Im vergangenen Sommer formierte sich eine breite Protestbewegung gegen die Führung.

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Bojko Borissow muss wahrscheinlich seinen Posten als Regierungschef räumen.

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Es sieht nicht gut aus für Bojko Borissov. Bei den Wahlen am kommenden Sonntag wird seine Klientelpartei GERB wohl noch schlechter abschneiden als im April. Der erneute Urnengang wurde notwendig, weil die GERB und die zweitgereihte Partei "Es gibt so ein Volk" von Slavi Trifonov nicht in der Lage waren, eine Regierung zu bilden. Umfragen zufolge liegt Borissovs Partei bei etwa 21 Prozent. Weiter zugelegt hat indes die Partei "Es gibt so ein Volk", aber auch die bürgerorientierte Reformpartei "Demokratisches Bulgarien".

Trifonov könnte nach der Wahl eine neue Regierung mit diesen Reformkräften und unter Ausschluss der GERB bilden. Zurzeit liegt "Es gibt so ein Volk" liegt bei etwa 17 bis 20 Prozent. Trifonov ist vor allem bei der Landbevölkerung wegen seiner TV-Shows seit Jahrzehnten beliebt, er spielt jedoch auf der nationalistischen Klaviatur, und seine Parteifreunde bedienten während der Pandemie wissenschaftsfeindliche Theorien. Trifonov ist erstmals bei den Wahlen im April angetreten, nun kandidiert er aber nicht mehr für das bulgarische Parlament, sondern kündigte an, sich einen Position in einer anderen Institution vorstellen zu können. Deshalb wird gemutmaßt, das Trifonov sich entweder auf das Amt des Premierministers oder das des Staatspräsidenten vorbereitet.

Korruption und Erpressung

Die Opposition ist allerdings sehr zersplittert und hat inhaltlich wenig Gemeinsamkeiten, außer den Willen, Borissov abzulösen. Eine Regierungsbildung scheiterte bisher daran, dass die Reformparteien nicht mit den prorussischen Sozialisten zusammenarbeiten wollen. Borissovs Macht ist jedenfalls im Schwinden, obwohl die Wahlergebnisse jenen vom April wohl ähneln werden. Doch die GERB hat weiter an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Seit Mitte Mai regiert ein Übergangskabinett unter dem Verteidigungsexperten Stefan Janew, das auch versuchte, Korruption und intransparente Machenschaften der langjährigen Borissov-Regierung aufzudecken.

Die nationalkonservative GERB muss sich mittlerweile sogar mit Erpressungsvorwürfen auseinandersetzen. Der Grundbesitzer und Landwirt Svetoslav Ilchovski sagte etwa vor einer parlamentarischen Untersuchungskommission aus, dass ihn Vertreter der GERB aufgefordert hätten, kein Land mehr zu kaufen, seine Produkte zu geringeren Preisen anzubieten, und dass er zusätzliches Geld für die Wasserversorgung ausgeben musste. Die Ministerin für regionale Entwicklung, Petja Avramowa habe ihm gedroht, ihn andernfalls gerichtlich verfolgen zu lassen und sein Geschäft zu schädigen.

Die GERB weist die Anschuldigungen zurück. Und Borissov sagte: "Jede Person, die mich jemals attackiert hat, hat verloren." Die parlamentarische Untersuchungskommission wurde von den Oppositionsparteien ins Leben gerufen und wird von der früheren Ombudsfrau und jetzigen Chefin der Partei "Steh auf, Bulgarien", Maja Manolova, geführt.

Imageschaden nach Lauschangriff

Für einen veritablen Skandal sorgten die Abhöraktionen, die ans Licht kamen. Der Innenminister der Übergangsregierung, Bojko Raskov, bestätigte, dass Mitglieder der drei Oppositionsparteien vom Geheimdienst vor den Wahlen im April abgehört worden waren. Im Innenministerium wurden nun während der Übergangsregierung einige wichtige Posten neu besetzt und Borissovs Vertraute entfernt.

Der absolut undemokratische, illegale, einem EU-Staat unwürdige Lauschangriff hat auch einen enormen Imageschaden zur Folge. Die USA distanzieren sich sichtbar von Borissov. Kürzlich hat die Biden-Administration Sanktionen gegen die hochrangigen Regierungsvertreter Alexander Manolev, Petar Haralampiev, Krasimir Tomov und gegen den früheren Glücksspielunternehmer Wasil Boškov, den früheren Abgeordneten, Medientycoon und Oligarchen Dejan Peevski und den früheren Chef des Geheimdienstes Ilko Željazkov wegen Korruptionsvorwürfen verhängt.

Bestechungsgelder

"In ihren offiziellen Funktionen als stellvertretender Wirtschaftsminister, Direktor der staatlichen Auslandsbulgarenagentur und als Chefsekretär der Staatsagentur für Auslandsbulgaren waren Manolev, Haralampiev und Tomov in korrupte Handlungen verwickelt, die die Rechtsstaatlichkeit untergruben und das Vertrauen der bulgarischen Öffentlichkeit in die demokratischen Institutionen und öffentlichen Prozesse ihrer Regierung beschädigten, auch indem sie ihren politischen Einfluss und ihre offizielle Macht zum persönlichen Vorteil nutzten", so das US-Außenamt Anfang Juni.

Peevski soll Željazkov als Vermittler und Komplizen benutzt haben, um Bestechungsgelder zu zahlen, um sich vor öffentlicher Kontrolle zu schützen und Einfluss auf Schlüsselinstitutionen und Sektoren der bulgarischen Gesellschaft zu erhalten. Peevski war einer der wichtigsten Unterstützer von Borissowv Er und Boškov haben sich mittlerweile nach Dubai abgesetzt.

Kontroverser Generalstaatsanwalt

Seit Jahren ist die fehlende Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien einer der Hauptgründe, weshalb viele Bürger das Land verlassen. Im Sommer des vergangenen Jahres formierte sich eine landesweite Protestbewegung gegen den Amtsmissbrauch und die Korruption. Die Vorwürfe: Einige reiche und einflussreiche Personen können es sich richten und geniessen Privilegien, während viele andere in sozial und wirtschaftlich prekären Verhältnisse leben müssen. Die Regierung Borissov hat nichts unternommen, um die Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in Bulgarien zu stärken.

Im Mittelpunkt der Kontroverse um die Rechtsstaatlichkeit steht seit Jahren der Generalstaatsanwalt Iwan Gešev, der von Borissov unterstützt wird und als Mastermind der Beziehungen zwischen Justiz, Politik und Wirtschaft gilt. Die Opposition fordert Geševs Ablöse. Die GERB von Borissov gehört zur Europäischen Volkspartei (EVP). Anders als die ungarische Fidesz unter Viktor Orbán ist von der GERB keine EU-feindliche Rhetorik zu hören, sehr wohl aber nationalistische Propaganda, etwa gegen das Nachbarland Nordmazedonien, dessen Beitrittsverhandlungen von Sofia verhindert werden. (Adelheid Wölfl, XX.7.2021)