Wien darf doch ein bisschen Burgenland werden. Zumindest wenn es nach Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) geht. Der findet immer mehr Gefallen an dem Konzept seines Parteikollegen Hans Peter Doskozil, pflegende Angehörige beim Land anzustellen. Zuletzt verkündete Hacker im Ö1-Radio, den Fonds Soziales Wien (FSW) bereits damit beauftragt zu haben, "sich darum zu kümmern, dass wir so etwas Ähnliches zustande bringen". Arbeitsrechtlich sei das alles ein bisschen kompliziert, einen Zeithorizont für die Umsetzung nannte Hacker wohl auch deshalb nicht. Aber er findet das Modell "sehr gut, und wir sollten das zusammenbringen".

Lässt das burgenländische Pflegemodell einmal durchrechnen: Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).
Foto: Heribert Corn

Doskozils Idee ist leicht erklärt. In Österreich pflegen laut Sozialministerium rund 950.000 Menschen informell ihre Angehörigen, meist Frauen und vor allem zu Hause. Miteingerechnet ist hier sowohl die Person, die federführend die Arbeit übernimmt, als auch beispielsweise Familienteile, die auf die ein oder andere Weise mithelfen.

Die Studie Angehörigenpflege in Österreich des Ministeriums zeigt darüber hinaus, dass das Gros der pflegenden Angehörigen in Pension ist. Etwa ein Drittel ist berufstätig, je zur Hälfte Vollzeit beziehungsweise Teilzeit. Für manche lassen sich Job und Pflege aber schlicht nicht miteinander vereinbaren. Laut der Studie mussten 15 Prozent ihre Berufstätigkeit zumindest einschränken, 13 Prozent komplett aufgeben. Letztere will das Burgenland unterstützen und sie beim Land für etwa zehn Euro in der Stunde anstellen.

Das Modell gibt es seit Oktober 2019, und es soll erwerbsfähigen Pflegenden helfen, Pensions- und Versicherungszeiten zu sammeln, die ihnen sonst abgehen würden. 202 pflegende Angehörige sind dem Angebot der gemeinnützigen Landestochter Pflege Service Burgenland bereits gefolgt, konkret 158 Frauen und 44 Männer.

Freilich gibt es Grundvoraussetzungen, um am Programm teilnehmen zu können. Konkret muss bei einem Angehörigen etwa ein Pflegebedarf ab Pflegestufe drei festgestellt werden. Die betreuende Person hat in den ersten zwölf Monaten des Dienstverhältnisses eine geförderte Pflege-Grundausbildung zu absolvieren – und ihr Wohnsitz darf nicht länger als 15 Minuten entfernt sein. Mischformen der Arbeitszeit mit einer mobilen Pflege sind nicht möglich. Dafür gibt es regelmäßige Unterstützungsbesuche.

Das Gehalt und die Arbeitsstunden wiederum orientieren sich am Aufwand und unterliegen einer gesetzlichen Vorgabe. Erst ab Pflegestufe fünf werden pflegende Angehörige für 40 Stunden und den vollen burgenländischen Mindestlohn von 1.700 Euro netto für Landesbedienstete angestellt. Das trifft im Moment auf 63 Personen zu. Bei Pflegestufe vier (70 Pflegende) reduzieren sich die Stunden auf 30, ab Stufe drei (69 Pflegende) auf 20. Geld gibt es 14-mal, und die Pflegenden haben Urlaubsanspruch. Bei Urlaub und Krankheit wird eine Ersatzpflege gesucht. Die Angehörigen beteiligen sich per Selbstbehalt an der Betreuung.

Wesentlich mehr Pflegegeldbezieher

Nun ist es so, dass Wien wenig überraschend ungleich mehr Menschen mit Pflegegeldanspruch hat. So sieht das auch bei den Pflegestufen fünf, sechs und sieben aus, für die gemäß dem burgenländischen Modell die volle Förderung fließt. 12.912 sind dies in der Hauptstadt, was der Gesamtzahl der Pflegegeldbezieher im Burgenland schon recht nahe kommt. Dieses hat für sich ausgerechnet, dass der Vollausbau des Pilotprojekts für 600 pflegende Angehörige in etwa 13 Millionen Euro pro Jahr kosten wird. Was kommt da auf Wien budgetär zu?

In Wien sieht man die Sache recht gelassen. Derzeit wird einmal eruiert, wie man das Ganze angehen wird. Das Büro Hacker blickt dafür auch interessiert nach Oberösterreich. Dort kündigte die SPÖ-Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer am Montag ein Pilotprojekt zur Anstellung pflegender Angehöriger an. 30 Angehörige beeinträchtigter Kinder und Jugendlicher in den Pflegestufen fünf bis sieben werden ab 1. September ein Jahr lang ein befristetes Angestelltenverhältnis erhalten.

Was Wien betrifft, so geht man in den Reihen des Gesundheitsstadtrats davon aus, dass sich die Kosten für das Anstellungsmodell in der Waage halten werden. Auch deshalb, weil es nur als ein kleineres Zusatzangebot geplant ist. Mehrheitlich soll die Pflege weiterhin von professionellen Kräften übernommen werden. In Wien gelten auch andere Voraussetzungen. Hacker betonte schon einmal dazu, dass es im Burgenland viel Fläche und eine dünne Besiedelung gebe, in der Hauptstadt hingegen kurze Distanzen und dichteres Netz an Pflegeangeboten. Auch deshalb schätzt der Fonds Soziales Wien, der nun das Konzept erstellen soll, dass "nur ein Bruchteil" der schätzungsweise 143.000 Personen, die in Wien informell daheim pflegen, für ein ähnliches Modell wie im Burgenland infrage käme. Auch weil in diese Zahl Fälle eingerechnet sind, in denen es bereits eine Heimhilfe gibt.

Vor allem der ÖVP schmecken Hackers Pläne so gar nicht. Aus Sicht der Seniorenbundchefin und türkisen Wien-Politikerin Ingrid Korosec seien Angehörige "keine ausgebildeten Pflegekräfte, daran ändert auch eine Anstellung beim Land und ein Grundlagenkurs nichts", sagte Korosec der "Krone". "Die außerordentliche Belastung wird dadurch auch noch zum Beruf gemacht." Fragen wie etwa jene nach Überstunden seien zudem ungeklärt. Letzteres lässt sich so aufklären: Überstunden im burgenländischen Modell sind nicht vorgesehen. Gefördert wird die jeweilige Arbeitsstundenanzahl. Alles darüber hinaus fällt unter die familienrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung. (Jan Michael Marchart, 14.7.2021)