Melanie, Marcel und Marvin Mudenda (von links) haben in Wien-Alsergrund ein ganz wunderbares Restaurant aufgemacht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Auf den ersten Blick meint man, einen Zug zum Stereotyp erkennen zu können: Da sperren drei simbabwisch-österreichische Geschwister ein Lokal auf, nennen es Belly of the Beast (Bauch der Bestie, Anm.) und wählen einen besonders grimmig dreinschauenden Gorilla als Logo. An den Wänden hängt weitere Fauna aus Urwald und Savanne.

Klingt wie ein Lokal mit Ethno-Anstrich, in dem man sich diffus afrikanisierende Küche mit dem einen oder anderen Kroko- oder Antilopensteak aus der Exotic-Meat-Gefriertruhe erwarten darf – wenn es ganz arg wird, sogar Victoriabarsch, Keniabohnen und andere Ausbeuterartikel mit wenig Geschmack und umso mehr CO2 im Rucksack?

Können und Hingabe

Das Gegenteil ist der Fall. Okay, die Tierbilder bedienen Afrika-Sehnsüchte, ansonsten aber ist in dem edel reduzierten Ambiente gar nichts von billigem Ranschmeißen ans Klischee zu bemerken. Die Zutaten sind biozertifiziert und kommen von einigen der exklusivsten Produzenten des Landes (Krautwerk, BOA Farm, Privatkäserei Höflmaier …). Und sie werden auf virtuose Art zu Gerichten, in denen großartiges Gemüse oft die Hauptrolle spielt.

Küchenchef und Betreiber Marvin Mudenda – zuvor Öfferl Wollzeile – lässt zwar die eine oder andere Idee aus der afrikanischen Heimat miteinfließen (etwa die Kombination aus cremigen, erntefrischen Krautwerk-Bohnen und Risotto, die er zur löffelweich geschmorten Schulter vom BOA-Freilandschwein mit köstlich lebhaftem Minz-Relish reicht). Im Wesentlichen aber zeigt er einfach, wie man mit Können und Hingabe außerordentlich würzig und bekömmlich kocht.

Wohltuend unaufgeregt: Schafs-Ricotta von Milchmäderl aus Wallsee und Petersilienöl
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dementsprechend schmiegen sich die Gerichte seidenweich schnurrend in den Bauch der Bestie Gast. Hochreife Paradeiser der Wiener Gärtnerei Ganger in verschiedenen (alten) Sorten und Konsistenzen etwa, von beinahe knackig bis fast cremig, kombiniert Mudenda ebenso achtsam wie puristisch mit Schafs-Ricotta von Milchmäderl aus Wallsee und Petersilienöl (siehe Bild) – eine wohltuend unaufgeregte Vorspeise, die exquisit nach Sommer schmeckt.

Während hochgepushte Veggieköche anderswo meinen, ihr Gemüse mit Tamtam und Tütü in die Sphären der Hochküche pürieren zu müssen, wird hier die wahre Freude am Gemüse zelebriert. Großes Grünzeug will man schmecken, beißen, knacken – all die Gels, Cremes und das sonstwie seniorenfreundlich transformierte Pinzetten-Chichi dürfen sich Michelin-Inspektoren und sonstige Prestige-Esser noch so gern wo hinschieben.

Träume von Tartare

Frühkraut und rote Paprika von Wundergärtner Robert Brodnjak macht Mudenda zu einem herrlich bissigen Relish, extrem fruchtig, fein gesäuert. Es wird (Achtung, Afrika!) auf frisch in der Pfanne gebackenes Fladenbrot gebettet. Gehacktes Tartare von der alten Milchkuh betört mit seidigem Biss, perfekt abgestimmtem Säurespiel des Dressings, köstlichen Kräutermayo-Tupfern obenauf. Bestes Beef Tartare seit sehr langer Zeit!

Rüben-Rollgersten-Risotto mit Schafskäse schmeckt eindeutig nicht nach Hochsommer, auch hier aber begeistert die Qualität der Produkte und die sichere Abstimmung der Komponenten und Konsistenzen. Die Diktion der Speisekarte ("Vieh & Beilage" fürs vorhin beschriebene Bohnen-Risotto mit geschmorter Schweinsschulter etwa) ist nicht immer ideal, dafür umfängt einen der zurückhaltend zuvorkommende Charme des Service mit vollendeter Sanftheit.

Die Weine sind mit Treffsicherheit gewählt, wer sich (wie der Autor) an den Demeter-Kostbarkeiten von Niki Moser nicht satt trinken kann, ist hier überhaupt richtig. Und hinterher? Will man Schokomousse mit Rahm von Höflmaier mit Ganger-Pfirsichen. (Severin Corti, RONDO, 9.7.2021)

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