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Auch vollständig Geimpfte wurden in Israel positiv auf das Coronavirus getestet. Die Hälfte der Infizierten sei doppelt immunisiert.

Foto: AP / Ariel Schalit

Ein neuer Spitzenwert ließ die Experten im israelischen Gesundheitsministerium am Dienstag aufschrecken: Der Montag hatte über 500 Neuansteckungen gebracht. Das ist deutlich mehr als die durchschnittlich 300 neuen Infizierten der Tage zuvor. Und es ist der höchste Wert seit Ende März. 521 waren es auch am Mittwoch. Die Hälfte der Neuansteckungen betrifft Kinder und Jugendliche, berichtet die Ynetnews. Und die Hälfte der Infizierten ist doppelt geimpft.

Bisher war man davon ausgegangen, dass wenig Grund zur Sorge besteht, weil die Ansteckung in keine Erkrankung mündet. Eine jüngste Studie im Auftrag des israelischen Gesundheitsministeriums zeigt jedoch, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech/Pfizer, Comirnaty, gegen die Delta-Variante deutlich vermindert ist: Der Schutz gegen eine symptomatische Erkrankung liegt nur noch bei 64 Prozent. Der Impfstoff könnte im Fall der Delta-Variante also seine Wirksamkeit gegen milde Krankheitsverläufe einbüßen, befürchten israelische Experten.

Begrenzte Datenlage

Tatsächlich könnten die Daten ein "erstes Signal" für eine verminderte Wirksamkeit sein, sagte der Vorsitzende des israelischen Covid-19-Expertengremiums, Ran Balicer. Zuvor wurde die Wirksamkeit von Comirnaty bei der Verhinderung einer Infektion auf rund 95 Prozent geschätzt. Aber: Es sei noch "zu früh, um präzise Aussagen über die Impfstoffwirksamkeit gegen die Variante zu machen".

Die Ergebnisse der Erhebung wurden noch nicht als Preprint veröffentlicht, das israelische Gesundheitsministerium ordnet die Datenlage als begrenzt ein. Das dürfte vor allem zwei Gründe haben: So gibt es insgesamt nur eine niedrige Fallzahl an Infektionen unter vollständig Geimpften, darüber hinaus seien diese ungleichmäßig auf die Bevölkerung verteilt, wie die Times of Israel berichtet.

Besser dokumentiert sind Erhebungen aus Schottland: Laut einer Studie der schottischen Gesundheitsbehörde, die kürzlich im Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurde, beträgt der Infektionsschutz im Fall der Delta-Variante nach beiden Teilimpfungen bei Comirnaty 79 Prozent, bei Vaxzevria von Astra Zeneca sind es 60 Prozent – im Vergleich zur Alpha-Variante büßten die Impfstoffe jeweils 13 Prozent an Wirksamkeit ein.

Wenig schwere Verläufe

Nach wie vor dürfte der Impfstoff aber auch im Fall der Delta-Variante eine hohe Wirksamkeit gegen schwere Krankheitsverläufe haben – das besagen sowohl die jüngsten Daten aus Israel als auch eine aktuelle Analyse aus Großbritannien. In Israel beziffert man die Wirksamkeit von Comirnaty gegen schwere Verläufe und Krankenhausaufenthalte auf 93 Prozent, wie auch die Daten aus israelischen Spitälern zeigen. Die Zahl der Patienten in kritischem Zustand ging hier zuletzt nämlich auf 33 zurück.

Laut einem aktuellen Bericht der britischen Behörde Public Health England (PHE) könne ein vollständiger Impfschutz mit den Präparaten von Biontech/Pfizer oder Astra Zeneca schwere Krankheitsverläufe auch im Fall einer Infektion mit der Delta-Variante gut verhindern. Die gemeinsame Effektivität der Impfstoffe in dieser Hinsicht sei so hoch wie bei der zuvor dominierenden Alpha-Variante. Das Risiko für eine Krankenhauseinweisung sei bei den vollständig Geimpften um mehr als 90 Prozent geringer als jenes von Ungeimpften.

Öffnungen kritisiert

Das sorgt für Diskussionen. Am Montag hatte der britische Premierminister Boris Johnson bestätigt, dass die verbliebenen Corona-Maßnahmen in England am 19. Juli aufgehoben werden sollen. Dazu zählen Abstandsregeln und Maskenpflicht. Nachtclubs und Discos dürfen wieder öffnen, für Veranstaltungen gibt es keine Zuschauerbegrenzungen. Eine verbindliche Entscheidung soll kommenden Montag fallen.

Gesundheitsminister Sajid Javid räumte ein, dass sich die Zahl der Neuinfektionen erhöhen werde, womöglich auf bis zu 100.000 täglich. Er wies aber auf den Einsatz von Impfstoffen hin, der die Verbindung von Infektionen mit Krankenhauseinweisungen sowie Todesfällen geschwächt habe. "Die Impfstoffe wirken, sie sind unser Schutzwall", sagte Javid bei Sky News. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben." Bereits für Mitte August kündigte Javid weitere Lockerungen an: Ab dem 16. August sollen sich in England Erwachsene, die vollständig geimpft seien, nach einem engen Kontakt mit einem Corona-Positiven nicht mehr in Selbstisolation begeben müssen.

Ärzte, Gewerkschaften und Opposition kritisierten die geplanten Lockerungen, vor allem die Entscheidung, die Maskenpflicht im Nahverkehr und Handel aufzuheben. Es sei besorgniserregend, dass Johnson die Lockerungen "mit Vollgas" durchsetze, sagte der Chef der Ärztevereinigung BMA, Chaand Nagpaul. Die Gesundheitswissenschafterin Devi Sridhar sprach auf Sky News von einem "massiven Experiment". (Eja Kapeller, Noura Maan, Maria Sterkl, 7.7.2021)