Bild nicht mehr verfügbar.

In Paris kann man sich vor dem Rathaus impfen lassen.

Foto: Reuters/SARAH MEYSSONNIER

Marion Cotillard, Spike Lee und Carla Bruni auf dem roten Teppich – die Glamour-Bilder vom Beginn des Filmfestivals in Cannes haben etwas Trügerisches: Unweit der Treppen, die die Welt bedeuten, haben die Organisatoren ein Zelt aufgebaut, wo pro Stunde 300 Kinogänger auf das Coronavirus getestet werden können.

Das war die Bedingung, dass das Kulturevent an der Côte d’Azur nach einem Covid-19-bedingten Aussetzer im vergangenen Jahr am Dienstag überhaupt starten konnte. Die 20.000 Akkreditierten müssen in Cannes folglich auch einen Impfpass vorweisen können.

Landauf, landab öffnen diese Woche die Sommerfestivals – in Aix-en-Provence für klassische Musik, in Juan-les-Pins für Jazz. Frankreich kann endlich wieder einer Lieblingsbeschäftigung frönen: an einem lauschigen Abend im Urlaubsambiente einer hochstehenden Bühnendarbietung folgen.

Idylle will sich aber nicht überall einstellen. Beim Theaterfestival in Avignon, das erstmals seit 2019 wieder stattfindet, sind Schutzmasken außer auf der Bühne vorgeschrieben – auch die Schauspieler und Techniker müssen sich einmal pro Woche testen lassen. Die Tanzdarbietung einer südafrikanischen Truppe musste bereits abgesagt werden.

Angst vor "riesigem Cluster"

Der zuständige Präfekt Bertrand Gaume warnte vorbeugend: "Wenn sich die Lage verschlimmert, würde das Theaterfestival stark beeinträchtigt." Das Newsportal "France Bleu" sprach es klar aus: Der Präfekt habe Angst vor einem "riesigen Cluster". Deshalb erklärte er die Schutzmasken nun in der ganzen provenzalischen Altstadt für obligatorisch.

In Paris, wo langsam wieder ausländische Touristen herbeiströmen, verfolgen die Behörden die Entwicklung ebenfalls mit Sorge: Der Inzidenzwert war zuletzt auf über 50 Fälle pro 100.000 Einwohner gestiegen. Unter den Zehn- bis 30-Jährigen liegt er klar über 100. Und dieser Wert hat sich binnen einer Woche verdoppelt.

Steigende Zahlen

Es ist fast paradox: Während die Ansteckungszahlen in Frankreich seit Dienstag erstmals seit Wochen wieder steigen, macht sich in der Bevölkerung eine wachsende Nachlässigkeit breit, die sich auch in Impfmüdigkeit äußert. Leere Impfzentren warten vielenorts auf Kunden; einzelne haben bereits geschlossen. Impfdosen müssen entsorgt werden. Dabei haben erst 35 Prozent der Französinnen und Franzosen eine zweite Dosis erhalten.

Das ist zu wenig, um einer etwaigen vierten Welle im Frühherbst oder auch nur der Ausbreitung des Delta-Virus wirksam zu begegnen. Gesundheitsminister Oliver Véran erklärte, die vierte Welle könnte Frankreich schon "Ende Juli", also mitten in den Schulferien, ereilen.

Die Regierung improvisiert deshalb und installiert an Ferienstränden und in Bergstationen in aller Hast mobile Impfzentren, teilweise auch als "Drive-in" für Autofahrer. TV-Spots rühmen die Freiheit – aber natürlich nicht die Entscheidung, auf die Impfung zu verzichten, sondern die Bewegungsfreiheit für die geimpften Personen.

Ferienlaune nicht verderben

Drakonische Maßnahmen hat Präsident Emmanuel Macron bisher unterlassen, er will niemandem die Ferienlaune vergällen. Immerhin denkt er nun darüber nach, die Impfung für einzelne Berufskategorien wie das Pflegepersonal oder Lebensretter wie die Feuerwehr für obligatorisch zu erklären. In den Altersheimen soll weniger als die Hälfte des Personals immunisiert sein.

Einzelne Gewerkschaften sind aber weiterhin gegen ein Obligatorium, da sie jeden Zwang für kontraproduktiv halten. Macron hatte sich im vergangenen Jahr ähnlich geäußert; langsam scheint er sich aber mit einer Impfpflicht zumindest für das Pflegepersonal abzufinden.

Der Chef des Covid-Rates, Jean-François Delfraissy, erinnerte diese Woche daran, dass eine neue Covid-Welle nur durch eine Herdenimmunisierung von 80 Prozent verhindert werden könnte. Frankreich ist noch nicht einmal an der Hälfte dieses Weges angelangt. (Stefan Brändle aus Paris, 7.7.2021)