3 D. Llorente, 4 P. Torres, 14 Gaya, 6 M. Llorente, 10 Thiago, 16 Rodri, 17 Ruiz, 11 F. Torres, 20 Traore, 21 Oyarzabal

Fraglich: 22 Sarabia (Muskelverletzung)

Zweites Halbfinale am Mittwoch (21.00 Uhr) in London: England – Dänemark

Finale am Sonntag (21.00 Uhr) in London