Prekäre Beschäftigung ist an den Universitäten weitverbreitet. Forscher und Forscherinnen hanteln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Manche davon könnten aber von einem neuen Gerichtsurteil profitieren.

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Was in der normalen Arbeitswelt nicht zulässig wäre, ist für Wissenschafterinnen und Wissenschafter an Universitäten der typische Fall: die mehrmalige Aneinanderreihung von befristeten Dienstverhältnissen. Mit dem berüchtigten Paragrafen 109 des Universitätsgesetzes (UG) haben sich die Unis vor zwanzig Jahren eine Sonderregelung ausbedungen, die Kettenverträge ermöglicht. Und sie machen davon weidlich Gebrauch: Rund drei Viertel des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals sind befristet angestellt.

Zehn oder zwölf Jahre

Besonders verbreitet sind Kettenverträge bei Mitarbeitern von Forschungsprojekten, die über Drittmittel finanziert werden. Weil das externe Geld nur für die begrenzte Projektdauer fließt, wollen die Unis für Drittmittelforscher keine unbefristeten Stellen vergeben. Doch auch hier gibt es Grenzen für die maximale Länge der Kette. Eigentlich sechs Jahre; ist das Projekt noch nicht abgeschlossen, kann auf zehn Jahre ausgedehnt werden. Für Projektmitarbeiter in Teilzeit gilt eine noch längere Höchstdauer: acht Jahre respektive zwölf, falls ein Projekt noch zu Ende gebracht wird.

EU-rechtswidrige Schlechterstellung von Teilzeitkräften

Nun aber hat das Arbeits- und Sozialgericht Wien (ASG) befunden, dass die ausufernde Aneinanderreihung befristeter Teilzeitstellen gegen EU-Recht verstößt. Dem STANDARD liegt das Urteil von Ende Juni vor, das eine Chemikerin mithilfe der Arbeiterkammer gegen die Med-Uni Wien erwirkt hat.

Der Fall ist bekannt, weil sich österreichische und europäische Justiz schon öfters damit befasst haben: Die Chemikern hantelte sich über rund 12 Jahre von einem befristeten Vertrag zum nächsten und verlor danach ihren Job, weil die Uni ihren letzten Teilzeitvertrag auslaufen ließ. Sie zog vor Gericht und argumentierte, dass die unterschiedliche Höchstdauer für Vollzeit- und Teilzeitkräfte eine mittelbare Diskriminierung von Frauen darstelle, weil die überwiegend Teilzeit arbeiten.

Das Arbeits- und Sozialgericht hat den Fall 2018 nach einigem Hin und Her 2018 an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung getragen. Dieser hat 2019 ausgeführt, dass die gesonderte Frist für Teilzeitkräfte nur dann europarechtlich gestattet wäre, wenn es an österreichischen Unis sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung mit Vollzeitkräften gebe. Ob dem so ist, musste wiederum das ASG beantworten. Was jetzt eben geschehen ist.

Kettenlänge "exzessiv ausreizen"

Die Med-Uni hatte im Verfahren vorgebracht, dass die Option einer längeren Kette den teilzeitbeschäftigten Forschern eine größere Chance biete, sich in der wissenschaftlichen Karriere zu beweisen, um dann letztlich unbefristet übernommen zu werden. Das Gericht ist dieser Behauptung nicht gefolgt, zumal dafür keine empirischen Anhaltspunkte vorlägen. Vielmehr habe wohl der Gesetzgeber die Höchstbefristungsdauer mit acht beziehunsgweise zwölf Jahren schlichtweg "exzessiv ausreizen" wollen.

Sachliche Argumente für die Ungleichbehandlung bestehen hingegen laut Gericht nicht. Die Vorschrift – konkret Paragraf 109, Absatz 2 des UG – verstoße daher gegen die EU-Richtlinien zu Teilzeit und Gleichbehandlung. (Die Frage einer möglichen Frauendiskriminierung wurde nicht geklärt, weil die verlängerte Teilzeitfrist laut Gericht schon an sich rechtswidrig ist.)

Umwandlungen in unbefristete Verträge

Die Med-Uni Wien hat mittlerweile auf Anfrage erklärt, gegen das Urteil berufen zu wollen und damit in die nächste Instanz, zum Oberlandesgericht Wien, zu gehen.

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, würde folgen, dass sich die Chemikerin tatsächlich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befindet, weil ihre teilzeitspezifisch überlange Befristung auf insgesamt zwölf Jahre nicht rechtens war. Die Arbeiterkammer jubelt und wittert noch viel weitreichendere Konsequenzen.

Ludwig Dvořák, Leiter der AK-Rechtsschutzabteilung, sagt zum STANDARD: "Es gibt sicher zahlreiche Forscher in Drittmittelprojekten, die bis jetzt geglaubt haben, sie seien zulässig befristet. Nach dem Urteil könnte sich herausstellen, dass ihnen in Wahrheit ein unbefristeter Vertrag gebührt."

Verbesserungschance durch rechtliche Prüfung

Die AK ortet "potenziell tausende" rechtswidrige Ketten an den Unis, wiewohl die Differenzierung von Teilzeit und Vollzeit durch die türkis-grüne Uni-Novelle ab Herbst fällt (siehe Infobox unten). Schließlich befinden sich die Wissenschafter ja in Verträgen nach der noch geltenden, alten Fassung des Paragrafen 109. Man empfehle daher allen über Drittmittelprojekte Teilzeitbeschäftigten, deren Dienstverhältnis länger als sechs Jahre dauert, eine rechtliche Überprüfung ihres Status. (Theo Anders, 9.7.2021)