Wer mehr hat in Deutschland, möge den Gürtel künftig ein weniger enger schnallen. Das steht in mehreren Wahlprogrammen.

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Ein Aufreger im deutschen Bundestagswahlkampf ist derzeit das Buch der Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. In diesem finden sich viele Passagen, die anderswo schon zu lesen waren.

Die Debatte darüber gehört zum Wettbewerb, berührt jedoch das persönliche Leben der Wählerinnen und Wähler nicht – im Gegensatz zu den finanzpolitischen Vorstellungen der Parteien. Mittlerweile liegen alle Wahlprogramme auf dem Tisch, man kann also nachrechnen, ob man von geplanten finanziellen Be- oder Entlastungen betroffen ist.

Schuldenbremse ausgesetzt

"Eine große Steuerreform ist nicht zu erwarten, schließlich hat Deutschland noch mit den finanziellen Folgen der Corona-Bekämpfung zu tun", sagt Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit Blick auf die nächsten vier Jahre. 2022 ist eine Neuverschuldung von rund 100 Milliarden Euro geplant, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird erneut ausgesetzt.

Einig sind sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke: An den Kosten der Corona-Bekämpfung müssen die Reichen stärker beteiligt werden. "Hohe Einkommen und Vermögen sollen mehr zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen, denn Gesellschaften, in denen die Ungleichheit gering ist, sind zufriedenere Gesellschaften", betonen die Grünen in ihrem Wahlprogramm.

Ab zwei Millionen Euro

Ihr Plan: eine Vermögensteuer von einem Prozent für Vermögen ab zwei Millionen Euro pro Person. Sonderregelungen soll es für mittelständische Unternehmen geben.

Zudem wollen die Grünen den Spitzensteuersatz von 42 auf 48 Prozent erhöhen. Auf dem Parteitag hatte es auch eine Forderung nach einem Anstieg auf 53 Prozent gegeben, diese fand aber keine Mehrheit.

Auch die SPD will die seit 1997 nicht mehr erhobene Vermögensteuer wiederaufleben lasen, sie soll ebenfalls für Vermögen ab zwei Millionen Euro ein Prozent betragen und ab 20 Millionen Euro 1,5 Prozent. Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der ja auch Finanzminister in der großen Koalition ist, wirbt außerdem mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent und sagt: "Ich finde es richtig, wenn jemand mit einem so hohen Einkommen wie ich mehr Steuern zahlt."

Linke legt sich mit Mächtigen an

Am weitesten gehen die Pläne der Linken. Sie will den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anheben, für Menschen mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro soll ein Reichensteuersatz von 75 Prozent gelten. Die Vermögenssteuer greift ihren Plänen nach ab einem Freibetrag von einer Million Euro (ein Prozent), ab 50 Millionen sind es fünf Prozent. "Wir sind bereit, uns mit den Mächtigen anzulegen, sagt Spitzenkandidat Dietmar Bartsch.

Diese können hingegen auf Union und FDP hoffen, die die Wohlhabenden nicht extra zur Kasse bitten wollen, was SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil so kritisiert: "Das, was die Union vorlegt, ist ein Programm, bei dem auf den Vorstandsetagen die Sektkorken knallen."

Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) verteidigt hingegen sein "Entfesselungspaket". Dieses sieht eine maximale Steuer von 25 Prozent auf Unternehmensgewinne vor. Im Wahlprogramm heißt es zudem, man wolle "kleine und mittlere Einkommen bei der Einkommensteuer entlasten". Zahlen finden sich keine. "Die Union bleibt sehr vage", meint IW-Experte Beznoska. Und sie vertraut darauf, dass etwaige Steuersenkungen durch ein höheres Wirtschaftswachstum, das dann wiederum für mehr Steuereinnahmen sorgt, finanziert werden.

Herz für Gutverdiener

Ein Herz für Gutverdiener zeigt ganz klar die FDP: Der Spitzensteuersatz, der derzeit ab einem Jahreseinkommen von 58.000 Euro gilt, soll erst ab 90.000 Euro erhoben werden.

Während sich im "oberen Bereich" Gräben auftun, weil nur Sozialdemokraten, Grüne und Linke bei den Reicheren zugreifen, Union und FDP diese aber verschonen wollen, sind sich alle Wettbewerber einig, dass Geringverdiener entlastet werden sollen – etwa durch höhere Freibeträge.

Keine eigenen Steuerpläne hat übrigens die AfD vorgelegt. Sie nennt aber das Konzept des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof (dreistufiger statt progressiver Tarif) ein "gutes Beispiel". Mit dem Konzept war die Union schon in die Wahl 2005 gezogen. (Birgit Baumann aus Berlin, 7.7.2021)