Bezeichnend für den Umgang des Bundesheeres mit der NS-Zeit war über Jahrzehnte seine Teilnahme an der Gedenkfeier auf dem Kärntner Ulrichsberg. Seit 2009 nimmt es nicht mehr daran teil.

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Vergangene Woche kündigte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die "lückenlose Aufarbeitung der Rolle der Polizei im Nationalsozialismus" an. "Als erstes Ministerium", wie in einer Pressekonferenz betont wurde. Auch werde die Zeit nach 1945 aufgearbeitet, da sich nach dem "Ende des Zweiten Weltkrieges die österreichische Exekutive nur langsam von ihrem nationalsozialistischen Erbe lösen konnte". Dies führte dazu, dass etwa ehemalige Angehörige von SS-Mordeinheiten in hohen Positionen auftauchten, oder jener Polizist, der das jüdische Mädchen Anne Frank verhaftete, in Wien seinen Dienst versehen konnte.

Angeheuert auf Werkvertragsbasis

Anders als das Innenministerium sieht das Landesverteidigungsministerium die Geschichte des Bundesheeres nach 1945 "wissenschaftlich sehr gut erforscht", wie Pressesprecher Oberst Michael Bauer sagt. Und er führt aus, dass laut Staatsvertrag "keine Offiziere mit Dienstgrad Oberst und höher – und dem analogen Dienstgrad in der SS beziehungsweise Waffen-SS – in das Bundesheer der Zweiten Republik übernommen" werden durften. Ein Verbot, das allerdings mit einem Trick umgangen wurde, mit dem das Bundesheer mindestens über ein Dutzend hoher Wehrmachtsoffiziere engagieren konnte. Sie wurden einfach als zivile Angestellte angeheuert. So arbeitete etwa der ehemalige Wehrmachtsgeneral und Spezialist für Festungsbau, Max Stiotta, zwischen 1957 bis 1962 auf Werkvertragsbasis für das Heer. Über ein Dutzend vergleichbarer Fälle sind bis jetzt bekannt, wie aus der Diplomarbeit ("Der Oberstenparagraf im Bundesheer") von Peter Barthou hervorgeht.

Wehrmachtsspionage, Gestapo und dann Chef des Heeresnachrichtenamts

Auch in den Reihen des Heeresnachrichtenamts sind Wehrmachts- und SS-Leute an federführender Stelle untergekommen. Mit Kurt Benno Fechner stand dem Nachrichtendienst des Bundesheeres von 1955 bis 1962 ein Mann vor, der zuvor für die Wehrmachtsspionage und die Gestapo gearbeitet hatte. Seine Tätigkeiten für "Führer und Reich" wurden besonders gewürdigt, indem er zum "Ehrenarier" ernannt wurde, damit der jüdische Teil seiner Familie kein Problem für ihn wurde. Im Heeresnachrichtenamt war auch Alexander Kragora als Abteilungsleiter tätig, der in einer Vitrine seiner Villa seine Offiziersuniform der Wehrmacht samt Orden ausstellte. Im Jahr 1986 wurde bekannt, dass Kragora in den 1970er-Jahren gesammeltes Material über die Kriegsvergangenheit des späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim verschwinden ließ. In Kärnten stand dem Nachrichtendienst ein ehemaliger SS-Mann vor, der bei einer Spionage- und Sabotagetruppe aktiv war.

Höchster Soldat des Landes war bei einer Nazi-Geheimorganisation

Seine Vergangenheit holte den höchsten Soldaten des Landes 1983 ein. In diesem Jahr wurde öffentlich, dass der damalige General und Armeekommandant, Ernest Bernadiner, einer Nazi-Geheimorganisation beigetreten war. Er war 1937 Mitglied des verbotenen Nationalsozialistischen Soldatenrings (NSR), einer Organisation, deren Ziel es war, "einen Aufstand einzelner Truppenkörper (…) in Zusammenarbeit mit der NSDAP-Landesleitung vorzubereiten". 1938 trat Bernadiner der NSDAP bei. Nachdem seine Vergangenheit aufgeflogen und für innenpolitischen Wirbel gesorgt hatte, blieb Bernadiner nicht mehr lange Armeekommandant. 1984 nahm er seinen Abschied.

Handschlag

Ein Jahr später begrüßte der amtierende FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager den zuvor aus italienischer Haft entlassenen NS-Kriegsverbrecher Walter Reder per Handschlag, was einen internationalen Skandal und eine Regierungskrise zwischen den damaligen Koalitionspartnern SPÖ und FPÖ auslöste. Der SS-Sturmbannführer Reder war maßgeblich für die Zerstörung der Stadt Marzabotto und anderer Dörfer nahe Bologna im August und September 1944 verantwortlich, die mehrere hundert Zivilisten das Leben kostete. Es war eines der schlimmsten Kriegsverbrechen deutscher Soldaten auf italienischem Boden während des Zweiten Weltkrieges. Mit der Ermordung der Zivilisten wurde versucht, den Kampfgeist kommunistischer Partisanengruppen zu brechen. Ihn mit Handschlag zu begrüßen wurde weltweit als Affront gegenüber den Opfern und deren Angehörigen gesehen.

Bundesheer am Ulrichsberg

Bezeichnend für den Umgang des Bundesheeres mit der NS-Zeit war über Jahrzehnte die Gedenkfeier auf dem Kärntner Ulrichsberg. Erst seit dem Jahr 2009 nimmt das Bundesheer nicht mehr daran teil – zuvor kümmerte es sich darum, betagte Besucher und Besucherinnen auf den Berg zu chauffieren. Auch standen Soldaten vor den Denkmälern von SS-Divisionen stramm, die sich maßgeblich am Holocaust und zahllosen Kriegsverbrechen beteiligt hatten.

Jörg Haider am Ulrichsberg. Der FPÖ-Chef kam 2008 bei einem Autounfall ums Leben.
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Die Feier ist seit den 1950er-Jahren ein zentrales Treffen von Alt- und Neonazis, zu dem sich in der Vergangenheit auch regelmäßig Politiker beinahe aller im Parlament vertretenen Parteien gesellten, da sie sich von ihren Auftritten Wählerstimmen erhofften. 1995 bezeichnete der damalige FPÖ-Chef und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider bei einer Veranstaltung im Rahmen des Treffens ehemalige Mitglieder der Waffen-SS als "anständige Menschen, die einen Charakter haben und die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind". Dieser, damals von deutschen Medien aufgedeckte Skandal sorgte bei den kurz darauffolgenden Nationalratswahlen für Stimmenverluste für die FPÖ. Mittlerweile wird die jährlich stattfindende Gedenkfeier beinahe ausschließlich von Rechtsextremen besucht.

Unklarheiten

Wie viele ehemalige SS-Männer beim Heer und seinen Nachrichtendiensten untergekommen sind, kann das Landesverteidigungsministerium nicht sagen. Auch nicht, wie viele beim Nationalsozialistischen Soldatenring waren. Zur "Beantwortung Ihrer Fragen darf ich Sie an einen Historiker verweisen", sagt Sprecher Bauer.

"Es wäre an der Zeit, sich diesem Kapitel Zeitgeschichte zu stellen"

Der Historiker und Buchautor ("Österreichs geheime Dienste") Thomas Riegler sieht noch Arbeit bei der Aufarbeitung der Geschichte des Bundesheeres. Besonders in Bezug auf dessen Nachrichtendienste. "Man könnte sich ein Beispiel an Deutschland nehmen", sagt Riegler. Dort wurde erst 2019 die Geschichte des Militärischen Abschirmdienstes MAD in den Jahren 1956–1990 aufgearbeitet. "Ein Thema darin waren die personellen Kontinuitäten in der Nachkriegszeit. Etwas Vergleichbares gibt es in Österreich bislang nicht. "

Die Gründungsgeschichte der Gruppe Nachrichtenwesen, Vorläufer des heutigen Heeresnachrichtenamts, ist nur in Umrissen bekannt. Allerdings ist erwiesen, dass auch hier ehemalige Angehörige der Wehrmachts-Generalstabsabteilung Fremde Heere Ost eine wichtige Rolle spielten. Aber auch "Veteranen" wie Maximilian Ronge, letzter Chef der Nachrichtenabteilung des k. u. k. Armeeoberkommandos, waren beteiligt. Riegler: "Es wäre an der Zeit, sich diesem Kapitel Zeitgeschichte zu stellen." (Markus Sulzbacher, 9.7.2021)