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"Friede ist der Weg" lautet der Slogan, mit dem Nicaraguas Präsident Manuel Ortega um seine Wiederwahl wirbt.

Foto: Reuters / Stringer

Hugo Torres wusste, dass die Häscher des Regimes früher oder später auch bei ihm vor der Türe stehen würden. Deshalb filmte er vorsorglich seine kurze Erklärung. Man sieht einen alten Mann mit Brille und Bart. Er trägt ein blaues Nicaragua-T-Shirt. "Vor 46 Jahren riskierte ich mein Leben, um Daniel Ortega und andere politische Häftlinge zu befreien", sagt der ehemalige sandinistische Guerillero in die Kamera. "Nie hätte ich gedacht, dass ich mit meinen 73 Jahren erneut, diesmal friedlich, gegen eine Diktatur aufbegehren muss."

Torres bezog sich auf eine Operation im Jahr 1974 zur Befreiung seines damaligen Kampfgefährten und des heutigen Präsidenten Daniel Ortega aus den Kerkern der rechten Diktatur von Anastasio Somoza. Nach dem Sieg der Sandinisten diente Torres Ortega als General und Geheimdienstchef. Es nützte ihm nichts, auch er wurde schließlich von Ortegas Schergen abgeholt.

Ortega, der im November für eine vierte Amtszeit kandidiert, imitiert heute die Methoden jenes Despoten, den er einst bekämpfte. Zahlreiche Regimegegner, darunter potenzielle Gegenkandidaten, ließ er in den vergangenen Wochen festnehmen – darunter ehemalige Weggefährten, die sich von ihm abgewandt hatten. Wie Torres. Die Polizei wirft den Festgenommenen "Taten gegen die Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung" vor. Sie hätten zur ausländischen Einmischung in innere Angelegenheiten aufgerufen und Militärinterventionen verlangt.

Flucht nach vorn

"Ortega konzentriert heute mehr Macht als (Anastasio, Anm.) Somoza jemals", sagt Torres. Dienlich sind ihm dabei Gummiparagrafen und Knebelgesetze, die sein Kongress erst kürzlich verabschiedet hat: Terrorismus, Geldwäsche, Vaterlandsverrat, Cyberkriminalität. Ortega beherrscht die Justiz, den Wahlrat, den Beamtenapparat. Die Polizei untersteht seinem Schwiegersohn; seine Frau ist Vizepräsidentin; seine Kinder besitzen Medienimperien und sind Partner chinesischer Investoren, die für Bergbau- und Infrastrukturprojekte Bauern vertreiben.

"In den letzten 30 Jahren habe ich nichts Vergleichbares gesehen", kommentierte der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, die Verhaftungswelle.

"Die einzige rationale Erklärung ist, dass Ortega davon ausgeht, dass er die im November geplanten Wahlen nicht gewinnen wird und deshalb die Flucht nach vorn in die Radikalisierung antritt", sagte der oppositionelle Publizist Carlos Fernando Chamorro, kurz bevor er gemeinsam mit seiner Frau aus Sicherheitsgründen ins Ausland floh. Schon 2019 hatte er in Costa Rica Schutz gesucht. Seine Schwester und ein Cousin sind jedenfalls inhaftiert. Beide galten als aussichtsreiche Präsidentschaftskandidaten. Cristiana Chamorro kam Insiderinformationen zufolge in einer von Ortega angeordneten Geheimumfrage auf 59 Prozent. Das besiegelte offenbar ihr Schicksal.

Festgenommen wurden auch mehrere Bürgerrechtler und der Expräsident des Unternehmerverbandes, José Adán Aguerri. Die Unternehmer hatten bedauert, dass demokratische, faire und transparente Wahlen in die Ferne rückten.

"Geiseln der Diktatur"

Beobachter fürchten, dass die wenigen kritischen Medien und Journalisten die nächsten auf Ortegas Liste sind. "Wir alle sind Geiseln der Diktatur", so Chamorro. Die Opposition hat zu Protesten aufgerufen. Doch die Furcht vor Repression ist groß. Schon die Studentenproteste im Jahr 2018 ließ Ortega mit Scharfschützen und Schlägertrupps blutig niederschlagen.

Ortega fordere auch die internationale Gemeinschaft heraus, schrieb der Autor Alberto Barrera Tyszka kürzlich in der "New York Times": "Hat die Diplomatie ein effizientes Mittel, jemand zu stoppen, der beschlossen hat, ein Diktator zu werden?" Das wird sich zeigen. Die Europäische Union, die Uno und die USA haben die Verhaftungen jedenfalls verurteilt und Wirtschaftssanktionen gegen mehrere hohe Funktionäre verhängt.

Ortega zeigt sich unbeeindruckt – nicht zuletzt deshalb, weil sozialistische Länder wie Venezuela und Bolivien mit ihm sympathisieren; Nachbarländer wie Guatemala, Honduras und El Salvador werden ebenfalls autoritär regiert. Bisher funktionierten gegen Lateinamerikas neue Autokraten weder Sanktionen noch diplomatischer Druck, gibt Barrera Tyszka zu bedenken: "Wir brauchen neue Mechanismen, um die Bürger gegen den Vormarsch der Autokraten zu unterstützen." (Sandra Weiss, 9.7.2021)