Es gibt vermutlich nicht allzu viele Österreicher, die mit den Namen Irene und Paul Hellmann etwas anfangen können. Das Wiener Ehepaar ist zwar einigen Provenienzforscherinnen und Resitutionsexperten bekannt; vielleicht weiß der eine oder andere Literaturhistoriker vom Briefwechsel zwischen den Hellmanns und Hugo von Hofmannsthal. Musikkennerinnen erinnern sich vielleicht daran, dass ein bekanntes Lied von Richard Strauss ("Schlechtes Wetter", Opus 69, Nr. 5) Irene Hellmann zugeeignet ist. Und Biologiehistorikern sagt womöglich der Name Bernhard Hellmann etwas: Der Sohn des Ehepaars war der beste Freund des Verhaltensforschers Konrad Lorenz und trug mit seinen Tierbeobachtungen nicht unmaßgeblich zur frühen Ethologie bei.

Aus dem Gedächtnis verschwunden

Doch Wikipedia-Einträge für Irene und Paul Hellmann fehlen; aus dem kollektiven Gedächtnis der Kulturnation Österreich ist diese Familie ebenfalls weitgehend verschwunden – so wie es die Ephrussis oder die Gallias lange waren, ehe Edmund de Waal und Tim Bonyhady diese Familiengeschichten in ihren Büchern "Der Hase mit den Bernsteinaugen" und "Wohllebengasse" aufschrieben und sie aus der Vergessenheit zurückholten. Dabei war die Familie Hellmann eine jener jüdischen Familien Wiens, die sowohl ideell wie auch materiell ganz maßgeblich dazu beitrugen, dass die Kunst und Kultur in Österreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre beste und innovativste Zeit hatten.

Das vielfältige Engagement des Ehepaars schloss auch die Salzburger Festspiele mit ein, in deren Frühgeschichte die Hellmanns eine wesentliche Rolle spielten. Aber diese vielfache Unterstützung wurde nicht nur nach 1938, sondern auch nach 1945 vom offiziellen Österreich jahrzehntelang unterschlagen und blieb bis zur neuen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien – "Jedermanns Juden" – ohne jede sichtbare Würdigung.

Kulturbegeistertes Großbürgertum

Der 1876 geborene Paul Hellmann und seine um sechs Jahre jüngere Frau Irene, eine geborene Redlich, entstammten beide jüdischen Industriellenfamilien und waren idealtypische Vertreter des kunst-, literatur- und musikbegeisterten Großbürgertums in Wien um 1900. Das äußerte sich unter anderem darin, dass diese seit 1901 verheiratete Paar enge Kontakte und Freundschaften mit Schriftstellern wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Jakob Wassermann oder Arthur Schnitzler pflegte sowie zu Musikern wie Gustav Mahler, Richard Strauss oder Egon Wellesz, um nur die prominenteren zu nennen.

Paul Hellmann war nicht nur ein kunstsinniger Mäzen, sondern auch ein ausgezeichneter Musiker.
Foto: Privatarchiv Paul Hellmann, Rotterdam

Gustav Mahler etwa nützte das Anwesen der Redlichs in der Stadt Göding (heute: Hodonín in der Tschechischen Republik nahe der Grenze zu Österreich und zur Slowakei) zum Komponieren. Dort arbeitete er unter anderem an seinem letzten großen Werk "Das Lied von der Erde", das angeblich auch im Salon der Hellmanns in der Günthergasse 1 – wohl in Klavierauszügen – zur Uraufführung kam.

Ein offenes Haus für die Kunst

In der repräsentativen Wohnung gleich neben der Votivkirche in Wien fanden regelmäßig Dichterlesungen und Hausmusikabende statt, an denen Paul Hellmann selbst aktiv mitwirkte: Der vermögende Textilfabrikant war ein exzellenter Geiger, besaß drei besonders kostbare Stradivaris und unterstützte unter anderem auch seinen Lehrer, den Geigenvirtuosen Adolf Busch.

In der Wohnung der Hellmanns wurde Franz Strauss, dem Sohn des Komponisten Richard Strauss, "liebevolle Pflege" zuteil, er blieb 1918 "mit viel Cognac von einer Grippe verschont", wie sich der Pflegling noch Jahrzehnte später erinnerte. 1918 war auch das Jahr, in dem Richard Strauss die Heinrich-Heine-Vertonung "Schlechtes Wetter" Irene Hellmann widmete. Der Komponist war auch immer wieder Gast in der Sommerresidenz der Familie in Altaussee, wie auf einigen Fotografien dokumentiert ist.

Regelmäßiger Gast bei den Hellmanns in Altaussee: Richard Strauss mit Irene Hellmann.
Foto: Privatarchiv Paul Hellmann

Enge Vernetzungen

Zur Vernetzung der Hellmanns mit Kulturschaffenden um 1900 trugen einige Verwandte bei, wie etwa Irenes Bruder Josef Redlich, renommierter Jurist und zweifacher kurzzeitiger Finanzminister. Paul Hellmanns Onkel Isidor Singer wiederum war Mitgründer der wichtigen linksliberalen Kulturzeitschrift "Die Zeit", deren Redaktion sich ebenfalls in der Günthergasse 1 befand. Paul Hellmanns Schwager war Fritz Waerndorfer, der Mitbegründer und Financier der Wiener Werkstätte, in die auch Paul Hellmann viel Geld steckte.

Die Kontakte der Hellmanns zu Hugo von Hofmannsthal waren besonders eng. Das ist nicht zuletzt durch die insgesamt 67 Schreiben an Irene und Paul Hellmann dokumentiert. Anfang Dezember 1919 war Paul Hellmann einer der ersten Adressaten von Hofmannsthals Programmschrift "Die Salzburger Festspiele". Im Begleitbrief verlangte es den Dichter, mit dem Mäzen "über die Organisation dieser Salzburger Sache zu sprechen".

Direktoriumsmitglied der Festspiele

Am 21. August 1920 wurde Hellmann dann auf Initiative von Emil Ronsberger bei der dritten Generalversammlung in das Direktorium der Salzburger Festspielhausgemeinde gewählt. Davon zeugt unter anderem eine Fotografie des 14-köpfigen Gremiums sowie der Briefnachlass Paul Hellmanns im Archiv der Salzburger Festspiele.

Paul Hellmann (vorletzte Reihe, Dritter von rechts) Anfang der 1920er-Jahre als Mitglied des Kuratoriums der Salzburger Festspiele.
Foto: Archiv der Salzburger Festspiele

Dort sind noch einige weitere Aufnahmen Hellmanns erhalten: Der Industrielle war nämlich auch begeisterter Amateurfotograf und fertigte zahlreiche Porträts von Protagonisten der Salzburger Festspiele an. Die Fotos – unter anderem von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss – wurden immer wieder im Zusammenhang mit den Festspielen abgedruckt, nicht immer unter Angabe des Urhebers.

Hugo von Hofmannsthal (links) und Richard Strauss, fotografiert von Paul Hellmann.
Foto: Privatarchiv Paul Hellmann, Rotterdam

Die Hellmanns wurden in den ersten Jahren der Festspiele durch Hofmannsthal immer wieder in dessen Pläne eingeweiht und sollten Kontakte zu wichtigen Unterstützern und Finanziers herstellen. Zugleich fungierte Hellmann als Geldgeber für die Festspiele und als eine Art Vermögensberater für Hugo von Hofmannsthal, der sich von ihm über seine Aktienan- und -verkäufe beraten ließ.

Finanzieller Abstieg in den 1920er-Jahren

Als es dann aufgrund des Bruchs zwischen der Wiener und der Salzburger Sektion der Festspielhausgemeinde zu deren Neukonstituierung in Salzburg kam, schied Hellmann Ende 1924 wegen seiner Solidarität mit der Wiener Sektion aus. Etwa um diese Zeit begann auch der langsame finanzielle Abstieg der Familie, die der Kunst- und Kulturszene dennoch verbunden blieb. So verfasste Paul Hellmann noch 1934 für die "Neue Freie Presse" eine Würdigung von Hugo von Hofmannsthals Verdienste um die Salzburger Festspiele aus Anlass seines fünften Todestags.

Während Sohn Bernhard bereits Anfang der 1930er-Jahre in die Niederlande auswanderte und Tochter Ilse, die Psychologie studierte, 1938 noch rechtzeitig nach England emigrieren konnte, harrte das Ehepaar Hellmann nach dem "Anschluss" in Wien aus. Paul Hellmann starb am 9. Dezember 1938, seine Witwe verließ ihre Heimatstadt Anfang 1939. Sie zog allerdings nicht zu ihrer Tochter nach London, die dort eine wichtige Psychoanalytikerin und Kinderpsychologin werden sollte, sondern fatalerweise zu ihrem Sohn Bernhard nach Rotterdam.

Die Deportationskarte von Irene Hellmann, ausgestellt am 3. März 1944.
Foto: Privatarchiv Paul Hellmann, Rotterdam

Nach der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten im Mai 1940 waren Mutter und Sohn im Land gefangen, und es dauerte nicht lange, bis sie sich vor den neuen Machthabern verstecken mussten. Deren Schreckensregime wurde von einem Österreicher angeführt: Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart. Die Lektüre von Irene Hellmanns Briefen, die sie in diesen Verstecken verfasste, ist auch heute noch erschütternd.

Ende in Konzentrationslagern

Bernhard Hellmann wurde im Frühjahr 1943 von einem NS-Sympathisanten verraten, ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort am 2. April 1943 noch vor seinem 40. Geburtstag ermordet. Das Ende seiner Mutter Irene war nicht weniger herzzerreißend: Sie wurde nach Auschwitz deportiert und dort am Tag ihrer Ankunft, am 6. Mai 1944, umgebracht. (In der Zeit dazwischen, am 3. November 1943, komponierte Richard Strauss seinem "lieben Freund und Minister Hans Frank", dem Generalgouverneur im besetzten Polen, einen Kanon.)

Cover des Buchs von Paul Hellmann über seine Großmutter.
Foto: Atlas Contact

Bernhard Hellmanns einziger Sohn Paul, der 1935 in Rotterdam geboren wurde, hat dank einiger glücklicher Zufälle die NS-Zeit in den besetzten Niederlanden überlebt. Er wurde ein bekannter Kultur- und Filmjournalist und hat in den vergangenen Jahren drei Bücher über die tragische Geschichte seiner Familie verfasst, war aber auch Nebenkläger im Prozess gegen den Sobibor-Aufseher John Demjanjuk.

Paul Hellmanns jüngstes Buch handelt vom Leben und vom Ende seiner Großmutter Irene. Keines seiner drei Bücher ist bis heute ins Deutsche übersetzt worden. (Klaus Taschwer, 13.7.2021)

(Dieser Text ist die leicht aktualisierte und erweiterte Fassung eines Texts für den Katalog zur Ausstellung "Jedermanns Juden".)