Ab dem Schuljahr 2021/22 können sich die Schülerinnen und Schüler aussuchen, ob sie Religion oder Ethik am Stundenplan stehen haben möchten.

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Im Ethikunterricht hat auch Marko Arnautović Platz. Lehrer Georg Gauß hat die rassistischen Beleidigungen des österreichischen Nationalspielers gegen einen mazedonischen Mitbewerber bei der Fußballeuropameisterschaft als Anlass genommen, um mit seinen Schülerinnen und Schülern über Toleranz, Fairness und Nationalismen bei der EM zu sprechen. "Für diese aktuellen Themen muss unbedingt Platz sein", sagt der Pädagoge, der auch Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Ethiklehrerinnen und -lehrer in Österreich ist.

Nach den Sommerferien sind die Schülerinnen und Schüler der neunten Schulstufe erstmals verpflichtet, Ethikunterricht zu besuchen, wenn sie sich vom Religionsunterricht abmelden oder konfessionslos sind. Der Ethikunterricht wird kontinuierlich ausgebaut, ab 2024 soll er für die gesamte Oberstufe verpflichtend werden. Mehr als zwanzig Jahre Ethik im Schulversuch gehen damit zu Ende, und auch die Freistunde, die es an manchen Schulen für jene gab, die sich von Religion abgemeldet haben, wird damit Geschichte.

"Das ist die beste aller möglichen Möglichkeiten", sagt Gauß von der Bundes-Arge Ethiklehrer. Und sagt damit auch: Die Option, den Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend einzuführen – egal welcher Konfession sie angehören –, ist in Österreich weiterhin unmöglich. "Das war eine politische Entscheidung."

Die Schweiz macht es anders

Bei Österreichs Nachbarn ist das ganz anders. Während der ganzen obligatorischen Schulzeit wird in der deutschsprachigen Schweiz gemeinsamer Ethikunterricht für alle abgehalten, in der Primarstufe als Teil des Sachunterrichts. "Die religiöse Erziehung obliegt der Familie, und der konfessionelle Unterricht ist ein Angebot der Religionsgemeinschaften", erklärt Dominik Helbling, Fachleiter des Bereichs Ethik und Religionen an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Konfessioneller Religionsunterricht könne sehr gut sein, verfolge aber andere Ziele als der Ethikunterricht. "Religionskunde und ethische Fragen gehören an öffentlichen Schulen aus wissenschaftlicher Perspektive behandelt", findet der Didaktiker.

Von Ethikunterricht als Ersatzfach neben Religion hält Helbling deshalb nicht allzu viel. "Es ist notwendig, dass sich alle Schülerinnen und Schüler über die Grundfragen des Lebens und Religionen gemeinsam unterhalten können", sagt er. Klassenzimmer würden immer vielfältiger, die Schülerinnen und Schüler müssten lernen, damit umzugehen, das gehe nur gemeinsam.

Kirchen sind dagegen

Warum ist es in der Schweiz möglich, einen staatlichen Ethikunterricht für alle abzuhalten, in Österreich aber nicht? Anton Bucher erklärt das mit der Geschichte Österreichs. Der römisch-katholische Theologe von der Universität Salzburg hat bereits einige Studien zum Ethikunterricht durchgeführt. Er selbst ist Schweizer. "Die Kirche hat in Österreich historisch einen höheren Stellenwert", sagt er. Er habe mehrmals vorgeschlagen, wie in der Schweiz gemeinsam mit den Religionsgemeinschaften einen allgemeinen Lehrplan für Ethik und Religionen zu entwickeln. Die Antwort: "Das ist bei uns aufgrund unserer Traditionen nicht möglich." Die Kirchen seien eben gegen einen solchen Unterricht.

Für Praktiker Gauß, der selbst Ethik an einem Borg in Niederösterreich unterrichtet, sind diese Diskussionen zweitrangig. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen aus den Schulversuchen geht er von 25 bis 30 Prozent der Schüler aus, die statt Religion den Ethikunterricht besuchen werden. Er ist froh, dass jetzt alle Schülerinnen und Schüler zumindest die Möglichkeit haben, teilzunehmen. "Der Ethikunterricht kann die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft besser abbilden als der Religionsunterricht", sagt er. Er könne den Jugendlichen dabei helfen, ihre Meinungen zu hinterfragen und besser zu argumentieren. Das sei gerade in Zeiten von Social Media und Fake-News sehr wichtig.

Ethik als Orientierungshilfe

Laut brandneuem Lehrplan sollen die Schülerinnen und Schüler im Ethikunterricht zu selbstständiger Reflexion über gelingende Lebensgestaltung befähigt werden, sie sollen Orientierungshilfe bekommen und zu fundierter Auseinandersetzung mit den Grundfragen der eigenen Existenz und des Zusammenlebens angeleitet werden. Die Themen reichen von Formen von Familien über Glaubensgrundlagen und moralische Richtlinien bis zum Komplex Markt und Moral.

Der Religionsunterricht bleibt in der aktuellen Form bestehen und wird weiter von den Religionsgemeinschaften betrieben – sie haben sich in einer schriftlichen Erklärung aber dazu bekannt, auch ethische Grundfragen zu behandeln. (Lisa Kogelnik, 7.7.2021)