Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung. Anders wäre es sich nicht ausgegangen. Aber als ich Peter Fetz am Samstagabend dann schweren Herzens absagte, hatte ich doch ein schlechtes Gewissen: Fetz ist nicht nur Hotelier und (Hauben)koch im Traditionshotel "Hirschen" im Bregenzerwald, sondern auch versierter Trailläufer. Und wenn einer wie Fetz einem Städter anbietet, ihn auf eine seiner Lieblingsrunden mitzunehmen, sagt man nicht "Nein". Nicht nur weil es es unhöflich, sondern vor allem weil es dumm wäre: Was für Fetz eine "Hausrunde" ist, ist für mich ein Geheimtipp.

Thomas Rottenberg

Nur wäre es sich wirklich nicht ausgegangen: Als Peter Fetz mir Sonntagnachmittag dann schrieb, dass seine Jetzt-eben-Solo-Runde richtig fein gewesen sei, der Regen ihn nur kurz erwischt habe und wir den gemeinsamen Lauf wohl "das nächste Mal" nachholen müssten, war ich schon anderswo. In Warth am Arlberg nämlich. Das gehört technisch zwar auch zum Bregenzerwald, kommt aber diesmal in dieser Kolumne nur deshalb vor, weil ich dorthin zu einem Familiebesuchstermin musste. Darum hatte ich statt für einen Mittags-Traillauf mit dem Spitzenkoch in den Wäldern rund um Mellau "nur" Zeit für einen Frühmorgenquickie durch Andelsbuch: Auch megaschön – aber etwas komplett anderes.

Thomas Rottenberg

Und ganz fehlerfrei kriege ich mit diesem 6-Uhr-Morgenlauf die Kurve zum eigentlich Grund, der mich in den Bregenzerwald geführt hatte, aber nicht: Klar, die Region ist ein Hammer zum Laufen. Die Laufrouten entlang der landschaftlich und/oder architektonischen Highlights hier sind perfekt ausgeschildert. Die Wege gepflegt, die Blicke vielfältig und abwechslungsreich – und allein die Luft und die (für einen Wiener anfangs spürbare) Höhe machen das Laufen hier auch in der zivilen Zone, im dörflichen wie im streubesiedelten Umfeld zu einem Erlebnis, das die von Wien aus doch lange Anreise allemal wert ist. Ganz abgesehen von der xibergischen Kulinarik.

Trotzdem: Zu "Into the Wold" passt diese Form des Laufens nicht ganz. Dort soll Traillaufen nächstes Jahr am Programm stehen. Beim diesjährigen "Kickoff" war der offizielle und öffentliche Teil ein reines Bike-Event.

Thomas Rottenberg

Die Sache ist die: Nach dem Graveltrip in den Seewinkel vor zwei Wochen hatten die Macher des ersten österreichischen Gravelevents "Into the Wold" im Bregenzerwald sich einerseits für den Hinweis auf ihre Veranstaltung am anderen Ende des Landes bedankt und gefragt, ob wir nicht vorbeischauen wollten.

Und meine Frage, nach dem Laufbezug schlau unterlaufen: "Kommendes Jahr werden wir auch Traillaufen im Programm nehmen. Weil das eine ähnliche Klientel ist. Aber heuer starten wir einmal mit einem Gravelevent, bei dem es neben dem Radfahren um Architektur und Kulinarik im Bregenzerwald geht."

Thomas Rottenberg

Ganz ehrlich: Was hätten Sie an meiner Stelle getan, wenn Sie a) gerade Zeit haben, b) gerne im Gelände mit dem Beinahe-Rennrad fahren c) schon viel zu lange nicht mehr im Bregenzerwald waren, d) dort Quasi-Familie besuchen könnten und sollten und e) für authentische Käsknöpfle & Co vermutlich auch töten würden? Eben.

Thomas Rottenberg

Wenn sich all das dann auch ohne all Verrenkungen – nicht zuletzt über das Traillaufangebot von Peter Fetz – in diese Kolumne implementieren lässt: Umso besser.

Aber auch ohne "Trail" passt Laufen hier dazu. Schließlich lässt sich das, was Bregenzerwälder Architektur so besonders macht schon bei einer Andelsbucher Morgenrunde gut erleben und zeigen: Die "klassischen" Häuser mit ihren unbehandelt-ergrauten Holzschindeln findet man schließlich auch in den Ortskernen …

Thomas Rottenberg

… und die junge, mutige und moderne Formensprache, die sich sowohl im Bau als auch im Design der Region manifestiert ebenso.

Natürlich ist es lohnender und feiner, sich den "Werkraum" in Andelsbuch und die darin gezeigten wechselnden Beispiel für innovatives Handwerk von innen und in Ruhe anzusehen – aber schon das Vorbeilaufen im Morgengrauen macht Lust darauf, tagsüber wieder zu kommen.

Thomas Rottenberg

Wobei sich auch dann nicht wirklich erschließt, welchen Zweck das 2013 ein paar hundert Meter den Rad- und Laufweg weiter aufwärts aufgestellte "Betonei" erfüllen soll: Sollen (kleinere) Beton-Eier anderswo meist Wein besonders machen, dient das von Werner Schnedler "erfundene" Objekt wohl nur als Land-Art-Objekt – aber das dafür ganz hervorragend. Ganz abgesehen davon lädt das dünnwandige Trum zu großartigen Akustik- und Echo-Spielereien ein.

An den Tagen zuvor waren wir mit den Rädern zwar vorbei gekommen, aber (leider) nicht stehen geblieben: Am ersten Tag führte die "Architektour" zum Werkraum, am zweiten waren wir nach 65 Kilometern und 1300 Höhenmetern bei Hochsommertemperaturen dann so schnitzelweich, dass wir lieber Richtung Ziel, nach Mellau, weiterfuhren.

Thomas Rottenberg

All das – geführtes Architektur-Biken und hügeliges Schotter-Rennradfahren – war Kern und Idee des Events: "Into the Wold" ist kein Tippfehler, sondern der ambitionierte und sympathische Versuch, sportliches aber nicht-kompetitives Radfahren mit den Assets und Eigenheiten dieser Region zu verknüpfen.

Und im Bregenzerwald sind das eine variantenreiche alpine Landschaft, die weniger schroff und offener ist als die typischen Kerbtäler in vielen anderen Gegenden Österreichs. Plus eine eigene architektonische Identität – und die regionale Küche. (Ja, die Sprache eh auch.)

Martin Granadia

Ich weiß: Nichts davon ist frisch erfunden und Radfahren boomt im Sommertourismus sowieso überall.

Aber die Macher von "Into the Wold" hatten eben die Idee, die bekannten Qualitäten der Region mit jenem Radfahren zu verbinden, dem das hippe Must-Have-Präfix "Gravel" vorsteht. Prompt wurde aus Bekanntem und Nahliegendem etwas tatsächlich Einzigartiges. Etwas, das sich nicht per Copy-Paste-Konzept überall anders ebenso gut umsetzen lässt.

Was aber wirklich zählt: Das gelang ganz ohne Verbissenheit und tatsächlich "inklusiv" – sowohl was das Radfahren als auch die Themenstellung anging.

Martin Granadia

Das große Problem vieler Jedermensch-Sport-Events ist das Leistungsdenken, das ihnen zumindest subkutan innewohnt. Irgendwer will immer besser oder schneller sein. Oder zumindest irgendwem irgendetwas beweisen.

Diesen Druck rauszunehmen, sodass es tatsächlich nur ums gemeinsame Erleben geht, ohne zu einer langweilig-ungewürzten Alle-haben-einander-immer-lieb-Baumumarmer-Veranstaltung ohne Vollgaspassagen, knackige Anstiegs- und Ortstafelsprints zu werden, ist ein echtes Kunststück. Bei "Into the Wold" gelang es.

Wie? Am Papier ist das ganz einfach:

Martin Granadia

Man entschleunigte – aber nicht ganz: Statt an lieblosen "Laben" Weckerl, Obst und Trinkflaschen quasi im Vorbeifahren zu reichen, standen da Spitzenköche der Region mit ein paar Spezialitäten in der Landschaft: Es wurde nicht "versorgt" sondern "verköstigt" – an landschaftlich schönen, einladenden Orten.

Man blieb stehen, aß, trank und chillte. Klar, wenn es gleich darauf satt bergauf weiter ging, fragten zwar die gerade auf "Pause" schaltenden Beine, ob das jetzt ernst gemeint sei. Aber Kopf und Herz führten die Gespräche, die da im Sitzen begonnen hatten, weiter. Man strahlte gemeinsam, wenn der Blick über Almen, Wiesen und Bergkämme strich – und blieb sogar mal stehen. Einfach nur um zu schauen – und dann doch Gas zu geben.

Martin Granadia

Der zweite Trick der "Into the Wold"-Macher bestand darin, mit dem Begriff "Gravel" die einschlägige Szene – also Rennradfahrer auf breiteren Reifen und somit wald- und feldwegtauglichem Gerät – anzusprechen und einzuladen: "Seid dabei beim ersten G-Event!" lautete die Botschaft.

Das funktionierte: Blogger (etwa Martin Granadia von https://www.169k.net/) und Bike-Influencerinnen der Über-100.000-Follower-Liga wie Alina Jäger aka @clippedinandfree berichteten schon im Vorfeld.

Vor Ort definierten die Veranstalter "Gravel" aber nicht dogmatisch über die Fahrräder sondern den Untergrund: Wer nicht stark oder schnell genug war (oder wessen Händler die Hardware schlicht nicht liefern kann) der oder die fuhr eben am E-Moutainbike mit.

Geht auch. Gilt auch. Ist – für jeden und jede subjektiv – durchaus anstrengend. Und macht genauso Spaß. Erst recht, wenn man nicht gegen-, sondern miteinander fährt.

Martin Granadia

Oder aber man ließ sich bei einer architektonischen Bregenerzwald-Themenfahrt erklären, wie, wieso und ab wann das Holzschindel aufs Bregenzerwälderhaus kommt. Wieso es wichtig ist, dass Kommunen mit guter und anspruchsvoller öffentlicher Architektur und Raumplanung mutig vorangehen, damit Ortskerne lebendig bleiben und junge qualifizierte Menschen nicht zwingend abwandern: Am Rad "spürt" man Region und Landschaft. Bausünden lassen sich weniger leicht kaschieren oder umfahren: Der Landschaftsplaner (und Radbuchautor )Wolfgang Gerlich führte mit dem einheimischen Architekten Bernd Frick fast vier Stunden kreuz und quer durch die Gegend – und alle waren begeistert.

Versuchen Sie das mal in einer beliebigen anderen Tourismusregion: Ob lokale Touristiker und Bürgermeister genaue, präzise Blicke auf Orts- und Landschaftsbilder wohl überall schätzen würden?

Thomas Rottenberg

Mehr und Genaueres zur hügeligen Gravel-Radlerei rund um Mellau gibt es vielleicht – vermutlich – das nächste Mal hier. Fotos davon finden Sie auf meinem Facebook-Account.

Und über das Traillaufen bei "Into the Wold" erzähle ich – hoffentlich – nach der zweiten Auflage des Events. Wenn ich es tatsächlich geschafft haben werde, mit Peter Fetz ein paar besonders schöne Schmankerln des Bregenzerwaldes zu "erlaufen".

Martin Granadia

Diesmal ging sich das eben nicht aus. Da war außer dem frühmorgentlichen Solo rund um und durch Andelsbuch einfach zu wenig Lauf-Zeit.

Aber wissen Sie was: Das macht nichts. Denn auch wenn die Radelei hier mit zum Schönsten gehörte, was ich am Rad bisher erleben durfte, auch wenn die Atmosphäre, das Programm und vor allem die Menschen bei und hinter dem Event mich noch mehr "flashten" als die Herzausreißerlandschaft, wäre schon das Gefühl das dieser kurze Morgenlauf mit vom Radfahren schweren Beinen bei mir hinterließ, Grund genug, wieder hierher zu kommen. Und zwar egal ob als (wie diesmal) eingeladener oder zahlender Gast. (Thomas Rottenberg, 6.7.2021)

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Martin Granadia