Die Polizei in Ramallah demonstriert bei den Protestkundgebungen Härte. Auch Journalistinnen und Journalisten beklagen Übergriffe.

Foto: APA / AFP / Abbas Momani

Ich demonstriere nicht", sagt eine 62-Jährige inmitten der Demonstration. Sie sei "einfach so" auf den zentralen Manarahplatz in Ramallah gekommen, der auch heute wieder Zentrum des Protests gegen Mahmud Abbas ist. Seit zwei Wochen fordern hier Menschenmassen den Rücktritt des Palästinenserpräsidenten.

Bis jetzt war es ein lauter, wütender Protest. Doch nun ist nicht ganz klar, wer hier gegen wen demonstriert: die Menschen gegen das Regime oder das Regime gegen die Menschen. Der Platz birgt fast so viele Uniformierte wie Aktivisten.

Demonstranten angegriffen

Die größte Gefahr scheint aber von den Zivilisten auszugehen, die in Absprache mit Uniformierten mit Steinen, Stöcken und Fäusten auf die Demonstranten losgehen. Nachdem auch ein Mitglied des Monitorings der Vereinten Nationen attackiert worden war, schickte UN-Menschenrechtskommissarin Michele Bachelet deshalb eine Protestnote aus.

Die Palästinenserbehörde reagierte, indem sie das Protestrecht gleich von Grund auf beschränkte. Seit Montag sind Demonstrationen bewilligungspflichtig. Aktivisten müssen vor dem Protest jene Behörde um Erlaubnis fragen, gegen die sie demonstrieren.

Ohne Genehmigung

Darauf verzichteten die Demonstrantinnen und Demonstranten am Montag, sie kamen ohne Genehmigung. Es ist ein stiller Protest, ohne Transparente, ohne Megafon. "Ich bin nur hier, um ein bisschen zu schauen", sagt die 62-Jährige. Ihre Meinung drückt sie flüsternd aus. "Nehmt doch den Menschen nicht ihr letztes bisschen Freiheit weg. Lasst sie doch wenigstens sagen, was sie zu sagen haben."

Sie meint damit vor allem den Youtube-Star Nizar Banat, der in seinen Videokolumnen deutliche Kritik an der Palästinenserbehörde geübt hatte. Vor zwei Wochen rissen Sicherheitskräfte Banat aus dem Schlaf, wenige Stunden später erklärte ein Spital den 43-Jährigen für tot. Auf Fotos des Leichnams sind schwere Kopfverletzungen zu sehen. Der Tod Banats war der Auslöser für die Proteste.

Popularität ohne Schutz

"Repression hat es immer gegeben, aber diese gezielte Tötung war ein Dammbruch", sagt die Jerusalemer Publizistin und Juristin Nadia Harhash zum STANDARD. "Es waren nicht Maskierte, die ihn zu Tode prügelten, sondern offizielle Vertreter des Sicherheitsapparats." Dazu kommt, dass Nizar Banat zuletzt wohl der prominenteste Regimekritiker im Westjordanland war. "Wir dachten, seine Popularität bietet ihm Schutz", sagt Harhash. "Aber da haben wir uns getäuscht."

Geschützt hatten sich zuvor auch die Journalisten gefühlt, die prügelnde Polizisten dokumentierten, selbst aber weitgehend verschont blieben. Dass auch das nun anders ist, zeigen die Farben am Unterarm der jungen Redakteurin eines palästinensischen Onlinemagazins.

Was nach einer großflächigen Farbtätowierung aussieht, sind die Spuren der Stockschläge durch palästinensische Sicherheitskräfte. "Sie drohen uns: Entweder ihr stellt das Filmen ein, oder wir brechen euch die Knochen", sagt die Journalistin. Ein Journalistensyndikat in Ramallah rief am Dienstag zum einstündigen Proteststreik auf, um gegen die Einschränkung der Pressefreiheit zu demonstrieren.

Festnahme ohne Haftbefehl

Viel zu tun hatten in den vergangenen zwei Wochen jene Menschenrechtsanwälte, die Opfer von Polizeigewalt beraten. Manche von ihnen brauchen nun selbst Rechtsbeistand: Mohannad Karajah, zu dessen prominentesten Klienten Nizar Banat zählte, wurde am Sonntag vor einem Gericht in Ramallah festgenommen. Ein Einspruch gegen den Haftbefehl hätte ihm nichts genützt: Es gab gar keinen. (Maria Sterkl aus Ramallah, 7.7.2021)