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Das Klima gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen in China beginnt sich zu wandeln.

Foto: Reuters / Ann Wang

Das Entsetzen in der chinesischen LGBTQI-Gemeinde ist groß: Denn am Dienstagabend schloss der Kurznachrichtendienst Wechat unerwartet die Konten mehrerer schwuler, lesbischer und queerer Studentenvereinigungen. So waren zum Beispiel alle Beiträge der Gruppen "Gay Pride" der Technischen Universität von Huazong und "Colors World" der Universität von Peking am Mittwoch verschwunden. Die Chatgruppen waren ein Anlaufpunkt für zehntausende Studenten gewesen. Betreiber der omnipräsenten Plattform Wechat ist der Konzern Tencent, der nach Vorgaben der Regierung handeln muss. Dass Beiträge zensiert oder gelöscht werden, ist an der Tagesordnung. Dass allerdings gleichzeitig mehrere Konten von eigentlich eher unpolitischen Gruppen blockiert und gelöscht werden, kam überraschend.

Ambivalentes Verhältnis zu Homosexualität

Die chinesische Regierung hat ein ambivalentes Verhältnis zu Rechten von Homosexuellen. Homosexualität war in China bis 1997 illegal und galt bis 2001 als Krankheit. Andererseits ist der Druck seitens Familie und Gesellschaft noch immer groß. Kein Enkelkind zu bekommen ist für viele Eltern noch immer eine Art Frevel. Schwule oder Lesben, die sich offen zur ihrer Sexualität bekennen, oder gar Prominente, die mit gutem Beispiel vorangehen, gibt es kaum.

Der chinesische Cartoonist und Menschenrechtsaktivist Baduciao veröffentlichte am Mittwoch auf Twitter eine Zeichnung. Sie zeigt den chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit einer roten Armbinde und einer Axt, mit der er auf einen Regenbogen einhackt.

Andererseits wurde in den vergangenen 20 Jahren das Leben vieler Schwuler und Lesben zumindest de facto immer leichter. Homosexuelle können in den großen Städten an der chinesischen Ostküste ein freies Leben führen. Es gibt auch keine offen aggressive Ablehnung gegenüber Homosexuellen. In den vergangenen Jahren machten Aktivisten vermehrt – wenn auch zaghaft – öffentlich auf ihre Situation und Belange aufmerksam.

Zensur und abgesagte Pride-Parade

In letzter Zeit aber scheint sich das Klima zu wandeln. 2009 fand in Schanghai zum ersten Mal die Shanghai Pride, die einzige öffentliche Veranstaltung von und für sexuelle Minderheiten, statt. Im vergangenen Jahr aber wurde sie abgesagt. Immer wieder wurden auch homosexuelle Inhalte in Filmen und Serien auf Streaming-Portalen zensiert. Im Mai soll es bereits Diskussionen zwischen Kadern und Studenten über die Frage, wie loyal die LGBTQI-Verbände zur kommunistischen Partei stehen, gegeben haben.

Das Regime unter Xi Jinping geht immer radikaler gegen jede Form von Andersdenkenden vor. Neu ist, dass anscheinend nun auch LGBTQI-Gruppen ein Risiko für die nationale Sicherheit darzustellen scheinen. Hu Xijin, Chefredakteur der nationalistischen Zeitung "Global Times", beschwichtigte dagegen am Mittwoch: "Der Staat übt keinen Druck auf persönliche Lebensstilentscheidungen aus. Aber LGBTQI-Gruppen sollten geduldig sein und nicht versuchen, eine politische Ideologie zu werden."

Warum die Sperrung ausgerechnet jetzt geschah, ist unbekannt. Die Betroffenen rätseln selbst darüber. Offiziell ist die Rede von "eingegangenen Beschwerden" und "Verletzung von Standards und Regeln".

Tatsache ist aber auch, dass die gesellschaftlichen Repressionen gegen jede Form von Andersdenkenden tendenziell zunehmen. Auch das Wechat-Konto von Zhou Xiaoxuan wurde am Mittwoch gesperrt. Sie ist besser bekannt als Xianzi und gilt als Schlüsselfigur in Chinas #Metoo-Bewegung. Auch das Konto der feministischen Studentengruppe "Zhihe Society" der Fudan-Universität in Schanghai wurde gesperrt. (Philipp Mattheis, 8.7.2021)