Jovenel Moïse im Mai auf Staatsbesuch in Ecuador.

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Port-au-Prince – Laut mehreren Medienberichten ist der Präsident des Karibikstaates Haiti, Jovenel Moïse, in der Nacht auf Mittwoch (Ortszeit) in einer nächtlichen Aktion erschossen worden. Die Berichte beziehen sich auf ein Schreiben des Premiersamtes. Darin heißt es, gegen 1 Uhr Nacht sei eine Gruppe "nicht identifizierter Individuen, von denen einige Spanisch sprachen", in die Kammern des Staatsoberhauptes eingedrungen und hätte Moïse erschossen. Auch seine Gattin Martine Moïse sei verletzt worden, sie befinde sich im Spital.

Interimspremier Claude Joseph, dessen Namen das Kommuniqué trägt, verurteilte die Aktion. Die Sicherheitssituation im Land sei "unter der Kontrolle von Polizei und Militär". Jovenel Moïse hatte bereits am Vortag einen anderen Premier ernannt: den Neurochirurgen Ariel Henry. Er hätte diese Wochen sein Amt antreten sollen.

Henry sollte der siebente Premierminister binnen viereinhalb Jahren sein – ernannt ohne jedes Mitspracherecht des Parlaments, da das Land zurzeit keine Volksvertretung hat. Henry sollte eine Regierung bilden, das Gewaltproblem angehen und den reibungslosen Ablauf der bevorstehenden Wahlen sicherstellen, schrieb Staatspräsident Moïse am Montag auf Twitter. Für 26. September sind Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.

Regierung ohne Parlament

Eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl war unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen. Daher hat Haiti seit Beginn der neuen Legislaturperiode im Jänner 2020 kein Parlament mehr. Moïse regierte seither per Dekret. Daher konnte Henry, ebenso wie sein Vorgänger Joseph, der die Nachricht aus der Nacht unterzeichnet hat, nicht vom Parlament als Regierungschef bestätigt werden, wie es die Verfassung des Karibikstaates vorsieht.

Henry, ehemaliger Innenminister, gehört der sozialdemokratischen Oppositionspartei Inite an. Viele in der Opposition vertreten die Ansicht, die Amtszeit von Moïse sei im Februar zu Ende gegangen. Nach der Präsidentenwahl von 2015 war eine fünfjährige Amtszeit des Staatschefs ab dem 7. Februar 2016 vorgesehen gewesen. Die Wahl war allerdings wegen Betrugs annulliert und Moïse erst ein Jahr später nach einer Neuwahl vereidigt worden.

Auch das Kriminalitätsproblem wuchs

Neben der ausstehenden Parlaments- und der Präsidentenwahl sollte Ende September in diesem Jahr in Haiti auch ein Referendum über eine Verfassungsreform stattfinden. Mit dieser wollte Moïse mehr Macht in Richtung des Exekutive und des Präsidentenamtes verschieben. Die Opposition hatte den Vorschlag aber abgelehnt. Zudem hätte die Abstimmung auch gegen die aktuell gültige Verfassung verstoßen, die Referenden zur Verfassungsänderung explizit verbietet.

Proteste gegen Moïse haben Haiti in den vergangenen Jahren immer wieder lahmgelegt. Ihm werden Korruption und Verbindungen zu gewalttätigen Banden vorgeworfen. Kämpfe solcher Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt Port-au-Prince trieben nach Uno-Zahlen seit Anfang Juni fast 15.000 Menschen in die Flucht. Zugleich nahm auch die Kriminalität zuletzt immer weiter zu, vor allem Entführungen und Lösegelderpressungen machen den Menschen auf der Insel zu schaffen. Rund 4,4 Millionen Haitianer brauchen humanitäre Hilfe. Zudem nahmen die Corona-Neuinfektionen und Todesfälle zuletzt deutlich zu. (APA, mesc, 7.7.2021)