Die Diagnose schien eindeutig zu sein. Das Ergebnis der Wahl 2020 bestätigte dem Anschein nach, was Experten prognostiziert hatten: Joe Biden entschied das Duell gegen Donald Trump für sich, da Frauen in den gepflegten Vororten, normalerweise und traditionell eher zu den Republikanern tendierend, die Brechstangen-Rhetorik des Amtsinhabers ebenso gnadenlos bestraften wie das ständige Verbiegen der Wahrheit.

Joe Biden holte zwar eine Mehrheit bei den US-Wahlen 2020. Diese aber setzt sich anders zusammen, als man bisher dachte.
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Gewonnen hatte der Herausforderer auch, weil es den Demokraten gelang, schwarze Amerikaner in ihrem Sinne zu mobilisieren. In hart umkämpften Bundesstaaten wie Michigan, Pennsylvania oder Wisconsin war es das Zünglein an der Waage.

Beides stimmt, ist aber nicht die volle Wahrheit. Das Pew Research Center, Washingtons renommiertestes Meinungsforschungsinstitut, hat die analytischen Schnellschüsse dieser Tage um einen detaillierten Befund ergänzt. Die Quintessenz: In manchen Aspekten müssen die Einschätzungen des vorigen Novembers korrigiert werden. Den Ausschlag gaben demnach weiße Männer, indem sie millionenfach von Trump abrückten und zu Biden überliefen.

Wahlfaktor "Suburbia"

2016 hatten weiße, männliche US-Amerikaner ohne Hochschulabschluss den Milliardär aus New York noch mit 50 Prozentpunkten Vorsprung vor Hillary Clinton gewählt. Vier Jahre später schaffte es Biden, den Abstand auf 35 Punkte zu verkürzen. Mit anderen Worten, im viel zitierten Rostgürtel der alten Industrie, häufig als Metapher für das Malocher-Milieu benutzt, ist die Begeisterung für den Unternehmer, der die guten alten Zeiten beschwor, offenbar einer gewissen Ernüchterung gewichen.

Auf hellhäutige Frauen ohne College-Diplom trifft das allerdings weniger zu. Die Hoffnung der Demokraten, gerade sie würden massenhaft auf Distanz zu Trump gehen, erfüllte sich nicht. War der Tycoon 2016 in dieser Gruppe auf ein Plus von 23 Prozent gekommen, so baute er es 2020 noch aus, auf 29 Prozent.

Was die Pew-Analyse ohne Wenn und Aber bestätigt, ist die Tatsache, dass Suburbia, das Amerika der Vorstädte mit den akkurat gemähten Rasenflächen und den Basketballkörben neben der Garagenzufahrt, Trump seine Abneigung spüren ließ. Die elf Prozent Vorsprung, die Biden in Suburbia einfuhr, trugen wesentlich zu seinem Sieg bei. Vier Jahre zuvor hatte Clinton dort noch den Kürzeren gezogen, wenn auch nur knapp, mit zwei Prozent Rückstand auf Trump.

Revision einer lange gültigen Annahme

Definitiv korrigiert werden muss dagegen die Annahme, der demografische Wandel in den USA gehe zwangsläufig auf Kosten der Konservativen. Folgt man der konventionellen Weisheit, schwinden deren Chancen in dem Maße, wie die Latinos, schneller wachsend als jede andere Bevölkerungsgruppe, an Gewicht zulegen. Nach der Niederlage Mitt Romneys zogen republikanische Strategen 2012 den Schluss, dass man von einer harten, gefühlskalten Einwanderungspolitik auf eine weichere, verständnisvollere umschwenken müsse, um Bürger lateinamerikanischer Herkunft nicht dauerhaft zu verprellen.

Doch dann triumphierte Trump, obwohl er für Härte und Abschottung stand, symbolisiert durch den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko. Und 2020 konnte der raubeinige Hardliner der Migrationsdebatte ausgerechnet in Gegenden punkten, in denen Hispanics klar die Mehrheit bilden.

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Es hätte nicht viel gefehlt – und Donald Trump wäre noch immer US-Präsident.
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In einigen Landkreisen der Grenzregion, etwa im Tal des Rio Grande, kam er dicht an Biden heran. Vier Jahre zuvor hatte Clinton die Nase dort so klar vorn, dass Bidens relativ schwaches Abschneiden umso mehr überraschte. In Florida wiederum waren es Trumps düstere Warnungen vor dem Abgleiten in sozialistische Verhältnisse, die Wirkung erzielten – vor allem bei Menschen, deren familiäre Wurzeln in Ländern wie Kuba oder Venezuela liegen. Insgesamt, bilanziert das Pew-Institut, holte Biden bei hispanischen Amerikanern 21 Prozent mehr Stimmen als Trump. Bei Clinton war es noch ein Vorteil von 38 Prozent gewesen.

Die Zeiten ändern sich

Schließlich die Afroamerikaner, seit den Bürgerrechtsgesetzen der Sechziger die verlässlichste Stütze der Demokratischen Partei. Daran hat sich im Großen und Ganzen nichts geändert, allerdings vermitteln Unterschiede zwischen den Generationen ein differenzierteres Bild. Bei über 50-Jährigen kam Trump gerade mal auf vier Prozent, während er bei Schwarzen diesseits der 50 zwölf Prozent holte. Was die Diagnose im Übrigen auch unterstreicht, ist die Reformbedürftigkeit eines von vielen als anachronistisch empfundenen Wahlsystems. Obwohl Biden am Ende um sieben Millionen Stimmen vor seinem Kontrahenten lag, hätte er das Votum nach dem – allein relevanten – Schlüssel des Electoral College um ein Haar verloren. Hätten sich 65.000 Wähler in Arizona, Georgia und Wisconsin anders entschieden, würde Donald Trump noch immer im Weißen Haus residieren. (Frank Herrmann aus Washington, 8.7.2021)