Mit einem defekten Haushaltsgerät beginnt die Geschichte, die für einen 34-Jährigen vor dem Geschworenengericht endet.

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Wien – "Ich war bei den Chefleuten daheim, die Waschmaschine reparieren", beginnt der 34-jährige Angeklagte Martin W. zu erklären, warum er nun mit einer Anklage wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung und gefährlicher Drohung vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Claudia Zöllner ist. Das reparaturbedürftige Haushaltsgerät befand sich in einer Wohnung in Wien-Hernals, genauso wie einige alkoholische Getränke, die der Angeklagte und sein Arbeitgeber am Nachmittag des 6. Novembers konsumierten.

"Da ist aber ordentlich getrunken worden", hält die Vorsitzende fest – W. hatte bei seiner Festnahme 2,5 Promille, sein Chef 2,1 Promille. "Was haben Sie denn alles konsumiert? Und wann?", will Zöllner daher vom Angeklagten wissen. Der weiß es nicht mehr ganz genau, aber in rund vier Stunden sollen es acht bis zehn Bier plus einige Stamperl Schnaps gewesen sein. "Hilft das beim Reparieren?", fischt die Vorsitzende nach handwerklichem Insiderwissen. "Nein, hilft nicht", gibt der Angeklagte zu.

Streit um Ausgangsverbot

Gegen 20 Uhr hätten die beiden Männer laut Staatsanwältin eine Rauchpause auf dem Balkon des Chefs eingelegt, als unten ein 16-Jähriger vorbeikam. In der Anklageschrift heißt es, W. habe den Teenager von oben wegen Verletzung der Lockdown-Bestimmungen beschimpft, es sei zu einem Wortgefecht gekommen, bei dem der Angeklagte den 16-Jährigen mit dem Umbringen bedroht habe.

Danach sei er auf die Straße gelaufen, um den Jugendlichen zur Rede zu stellen, der rief seinen großen Bruder zur Hilfe, der W. einen Schlag gegen den Kopf versetzte. Der Angeklagte sei zurück in die Wohnung seines Vorgesetzten verschwunden. Bald darauf gingen wieder zwei Personen unter dem Balkon vorbei: der große Bruder und die Mutter der beiden Burschen. Wieder habe W. zu schimpfen begonnen, gedroht, die ganze Familie zu verbrennen, eine Neun-Millimeter-Waffe zu holen und zu benutzen. Und er soll "Heil Hitler!" gebrüllt haben, was die Anklagebehörde als Wiederbetätigung auslegt.

Mit Philippinerin verheirateter SPÖ-Wähler

W. gibt nur die Beschimpfungen des 16-jährigen zu, den Rest leugnet er strikt. Weder sei er ein zweites Mal auf dem Balkon erschienen, erst recht habe er nicht "Heil Hitler!" gerufen. "Ich bin SPÖ-Wähler", verrät er, und sei nie politisch aktiv gewesen. Zum Beweis, dass der Wiederbetätigungsvorwurf erfunden sei, deutet der Angeklagte auch nach hinten in den Zuschauerraum – dort sitzt seine Gattin, die von den Philippinen stammt.

W. hat allerdings bereits im Mai 2020 eine Vorstrafe erhalten, da er beim "Maurer Kirtag" ein Auto beschädigt hat. Beim damaligen Vorfall wurde ebenfalls wegen Wiederbetätigung gegen ihn ermittelt – da er mit einer Österreich-Fahne den "Hitler-Gruß" gezeigt haben soll. Wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen wurde dieser Punkt eingestellt.

Zweimal betrunken erwischt

Zöllner interessiert sich dennoch dafür. "Was wollten Sie mit der Fahne?", fragt sie den Angeklagten daher. "Nix. Die habe ich mir dort gekauft." – "Aber was wollten Sie damit?" – "Nix." – "Hören Sie, man kauft sich die ja aus irgendeinem Grund. Wollten Sie sie daheim aufhängen? Damit zu einem Fußballspiel gehen?" – W. kann keine Erklärung liefern. Dass er seit 2019 ein Alkoholproblem habe, gibt er zu. Zweimal habe er bereits den Führerschein verloren, einmal wurde er mit 1,9 Promille, einmal mit 2,2 Promille am Steuer erwischt.

Sein 54 Jahre alter Chef berichtet als Zeuge ebenso nur von einem Vorfall auf dem Balkon. "Irgendwann ist dann die Polizei in meiner Wohnung gestanden." – "Dazwischen war aber noch was – der Angeklagte ist auf die Straße gegangen", wirft Zöllner ein. Der Unternehmer behauptet, er habe das nicht mitbekommen. Einen zweiten Vorfall auf dem Balkon will er ebensowenig wahrgenommen haben.

Das junge Brüderpaar bleibt bei seiner Geschichte. Der Ältere, der für den Angriff auf W. mittlerweile eine Diversion bekommen hat, sagt, dass sein 16-jähriger Bruder Angst gehabt habe, deshalb wollte er den Angeklagten zur Rede stellen. Nach dem ersten Zwischenfall seien er und seine Mutter Zigaretten holen gegangen, auf dem Rückweg habe W. vom Balkon heruntergespuckt. Daraufhin sei wieder ein Streit entstanden, bei dem die Drohungen und "Heil Hitler!" gefallen sei.

"Überhaupt die extremste Frechheit!"

Die Mutter, eine autochthone Wienerin, will nur "Hitler" gehört haben, etwas regt sie aber viel mehr auf. "Der Angeklagte hat mich beschimpft!" – "Wie denn?", interessiert die Vorsitzende? – "Du Hure! Und: 'Scheißausländerin!', obwohl ich überhaupt keine Ausländerin bin, das find ich überhaupt die extremste Frechheit!", empört sich die 38-Jährige. Interessanterweise berichtet sie, damals eine zweite Männerstimme gehört zu haben. Die soll von drinnen: "Geh jetzt rein, halt den Mund" zum Angeklagten auf dem Balkon gesagt haben.

Die Geschworenen glauben dennoch dem Angeklagten und verurteilen ihn lediglich wegen der Drohungen gegen den 16-Jährigen. Den zweiten Vorfall mit der Mutter und dem älteren Bruder halten sie offenbar für erfunden und sprechen W. von der Wiederbetätigung und den Morddrohungen einstimmig frei. Die rechtskräftige Strafe für den 34-Jährigen: vier Monate bedingt. Ob die Waschmaschine wieder instand gesetzt wurde, bleibt übrigens offen. (Michael Möseneder, 7.7.2021)