Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann brachte die Homöopathie in einem schon legendären Rant so auf den Punkt: "Verdünnen, Schütteln. Scheiße labern." Was das Verdünnen und Schütteln angeht, gibt es noch die eine oder andere Unklarheit und Unwissenheit. Zumindest beim Wundermittel Schwefel, der in der Verdünnung "C 200" unter anderem bei Schizophrenie helfen soll. Aber alles der Reihe nach: "C 200" bedeutet, dass eine Substanz 200 Mal im Verhältnis von 1:100 verdünnt wird. Der Haken bei der Geschichte ist die Mathematik: Schon bei der Verdünnung "C 40" geht uns die Materie aus, und zwar die des gesamten Universums mit seinen stolzen 90 Milliarden Lichtjahren Durchmesser. "C40" beschreibt in etwa das Verhältnis eines einzelnen Atoms zur gesamten Materie des sichtbaren Universums. Für "C 200" bräuchte man Fantastilliarden von Universen, um eine Substanz darin fachgerecht zu verrühren. Da wird die Suppe dann schon sehr dünn. Erschwerend kommt hinzu: Der Hersteller der tollen "C 200" Medizin hat bei jedem Verdünnungsschritt sein Behältnis zehn Mal heftig und händisch gen Erdmittelpunkt zu schütteln. Da droht gewiss ein Tennisarm, dem der Homöopath vermutlich mit der Salbe Traumeel zu Leibe rückt.  Die hilft zwar vermutlich nicht, riecht aber gut.

Das Schatzkästchen der österreichischen Juxärzte enttäuscht nicht

Doch zurück zum Schwefel in der Verdünnung "C 200" und zu dem, was darob gelabert wird. Die  "Ärztegesellschaft für homöopathische Medizin" schwärmt von "Sulfur C 200" und dem "eindrucksvollen Fall der vollständigen Heilung einer schizophrenen Patientin mit einem unserer ganz großen Polychreste." Die etwas euphemistisch anmutende Beschreibung finden wir auf der Webseite der Juxärzte unter dem Menüpunkt "Die homöopathische Schatzkiste."  

Das Schatzkästchen füllt unter anderem der Schweizer Homöopath Marco Righetti mit einem Abenteuerbericht aus seiner Praxis. In seiner Anamnese zu einer schwer psychotischen Patientin steht: "Bei unserer Patientin erschien mir zunächst der mehrmalige Liebeskummer als Auslöser sehr deutlich. Diese Überlegung führte zur ersten Mittelwahl: Wiederholte akute Liebesenttäuschung als Causa, stiller Kummer, Brüten und Rückzug als Reaktion, dazu die Ambivalenz und Religiosität führten zu Ignatia: Gabe als C 200."  Doch die Enttäuschung nach der Gabe des Brechnussgewächses Ignatia folgte auf den Fuß: "Diese Wahl ist an sich gut nachvollziehbar. Sie war aber falsch und ohne Wirkung." Das wäre ein schöner Schlusssatz eines Homöopathen, doch wir ahnen bereits: Der Homöopath verzagt nicht, er zieht das Herz-Ass aus dem Ärmel, wenn es sein muss, jetzt kommt der Schwefel ins Spiel.

Weniger als ein zarter Hauch von Schwefel war "ein Volltreffer"

Righetti schreibt: "Wie bei großen Symptomenlisten nicht selten, steht Sulfur an erster Stelle. (...)  Auch bei den weniger deutlichen Symptomen ist Sulfur gut vertreten und es deckt sogar den Liebeskummer gut ab. Es passt zudem gut zur prämorbiden Persönlichkeit, zur phantasiereichen Geschichtenerzählerin in der Jugend und zur Werbetexterin. Auch das Kleiderthema ist bei Sulfur zwar mit einer etwas anderen Färbung, aber doch gut besetzt."  

In der wunderbaren Welt der Homöopathie ist Schwefel eine "Polychreste", eine Art Allheilmittel, rund um das sich in den Materialmittel- und Märchenbüchern der Homöopathie tausende Anekdoten angeblicher Heilung ranken. Dürfen wir es schon verraten, ob der Schwefel half? Righetti berichtet: "Die Einmalgabe von Sulfur C 200 war ein Volltreffer und führte zu rascher Besserung". Das Abenteuer nimmt ein gutes Ende, die an Schizophrenie leidende Patientin konnte ihre schweren Psychopharmaka absetzen und dem Schwefel sei Dank ging auch bald ein lange Zeit unerhörter Wunsch in Erfüllung: "Etwas später wurde die Patientin in einer ruhigeren Phase nach Gabe von Sulfur doch noch schwanger und gebar noch spät zwei Söhne." 

Ein zarter Hauch von Schwefel.
Foto: EPA/FEHIM DEMIR

Nach der Homöopathie ist keine Chemotherapie mehr nötig?

Das Sommermärchen Righettis wurde im Sammelband einer homöopathischen Tagung mit dem Titel "Schwere Pathologien:
Kasuistik und Fallmanagement" veröffentlicht. Mangelndes Selbstbewusstsein trübt die Freude der Akteure am Herumdoktern mit wirkstoffloser Medizin nicht. Der homöopathische Arzt Heinz Huber beschreibt in dem Bändchen, wie Krebsbehandlungen in der von ihm geführten Emil-Schlegel-Klinik in Deutschland ablaufen: "Die homöopathische Erstanamnese und Mittelgabe erfolgen idealerweise vor dem Beginn der Chemotherapie und der Bestrahlung. Sollte dies dann überhaupt noch nötig sein." 

Homöopathische Therapien für austherapierte Tumorpatienten

Ein Fallbericht Hubers thematisiert einen 43-jährigen Mann mit Rachenkrebs. Im Paper lesen wir: "Er kam mit der Diagnose: 'austherapiert' ohne weitere operative Möglichkeiten." Wo andere die Flinte ins Korn werfen, da krempelt der Homöopath die Ärmel hoch. Aber: Der Patient litt nicht nur an einem Tumor, sondern offenbar auch an mangelndem Reflexionsvermögen. Huber erhebt in seiner Fallschilderung ein wenig den mahnenden Zeigefinger: "Ich frage die Patienten immer, was sie selbst über ihre Erkrankung denken. In etwa 70 Prozent der Fälle geben die Patienten eine klare Antwort, die uns Ärzten weiterhilft. Nicht so bei diesem Patienten: Er konnte sich seine Krankheit nicht erklären. Das zu Heilende war nicht offensichtlich." So verstrich Zeit, ehe Huber dem Krebs auf die Schliche kam: "Ein lang andauernder Konflikt zwischen seinem Vater und der Schwiegermutter, unter welchem der Patient nach eigenen Angaben aufgrund seines großen Harmoniebedürfnisses sehr gelitten habe." 

Der Phosphor, der "deckt alles ab"

Jetzt konnte mit der Medikation begonnen werden, im Fallbericht steht: "Wir trennen die Symptome in tumorspezifische, aktuelle und chronische Symptome. Unser Ziel ist letztendlich jedoch, alle zusammenzuführen und ein Mittel zu finden, welches alles abdeckt. Unsere differenzialdiagnostischen Überlegungen
führten in erster Linie zu Phosphor." Huber spricht von Phosphor in der Potenz "Q 3". Das Q steht für "Quinquaginta-Millesimal-Potenzen" - hier wird der Wirkstoff gar in Schritten von 1: 50.000 verdünnt. Ehe wir uns einen Wolf rechnen, widmen wir uns wieder dem, was unsere Freunde labern. Der Fallbericht schließt etwas abrupt, lässt aber durchklingen, dass der von der "Schulmedizin" voreilig als "austherapiert" bezeichnete Patient dank "Phosphor Q 3" und viel verständnisvoller Zuwendung die Kurve recht elegant gekratzt habe. 

Fünf bis 15 Prozent "Wunderheilungen"

Huber zieht in seinem Aufsatz aber auch bittere Schlussfolgerungen zum Thema Krebs und Homöopathie: "Die Homöopathie kann Krebs heilen, aber Wunderheilungen sind nicht unser Alltag. Sie liegen zwischen 5 und 15 Prozent." Für einen Eintrag ins Neue Testament bei Markus und Lukas reicht das nicht ganz, eine Klinik darf man mit dieser Heilquote allerdings führen. Immer wieder, so klagt Huber, gebe es Enttäuschungen und Misserfolge, und dann gelte es: "Tapfer weitermachen." Diese geflügelten Worte taugen leider nicht dazu, das Diktum Böhmermanns sinnvoll zu modifizieren. Wir würden den Juxärzten lieber zurufen: "Aufhören mit dem Scheiße labern!" (Christian Kreil, 21.7.2021)

Christian Kreil bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Am 15. Februar erschien sein Buch "Fakemedizin".

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