Tusks politische Kunst bestand immer darin, unterschiedliche Interessen und Positionen zu bündeln, sich nicht festzulegen, sagt Piotr Buras vom Thinktank European Council on Foreign Relations im Gastkommentar. Heute jedoch erwarten die Bürger klare Kante.

Seit Samstag führt der frühere EU-Ratspräsident Tusk wieder Polens Bürgerplattform an.
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Er ist wieder da. Donald Tusk übernimmt den Vorsitz der polnischen Oppositionspartei Bürgerplattform. Kaum eine andere Nachricht sorgte in den letzten Jahren für mehr Aufregung in der polnischen Politik. Nach sechs Jahren in Brüssel kehrt nun der erfolgreichste polnische Politiker der letzten 30 Jahre in die Heimat zurück. Sein Ziel: das Böse zu vertreiben. Damit ist der Populist Jarosław Kaczyński gemeint, sein langjähriger Widersacher, der mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Polen in einen halbautoritären Staat verwandelt.

Mit 64 Jahren schickt sich Tusk also an, den womöglich wichtigsten Kampf seines politischen Lebens zu bestreiten. Die manichäische Sprache – der Kampf zwischen Gut und Böse – soll die Energie der liberalen Polen wecken. Sie müssen die sichtlich verlorene Hoffnung auf einen Machtwechsel wiedergewinnen, bevor die Demokratie endgültig abgeschafft wird. Die enorme Polarisierung, die sich aus dieser Gegenüberstellung ergibt, ist auch ein Versuch, die Konstellation aus den Jahren 2005 bis 2015 wiederherzustellen. Damals stellten die Personalien Tusk und Kaczyński sowie der Konflikt zwischen ihnen unangefochten die Weichen der polnischen Politik. Aber eine Rückkehr in die Vergangenheit ist nicht mehr möglich. Dies macht Tusks Aufgabe zum Pokerspiel mit einem offenen Ausgang.

Heterogenere Gesellschaft

Polen ist heute ein anderes Land, als Tusk es vor sechs Jahren Richtung Brüssel verließ. Nur wenige glauben, dass die Wiederauflage des Kampfs der Giganten dem Land zugutekäme. Die Gesellschaft ist heterogener geworden. Frauenbewegung, Klimaaktivisten, Kampagnen für die Minderheitsrechte spielen eine viel größere Rolle und verändern das politische Leben. Tusks politische Kunst bestand immer darin, unterschiedliche Interessen und Positionen zu bündeln, sich nicht festzulegen und damit für eine breite Masse attraktiv zu bleiben.

"Die Bürger erwarten klare Kante und vor allem konkrete Ideen für die Zukunft des Landes."

Seine Kritiker sprachen von einer Politik des "lauwarmen Wassers im Wasserhahn" – freundlich, aber nicht ambitioniert. Heute erwarten die Bürger klare Kante und vor allem konkrete Ideen für die Zukunft des Landes. So ist auch die Kaczyński-Partei 2015 an die Macht gekommen, mit Sozialpolitik, die reale Probleme der Wähler zu lösen versprach, und einem Nationalstolz, der ihre Herzen eroberte. So sehr viele Polen die Nase voll von Kaczyński haben, ist seine Partei mit 30 Prozent nach wie vor die stärkste Kraft im Land und wird sich mit einer bloßen Schwarz-Weiß-Rhetorik nicht aus den Schaltstellen der Macht jagen lassen.

Neue Konkurrenz

Tusk weiß, dass er die Rolle des Anführers der gesamten Opposition für sich – noch – nicht reklamieren kann. Darin besteht auch der Unterschied zu 2015. Damals war seine Position unangefochten. Heute ist die Bürgerplattform in den Umfragen von einem neuen Konkurrenten, der Partei Polen2050, geführt vom eloquenten TV-Star Szymon Hołownia, überholt und stagniert bei 15 Prozent. Viele Wähler kehren nicht mehr zurück, 49 Prozent der Polen glauben nicht daran, dass Tusk wieder Premierminister wird. Nur 27 Prozent sind gegenteiliger Meinung.

Es ist daher kein Zufall, dass sich der Danziger in erster Linie seiner eignen Partei verpflichtet fühlt. Er soll sie aus dem aktuellen Schlamassel retten und zur stärksten Oppositionskraft machen, indem er den Konkurrenten in der Opposition etwas Wasser abgräbt. Kein Wunder, dass diese seine Rückkehr mit Interesse, aber nicht immer mit Sympathie beäugen. Sollte er viele Wähler mobilisieren, könnten alle Demokraten davon profitieren und nach den Wahlen 2023 eine gemeinsame Front bilden. Es kann aber auch nach hinten losgehen – Tusk mobilisiert seine Anhänger genauso wie seine Gegner. Seit seinem Auftritt am vergangenen Samstag attackiert ihn die PiS-Propaganda mit allen Mitteln aufs Heftigste. Diese Schlammschlacht wird noch lange weitergehen.

Neue Dynamik

Skepsis ist also geboten, ob der Retter auf dem weißen Pferd, wie über Tusk oft gewitzelt wird, erfolgreich sein kann. Dabei ist sein erneutes Engagement für alle liberal-demokratisch Gesinnten eine gute Nachricht. Er bringt eine Dynamik mit sich und mischt die politische Landschaft neu auf. Seine Führungsqualitäten und sein Charisma sind enorm, zumindest für polnische Standards. Eine Vision für Polen hat er gleichwohl noch nicht verraten. Dass das Land europäisch bleiben, rechtsstaatlich regiert und dezentralisiert sein muss, steht für ihn fest. Um nach der Kaczyński-Ära eine umfangreiche Erneuerung einzuleiten und die Bürger für sie zu begeistern, wird er aber auch Antworten auf viele Fragen finden müssen, vor denen er sich in der Vergangenheit drückte: Energietransformation, Wohlfahrtsstaatlichkeit oder das Verhältnis von Staat und Kirche.

Polen steht heute am Scheideweg. In den nächsten zwei Jahren wird sich entscheiden, ob das Abrutschen ins Autoritäre aufzuhalten ist. Es ist nur folgerichtig, dass der überragende Politmensch Tusk dabei mitwirken will. In den letzten 15 Jahren war er der Einzige, der gegen Kaczyński – mehrmals – gewonnen hat. Nun hat er seine Chancen wieder gewittert. (Piotr Buras, 8.7.2021)