Mit einer "Lacherkennungstechnologie" soll in manchen Unternehmen sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter fröhlich sind.
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Mit der Mitarbeitermotivation ist es so eine Sache: So mancher Angestellte schlurft morgens übellaunig ins Büro – nach dem Motto: Bloß kein blöder Spruch, sonst setzt es was! Der Kameraspezialist Canon glaubt nun eine Lösung gefunden zu haben: Wie die Financial Times berichtet, hat der japanische Konzern in seinem Büro in Peking eine Gesichtserkennung installiert, die mithilfe einer KI-gestützten Kamera kontrolliert, ob die Mitarbeiter lächeln. Nur wer lacht, darf den Raum betreten. Mit dieser "Lacherkennungstechnologie" soll sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter fröhlich sind.

Man könnte das Ganze für einen schlechten Witz oder für eine dystopische Erzählung halten, doch dem Unternehmen ist es offenbar ernst. Es solle mit dem System "eine positive Atmosphäre" erzeugt werden, sagte ein Sprecher der Financial Times.

Die Überwachung am Arbeitsplatz hat in China bedrohliche Ausmaße erreicht. So müssen Angestellte in staatlichen Betrieben spezielle Helme tragen, die Hirnströme messen und Anzeichen von Depressionen oder Wutanfällen erkennen. Der Philosoph Michel Foucault analysiert in seinem Werk Überwachen und Strafen, wie der menschliche Körper in eine Machtmaschinerie eingeht: "Die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn; sie umkleiden ihn, markieren ihn, dressieren ihn, martern ihn, zwingen ihn zu Arbeiten, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen." Diese "Bio-Macht", die Foucault in Schulen und Kasernen beobachtet hatte, kehrt nun unter neuen technologischen Vorzeichen in die Arbeitswelt zurück – auch in demokratischen Ländern.

Mundwinkelanalyse

So hat das japanische Bahnunternehmen Keihin Electric Express Railway (heute Keikyu) bereits 2009 einen Kamerascanner in-stalliert, in den die Angestellten jeden Morgen bei Arbeitsantritt frontal hineinlächeln mussten. Die Software analysierte daraufhin biometrische Merkmale im Gesicht wie Augenbewegungen, Lippenlinie und Wangenfalten und errechnete einen Score von null bis 100. Waren die Mundwinkel zu niedrig, gab die Software eine ästhetische Hilfestellung wie etwa "Du schaust zu ernst" oder "Hebe deine Mundwinkel". Dann druckte der Scanner ein Papier mit dem "idealen Lächeln" aus, das die Angestellten den Tag über als Erinnerungshilfe mit sich herumtragen konnten.

Zug- und Flugbegleiter üben eine Tätigkeit aus, die die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild einmal als Emotionsarbeit ("emotional labor") bezeichnet hat. In ihrer bahnbrechenden Studie und später in ihrem Buch The Managed Heart (Das gekaufte Herz) beschreibt sie am Beispiel von Flugbegleiterinnen, wie Unternehmen Gefühle kommerzialisieren und die menschliche Psyche strikten Emotionsregeln unterwerfen. Wo auf der einen Seite Unternehmen immer stärker die Privatsphäre durchdringen, kehrt sich das Private in den Joballtag. Die Flugbegleiterinnen, die Hochschild für ihre Studie interviewt hatte, sollten sich die Passagiere als "persönliche Gäste in ihrem Wohnzimmer" vorstellen. Sie sollten mit ihrem Lächeln eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, sodass die Fluggäste nicht merken, dass sie in einem Flugtaxi mit angedocktem Fastfood-Restaurant und Duty-free-Shop sitzen. Doch die Flugbegleiterinnen verkaufen eben nicht nur Zigaretten und Parfum, sondern auch ihr Lachen – fast wie ein Schauspieler. Nur dass sie nicht zwei, sondern zum Teil acht Stunden auf der "Bühne" stehen und performen müssen.

Psychisch belastend

Dass diese Emotionsarbeit auf die Psyche geht, ist nicht verwunderlich. Zahlreiche Studien belegen, dass falsche Gefühle und verordnetes Dauerlächeln krank machen und zu Burnout führen können. Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass Angestellte, die vor Kunden lächeln müssen, nach der Arbeit zu Alkoholexzessen neigen. Trotzdem fordern Betriebe im Dienstleistungssektor, dass ihre Angestellten zu Kunden immer freundlich sind, ihre Lachmuskeln trainieren.

Als McDonald’s Anfang der 90er seine ersten Filialen in Russland eröffnete, musste das Management dem Personal erst beibringen, wie man richtig lächelt. Die Happiness-Kultur lässt sich aber nicht in jede Region der Welt exportieren. So hat der US-Einzelhandelsriese Walmart die Lächelanweisung für seine Angestellten in deutschen Filialen 2006 wieder abgeschafft, nachdem Kunden das Lächeln als Aufforderung zum Flirt missverstanden hatten.
Die zur Schau gestellte gute Laune ist ohnehin nur oberflächlich. Hinter den Kulissen sieht es ganz anders aus. 2019 wurde eine Mitarbeiterin der Fastfood-Kette Chipotle in New York gefeuert – angeblich weil sie nicht genug gelächelt hatte. Immerhin scheint die Maskenpflicht für Servicekräfte die Emotionsarbeit abzumildern. Der Gast sieht ja schlecht, ob jemand hinter der Maske lächelt oder nicht. Und so muss man auch nicht dauernd gute Miene zum bösen Spiel machen. (Adrian Lobe, 11.7.2021)