San Francisco – Europa zieht nach, das Zentrum der Welt für Start-ups ist und bleibt aber das Silicon Valley. In die USA zu gehen, ist für europäische Start-ups ein dementsprechend großer Schritt. Daniela Caserotto-Leibert lebt in San Francisco, wo sie für Speedinvest tätig ist, investiert und Firmen beim Ankommen hilft. Dem STANDARD erzählt sie, warum Europäer ihre Sätze kürzen sollten und in welchen Bereichen die Amerikaner anders ticken.

STANDARD: Corona hat die Welt auf den Kopf gestellt, was hat sich im Silicon Valley getan?

Caserotto-Leibert: Corona hat das Valley nachhaltig verändert, die langfristigen Folgen lassen sich noch nicht abschätzen. Heute werden sogar Millionenrunden über Zoom abgeschlossen. Viele alteingesessene Risikokapitalgeber sind vergangenen März nach Hawaii, Florida und Texas abgereist. Niemand weiß, ob sie wiederkommen.

STANDARD: Nur wegen Corona?

Caserotto-Leibert:Nein, das hat auch steuerliche Gründe. Joe Biden plant neue Steuerregeln, und Kalifornien gehört jetzt schon zu den Staaten mit den höchsten Abgaben.

Daniela Caserotto-Leibert rät allen Gründerinnen und Gründern dazu, einen Realitätscheck zu machen, bevor man ins Silicon Valley geht. Das Leben dort ist sehr teuer.
Foto: Speedinvest

STANDARD: Wie lief Homeoffice in den USA?

Caserotto-Leibert: Es war auch hier eine Umstellung. Aber ich denke, in Europa haben sich die Firmen schwerergetan. Im Silicon Valley werden circa 20 Prozent der Angestellten nicht mehr ins Headquarter zurückkehren. Ab Herbst soll es bei Apple, Google und Co eine Vorgabe von zwei Bürotagen geben.

STANDARD: Speedinvest ist bekannt für Start-up-Investments. Wie unterstützen Sie Firmen außer mit Geld?

Caserotto-Leibert: Wir haben vergangenes Jahr "Platform+" gegründet. Das ist ein spezielles Programm, bei dem wir unseren Gründern helfen – zum Beispiel bei rechtlichen Fragen, Personalthemen, mit unserem Netzwerk oder eben der Auslandsexpansion.

STANDARD: Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Sprung in die USA?

Caserotto-Leibert: Es gibt kein allgemeingültiges Rezept für den richtigen Zeitpunkt. Es kommt auf das Team und das Produkt an. Man kann sich aber ständig im Kreis drehen und Zeit verschwenden. Mit Deeptech-Produkten geh lieber heute als morgen nach Amerika, in Europa hält man nicht mit. Im B2C-Bereich hat es Sinn, vorher seinen Heimmarkt zu testen. Es zeichnet sich dann meist schnell ab, ob es Sinn ergibt, diesen großen nächsten Schritt zu wagen.

STANDARD: Wie sehen Amerikaner den europäischen Markt ?

Caserotto-Leibert: Lange haben die großen US-Fonds Europa mehr oder weniger ignoriert, der Markt war zu heterogen und hat im Vergleich zu den USA zu klein gewirkt. Die sind so weit hinten, lautete der Tenor, das hat sich geändert. Europa hat sich als Ökosystem vor allem mit den Uni-Programmen deutlich verbessert und es gibt ein Umdenken bei den Studenten. Früher hat kaum jemand daran gedacht, etwas eigenes aufstellen zu wollen. Die Amerikaner wollen mittlerweile immer früher bei den europäischen Start-ups einsteigen.

STANDARD: Wo liegen die großen Unterschiede?

Caserotto-Leibert: Man braucht dickere Haut, das Feedback ist viel direkter. Generell läuft die Kommunikation anders. Anstatt eines Beistrichs beendet man den Satz. Mehr als 20 Wörter im Satz erträgt ein Amerikaner nicht. Es geht im Gespräch hin und her wie beim Tennis. Europäer reden oft zu lange herum, kommen nicht auf den Punkt, das macht die Amerikaner verrückt.

STANDARD: Ein Kommunikationstraining – und auf zum American Dream also?

Caserotto-Leibert: Nein, auf keinen Fall. Viele sind naiv und glauben, nur weil sie in den USA sind, geht der American Dream von selbst. Man braucht einen gut strukturierten Plan. Vieles lässt sich von Europa aus arrangieren und gewisse organisatorische und bürokratische Dinge gehören an Experten ausgelagert, sonst verlierst du den Fokus auf dein Produkt. Wer wirklich herkommen möchte, muss vorher einen Realitätscheck machen.

STANDARD: Was heißt das?

Caserotto-Leibert: Zum Beispiel, ob man sich das Leben überhaupt leisten kann, oder wie es mit Gesundheitsvorsorge aussieht. Oft lebt die Familie aus Kostengründen außerhalb der Stadt, der Gründer muss aber im Zentrum sein, weil dort die relevanten Leute sitzen. Um als Business zu wachsen ist es wichtig strategische Partnerschaften einzugehen, neue Kunden zu gewinnen, kritische Neueinstellungen vorzunehmen und sich im Ökosystem vor Ort zu verankern. Die ersten beiden Jahre sind sehr hart und bedeuten viele Abstriche.

STANDARD: Bedeutet im Silicon Valley zu leben nie nicht zu arbeiten?

Caserotto-Leibert: Privatleben und Arbeit verschwimmen komplett. Amerika ist bei dieser Trennung viel offener. Wenn es eine Kooperationsmöglichkeit gibt, geht man zusammen Rad fahren oder wandern. Viele meiner Freunde arbeiten bei den großen Konzernen, wir unterhalten uns fast täglich darüber, wer gerade woran arbeitet. (Andreas Danzer, 7.7.2021)