Der Schlüssel zum Erfolg liegt laut der Arbeits- und Organisationspsychologin Damla Nalbant in einem höchstmöglichen Maß an Transparenz, Mitbestimmung und Kommunikation.
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Fair, transparent, nachvollziehbar: Neue Gehaltssysteme sind en vogue und sollen die Mitarbeiterzufriedenheit und die Produktivität steigern. Das war auch unsere Intention beim Start der sogenannten Gehaltsgilde vor rund drei Jahren. Zudem war klar, dass ein traditionelles Gehaltsgespräch, dessen Ausgang oft auf dem Verhandlungsgeschick des Einzelnen beruht, nicht mehr zu uns passt. Denn als agiles Beratungsunternehmen, das selbst nach agilen Prinzipien arbeitet, gilt bei uns das Motto "Frag das Team". Warum nicht also auch – in aller Konsequenz – den Gehaltsprozess so gestalten?

Die Gehaltsgilde räumt Mitarbeitenden ein Mitspracherecht ein und beteiligt sie am Beurteilungssystem. Dabei leitet sie die Gehälter vom Nutzen des jeweiligen Mitarbeitenden für das Unternehmen ab. Doch damit so ein System in der Praxis für alle Beteiligten fruchtet, müssen zunächst die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Aus unserer Erfahrung entscheiden folgende Faktoren über den Erfolg:

  1. Freiwilligkeit, Diversität und eine faire Bewertungsgrundlage Die Mitglieder unserer Gilde rekrutieren sich je Team aus einem Vertreter bzw. einer Vertreterin mit Projekt- oder Teamverantwortung sowie jeweils einem freiwillig gelosten Vertreter bzw. einer freiwillig gelosten Vertreterin aus den unterschiedlichen Ebenen unserer Beraterinnen und Berater (Junior, Management, Senior und Executive Consultant). Sie treffen gemeinsam Gehaltsentscheidungen zu allen Teilnehmenden in der Runde. Damit eine faire Beurteilung möglich ist, muss zudem zu jeweils einem Mitglied mindestens eine Person aus der Gilde Feedback geben können. Wichtig: Der Chef hält sich raus. Vor dem Start der Gilde gibt er lediglich – ein positives Unternehmensergebnis vorausgesetzt – das Gesamtbudget für Erhöhungen frei.
  2. Gehaltsbänder legen den Rahmen fest Gehaltsbänder sind Rahmen, in denen sich das Gehalt der Mitarbeitenden je nach Level minimal und maximal bewegen sollte. Diese Rahmen werden jährlich, bei jedem neuen Durchgang der Gilde, überprüft und angepasst. Sie sorgen für gleichberechtigte Gehälter innerhalb der Level.
  3. Externe, objektive Unterstützung Die Idee zur Gehaltsgilde entsprang einer Teilnahme bei der österreichischen Equal-Pay-Initiative, die von einer externen Beratung moderiert wurde. Diese begleitete uns auch auf dem Weg zu unserer Gehaltsgilde. So konnte jederzeit die Objektivität bei diesem sensiblen Thema gewahrt werden.
  4. Objektive und nachprüfbare Kriterien der Leistung Für die Einschätzung der unterschiedlichen Leistungen ziehen wir Stellen- und Kompetenzprofile heran. Die Gilde bewertet beispielsweise die Auslastung, das Methoden-Know-how oder Führungs- beziehungsweise Prozesskompetenz. Damit es bei den zu Beurteilenden gar nicht erst zu psychologischen Verzerrungseffekten kommen kann, holen sich alle Personen quartalsweise kontinuierliches Feedback von Mitarbeitenden ihrer Wahl ein. Die Gehaltsgilde würdigt diese Einschätzungen und gleicht die objektiven Kriterien ab. Mit diesem Überblick über die zu beurteilenden Kollegen werden alle Mitarbeitenden in Relation zueinander von den Gildenmitgliedern geschätzt. Dabei kommt Magic Estimation zum Einsatz, eine aussagekräftige Methode basierend auf Scrum. Zudem wenden wir die Merit-Grid-Matrix an, um in allen Bereichen ausgewogene Gehaltserhöhungen zu gewährleisten. Sie bildet die logische Verteilung der Gehälter je nach Leistungsverhalten und Stufe im Gehaltsband ab. Dabei gilt: Je höher jemand innerhalb des Gehaltsbands seines Levels eingestuft ist, desto weniger kann sich das Gehalt erhöhen.
  5. Offenheit und Vertraulichkeit Das Fortkommen der Gilde wird im Unternehmen transparent gemacht, ebenso das Gesamtergebnis: Wie viel Budget wurde in Summe ausgeschüttet? Wie viel Erhöhung gab es im Durchschnitt bei welcher Lage im Band? Jedoch: Die Informationen, die die direkte Bewertung sowie konkrete Gehälter der Einzelnen betreffen, bleiben vertraulich. Auch die individuelle Erhöhung wird jedem Gehaltsgildenmitglied separat mitgeteilt.

Mitsprache und Struktur

Eine Gehaltserhöhung honoriert nicht nur die gesteigerte Leistung, sondern fungiert auch als Anreizsystem. Dennoch belegt eine aktuelle Studie, dass intrinsische Faktoren wie eine "herausfordernde Arbeit" von rund 64 Prozent der Befragten unter dem Aspekt der Belohnung höher eingestuft werden als die Vergütung mit lediglich 57 Prozent. Doch noch immer sind Bonuszahlungen, gekoppelt an die Leistung, in vielen Unternehmen gang und gäbe. Dabei besteht die Gefahr, einen ausgeprägten Egoismus zu fördern, der die Unternehmensziele und die Zusammenarbeit mit den Kollegen zugunsten einer Chance auf den Bonus zurückstellt. Bei der Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung hingegen muss der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin im Zweifel auch die Risiken eines Kapitalverlustes mittragen.

Demgegenüber stehen Modelle, die auf Wahlfreiheit und ergänzenden Anreizen, sogenannten Incentives, beruhen. So geht es etwa beim Cafeteria-Modell darum, Mitarbeitenden Entscheidungsfreiheit bei der Wahl von Weiterbildungen, Urlaubstagen und anderen Benefits zu lassen. Bei einem solch offen gestalteten Modell besteht jedoch die Gefahr, dass Mitarbeitende schnell den Überblick verlieren und überfordert sind. Zudem ist ein hoher Verwaltungsaufwand notwendig, und auch die Kosten sind nicht zu unterschätzen. Eine Gehaltsgilde schafft unserer Erfahrung nach einen guten Mittelweg, indem sie einerseits ein Mitspracherecht einräumt, mit einem ausgeklügelten System aber auch Struktur gibt. Gleichzeitig sind die Kosten kalkulierbar und Benefits außerhalb des Rahmens zusätzlich möglich.

Das Gehalt ist wahrscheinlich das sensibelste Thema in einem Unternehmen. Die Gehaltsfindung soll gerecht sein, doch das Streben nach Gerechtigkeit ist geprägt von Missverständnissen und persönlichen Ansichten, und selten sind alle rundum zufrieden. Der Schlüssel zum Erfolg kann hier in einem höchstmöglichen Maß an Transparenz, Einbeziehung bzw. Mitbestimmung und Kommunikation liegen. Letztlich sollte ein modernes Gehaltssystem die veränderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt wie ein gesteigertes Freiheitsbedürfnis, eine Work-Life-Balance, das Streben nach Individualismus und Flexibilität berücksichtigen. (Damla Nalbant, 8.7.2021)