Heitere Körperskulptur, die man ernst nehmen muss: Gelitin performen zusammen mit der "Young Boy Dancing Group" in den Tiroler Stuben des Volkskunstmuseums.

Foto: Birgit Pichler

"Der Anus omnipräsent: Musik, Humor und seine Rolle für den Tourismus", steht da in einem der Wandtexte zu lesen. Ein Schelm, wer da gleich an Arschkriecherei im Dienste stetig steigender Nächtigungszahlen denkt! Nein, hier ist natürlich alles ganz lieb gemeint, sogar ökologisch verträgliches Upcycling wird betrieben. Gelitin haben sich an den Überresten der vorhergehenden Ausstellung bedient, dabei ist der Tiroler Nationalmaler Franz von Defregger zum A-Wort mutiert und so viel Holz aus ausrangierten Stellwänden angefallen, dass sich damit sogar ein drei Stockwerke hoher Strommast ins Museum bauen ließ.

Auf diesem Objekt wurde im Rahmen der Eröffnungstage Ende Juni ebenso eifrig und recht unbekleidet herumgeturnt wie in der im Foyer eingerichteten Tonwerkstatt, die, so heißt es im Begleittext, als "Ursprung aller künstlerischen Praxis" das operative Herz der Ausstellung und der Gelitin’schen Mitmach-Philosophie bildet. Dies bedeutet also: Hier wurde kollektiv geformt und getöpfert – und zwar mit allem, was der menschliche Körper im Grunde so herzugeben hat.

Eine beliebte Praxis

Kurator Florian Waldvogel lud die für ihr anarchisches Treiben berühmte und berüchtigte Künstlergruppe ein, sich mit den Sammlungen und Räumen der Tiroler Landesmuseen auseinanderzusetzen. Das ist eine im Ausstellungsbetrieb an sich recht beliebte Praxis. Schließlich kann ein frischer Blick auf altbekannte museale Objekte durchaus neue Perspektiven eröffnen. Doch wer glaubt, Ali Janka, Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reither hätten sich damit begnügt, einzelne Sammlungsobjekte neu zu inszenieren, täuscht sich gewaltig.

Hier wurde vielmehr Hand bzw. Hintern angelegt – etwa wenn sich Gelitin in einer historischen Tiroler Stube im Volkskunstmuseum als menschlicher Kerzenhalter inszenieren. Und dass sich der Chefpräparator der naturwissenschaftlichen Sammlungen tatsächlich als passionierter Sammler von Penisknochen geoutet hat, fiel bei Gelitin ebenfalls auf durchaus fruchtbaren Boden, wie in der Ü-18-Abteilung der Schau zu sehen ist.

Veitstanz durch die Kirche

Als Highlight der drei eigens für die Ausstellung entstandenen Filmarbeiten entpuppt sich allerdings eindeutig der in Kooperation mit der "Young Boy Dancing Group" entstandene und von Candela Capitàn und Maria Metsalu vollführte Veitstanz durch die Hofkirche, der die berühmten "Schwarzen Mander" ziemlich alt aussehen lässt. Verdrängtes, Unsagbares, Triebhaftes und natürlich Unkontrollierbares ungeniert ans Licht zu zerren gehört zum Grundrepertoire von Gelitin – dazu gibt es auch ein bereits erprobtes Repertoire an Motiven. Im Ferdinandeum gemahnt ein überdimensionaler Diwan mit Orientteppich-Überwurf sowohl an den Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud wie auch an den Künstler Franz West. Auf Postkarten darf man notieren, was man denn eigentlich lieber unter den Teppich kehren würde.

Vogel der Selbsterkenntnis

Dazu passt dann auch bestens, dass Gelitin eine Darstellung des "Vogels Selbsterkenntnis" aus dem Volkskunstmuseum grundsätzlich zum Leitmotiv der Schau erklärt haben, worauf man angesichts der zeichenhaften Reduktion des Motivs allerdings erst einmal kommen muss. Dass sich die Künstler vorgenommen haben, die musealen Räume nicht nur zu bespielen, sondern auch regelrecht zu penetrieren, wird dafür aber spätestens dann deutlich, wenn man aus der Sammlungspräsentation historischer Selbstporträts durch eine in die Wand gehauene Öffnung tatsächlich auf ein halsbrecherisches Balkönchen gelangt. Von dort aus öffnet sich der Blick sodann auf einen Hinterkopf.

Neue Perspektiven wollt ihr eröffnet sehen? Das könnt ihr gerne haben! Allerdings eben nicht in der Museumsvitrine und am liebsten ohne Titel. Dass diese Schau im Pressetext gar mit "Die Schönheit im Hässlichen" überschrieben ist, solle man, so Waldvogel, tunlichst ignorieren.

Die Materialschlacht

Mit derlei Kategorien lässt sich der hier vollführten Materialschlacht in der Tat nicht wirklich beikommen. Auf der Strecke bliebe dabei auch der durchaus launige Hintersinn, der manchen dieser Arbeiten innewohnt. Die Idee zum eingangs erwähnten Saft Mast soll im Tirol-Panorama auf dem Bergisel entstanden sein, wo auch die Geschichte der Teilung Tirols verhandelt wird – samt Brenner-Grenzbalken und dem Pferdekopf eines gesprengten Duce-Denkmals.

Dass sich dieses Jahr die "Feuernacht" zum 60. Mal jährte, in der die Südtirol-Aktivisten dereinst immerhin ganze 37 Strommasten sprengten, blieb im hiesigen Kulturleben bislang doch merkwürdig unbeachtet. Auch darüber könnte man sich Gedanken machen, wenn man nun im Innsbrucker Ferdinandeum unter einem Strommast der Marke Gelitin zu stehen kommt. (Ivona Jelčić, 8.7.2021)