Daniel Ortega mit seinem ehemaligen Kampfgenossen Victor Hugo Tinoco (links). Dem ehemaligen Vize-Außenminister wird vorgeworfen, Sanktionen gegen Nicaragua begrüßt zu haben.

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Das Ehepaar Ortega-Murillo auf einer Wahlkampfveranstaltung.

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Am Donnerstag lief die Frist ab, die Nicaraguas Regierung vom Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zur Freilassung inhaftierter Gegner gestellt wurde. Auch Österreichs Parlament fordert vor der Wahl im Herbst, dass diese frei und demokratisch ablaufen müsse. Geschieht dies nicht, wird eine Ausweitung des bestehenden Sanktionsregimes angedroht.

STANDARD: Sie reisten 1979, wenige Tage nach dem Sturz der Somoza-Diktatur, nach Nicaragua, um die sandinistische Revolution zu unterstützen. Wann fiel Ihnen erstmals auf, dass sich die Dinge in die falsche Richtung änderten?

Jagger: Ziemlich früh. Meine Mutter und meine Schwester merkten bald, dass Daniel Ortega die Ideale der Revolution verrät. Meine Mutter beantragte darauf Asyl in den USA. Als Ortega und die Sandinisten die Spitze des Unternehmerverbandes Cosep einsperrten und dann gegen die indigene Bevölkerung vorgingen, erkannte ich, dass da etwas falsch läuft.

STANDARD: Wie haben Sie die Abwahl der Sandinisten 2006 erlebt?

Jagger: Ich war damals Wahlbeobachterin. Viele Nicaraguaner klagten über das Embargo, die schwierigen Lebensumstände, die schlechte Wirtschaftslage und die Wehrpflicht. Damals wurde allgemein mit einer Mehrheit für die Sandinisten gerechnet. Ich ersuchte Ortega also um einen Termin und erklärte ihm: "Comandante, Sie werden die Wahl verlieren." Er sah mich an, als ob ich vollkommen verrückt sei, er und sein Umfeld waren siegessicher. Damals wurde mir klar, dass Daniel Ortega nie bei einer Wahl antreten würde, die er zu verlieren glaubt. Deswegen hält er jetzt vor der Wahl 27 politische Gegner, darunter sechs potenzielle Präsidentschaftskandidaten, als Geiseln. Darunter sind nicht nur Politiker, Studenten- und Bauernführer, Journalisten und Wirtschaftsvertreter, sondern auch ehemalige Kampfgenossen Ortegas, die es gewagt haben, von der Parteilinie abzuweichen. Dora María Téllez und Hugo Torres sind Revolutionshelden, die Ortega damals aus dem Gefängnis befreit haben.

STANDARD: Erwarten Sie, dass Nicaraguas Regierung zur Präsidentenwahl am 7. November internationale Beobachter zulassen wird?

Jagger: Davon ist nicht auszugehen. Wenn bis zum letzten Tag der Kandidatenregistrierung, dem 2. August, nicht alle politischen Gefangenen freigelassen werden, muss die internationale Gemeinschaft klarmachen, dass sie eine unter solchen Umständen zustande gekommene Regierung für illegal erklärt wird.

STANDARD: Sie waren 2018 in Nicaragua, um Amnesty International zu unterstützen. als Polizei und Milizen die Studenten in der Unan-Universität angegriffen haben, zwei wurden getötet, 45 wurden verletzt.

Jagger: Wir hatten gerade den Amnesty-Bericht "Schießen um zu töten" präsentiert, der aufzeigt, dass Ortega Kriegswaffen gegen die Zivilbevölkerung einsetzt und Scharfschützen auf die Köpfe von Demonstranten zielen. Die Demonstration am 30. Mai, dem Muttertag, an der ich teilnahm, war eine der größten, die Nicaragua je erlebt hatte. Frauen, Kinder, alte Leute zogen durch die Hauptstadt, als die Scharfschützen plötzlich das Feuer eröffnete. An diesem Tag tötete das Ortega-Regime 19 Menschen, 185 wurden verletzt.

Bianca Jagger bei der Muttertags-Demonstration in Managua.
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An diesem Tag besuchte ich auch die Studenten, die sich in der Universität verbarrikadiert hatten, später wurde diese von der Polizei gestürmt.

Unan-Universität, Managua, 30t. Mai 2018.
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STANDARD: Seit 2006 hat Nicaragua eines der wohl schärfsten Abtreibungsgesetze Lateinamerikas, das sogar bei Gefahr für das Leben der Mutter einen Schwangerschaftsabbruch untersagt. Warum hat es eine Partei, die von vielen Europäern für links gehalten wird, nach ihrem Wahlsieg im November jenes Wahljahres 2006 nicht geändert?

Jagger: Ortega war nie besonders katholisch, einer der wichtigsten Anführer der Konterrevolution war Kardinal Miguel Obando y Bravo. Der Kardinal hatte, besagen Gerüchte, ein oder zwei Kinder, von denen einem eine Anklage wegen Korruption drohte. Er wandte sich also an Ortega, und über Nacht wurde der erbittertste Gegner des Präsidenten zu dessen Unterstützer. Hier geht es nicht um links gegen rechts, sondern um Recht gegen Unrecht. Daniel Ortega ist nicht der romantische Revolutionär, als den ihn viele immer noch betrachten, sondern ein brutaler Mörder, der Frauen und Kinder umbringen lässt, weil sie Freiheit und Demokratie fordern. Er hat sich mit den reichsten Familien des Landes verbündet, ihnen Steuervorteile gewährt und neoliberale Praktiken eingeführt, das würde keine linke Regierung tun. (Bert Eder, 9.7.2021)