Ein Raumwunder voller Überraschungen, durch das es sich flanieren lässt wie durch eine Stadt: die Villa Beer in der Hietzinger Wenzgasse von Josef Frank und Oskar Wlach.

Foto: Wolfgang Thaler
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Großer Schlüsselbund, kleines Auto, kurze Hose, T-Shirt. Lothar Trierenberg wirkt auf den ersten Blick nicht wie jemand, der gerade eine 650-Quadratmeter-Villa im noblen Hietzing erworben hat. Aber Lothar Trierenberg ist auch kein Käufer wie jeder andere. Hier geht es nicht um Investment und Rendite. Hier geht es um ein Stück Architekturgeschichte, die 1929–1930 von Josef Frank und Oskar Wlach entworfene Villa Beer in der Wenzgasse.

Jahrzehntelang war das Haus in zwei Einheiten geteilt, jahrelang durch einen Rechtsstreit blockiert. 2008 war eine Hälfte am Markt, es gab Interessenten für eine Wohnnutzung, Bund und Land standen mehrmals vor dem Kauf, Museen und Architekturinstitutionen petitionierten, warnten vor Zerfall und entstellenden Umbauten.

Lothar Trierenberg schließt die bescheidene Tür auf, hinter der das Frank’sche Raumwunder sich zu entfalten beginnt. "Als das Haus im November 2020 auf dem Markt war, hatte ich sechs Wochen Bedenkzeit, aber eigentlich war die Entscheidung schon gefallen." Die Motivation war, sagt er, eine "mäzenatenhafte": Die Villa soll für die Öffentlichkeit zugänglich sein. "Ich wollte verhindern, dass das Haus falsch genutzt und erhalten wird." Vor über 20 Jahren gründete Trierenberg Das Möbel, ein Café und Geschäft; nach dem Verkauf des Letzteren war Zeit für Neues. Seine Begeisterung für Einheit von Architektur, Design und Möbeln fand in Josef Frank einen idealen Resonanzkörper.

Gemütliche Moderne

Jener ist im Pantheon des 20. Jahrhunderts noch immer eine unterschätzte Figur. Er war beteiligt an der Weißenhofsiedlung in Stuttgart und der Werkbundsiedlung in Wien, doch er distanzierte sich schon damals deutlich von den Funktionalisten, für die Gemütlichkeit der Gottseibeiuns war. Er dachte nicht in industriellen Normen, er dachte das Wohnhaus vom Wohnen her. War bei Mies van der Rohe alles teutonisch präzise, forderte Frank eine gewisse Unordnung geradezu heraus und ließ seinen Bauherren mehr Freiheit als sein Landsmann Adolf Loos, dessen Villen bis ins kleinste Detail durchmöbliert sind. Franks Häuser wollen benutzt und bewohnt werden, ohne dass man dazu eine Gebrauchsanweisung benötigt oder ein falscher Sessel das edle Ensemble zerstört.

Foto: Wolfgang Thaler

"Ein gut angelegtes Haus gleicht jenen schönen alten Städten, in denen sich selbst der Fremde sofort auskennt und, ohne danach zu fragen, Rathaus und Marktplatz findet", schrieb er 1931 in seinem Essay Das Haus als Weg und Platz. Die Villa Beer verkörpert diese Haltung, man erwandert sie wie ein Flaneur. Sobald man eine Tür öffnet, um eine Ecke geht, sich umdreht, passiert etwas beglückend Unerwartetes. Räume sind größer, kleiner, niedriger oder höher als erwartet, Fenster und Türen nicht dort, wo man sie heute platzieren würde, aber in Summe sind all diese Dinge genau richtig. Sackgassen gibt es ebenso wenig wie Baudetails, die aufdringlich ihre geniale Geplantheit verkünden.

Jeder Besucher wird hier eine Lieblingsstelle entdecken, die ihn für das Haus einnimmt. Die hohe und doch gemütliche Wohnhalle, deren hoher verglaster Erker sich in den Garten hinausstülpt, der diagonale Blick durch das gesamte Erdgeschoss, der intime Teesalon mit seinem ostasiatischen Fenster oder der kleine Windfang, in dessen Mitte ein runder Fußabstreifer den Besucher diskret diagonal durch den Raum zur richtigen Tür lenkt. Oder, für sozialgeschichtlich Interessierte, die für die damalige Zeit luxuriösen Räume der Dienstboten, deren rundbogengekrönter Eingang nobler als der Haupteingang wirkt.

Schönheit für alle

Weder die jüdische Fabrikantenfamilie Beer noch Frank hatten viel Zeit, sich am Haus zu erfreuen, sie alle emigrierten schon 1934, Frank nach Schweden in die Heimat seiner Frau, wo er für das Kaufhaus Svenskt Tenn weiter am Ideal der "Schönheit für alle" arbeitet und heute als geistiger Vater von Ikea verehrt wird.

Als die Nachricht vom Verkauf der Villa im April bekannt wurde, lief eine Welle des aufgeregten Raunens durch die Architekturszene. Kein Wunder, denn Architekt und Haus sind bestens erforscht, die versammelte Fachexpertise über dieses Haus ist enorm. 2001 publizierte Maria Welzig ihre grundlegende Frank-Monografie, 2017 beauftragte das Mak eine exakte Aufnahme der vorgenommenen Veränderungen gegenüber dem Ursprungszustand, das AzW organisierte Führungen durchs Haus – mit enormer Resonanz. "Meine Erfahrung aus den Besichtigungen ist, dass sich hier jeder sofort wohlfühlt, egal ob Laie oder Fachpublikum", sagt Direktorin Angelika Fitz. "Man imaginiert sich selbst wohnend in den Räumen, anstatt in Ehrfurcht zu erstarren. Das Schwierigste ist, die Leute danach wieder aus dem Haus zu bekommen, weil sie so verzaubert sind."

Foto: Wolfgang Thaler

Kann, darf, soll ein Wohnhaus zu einem Ausstellungsstück werden? Natürlich. Gerade die Moderne ist schon vielerorts musealisiert, vom Corbusierhaus in Stuttgart über Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn bis zu den Bauhaus-Meisterhäusern in Dessau, manchmal in einen klinischen Neuzustand hineinsaniert. Dass Lothar Trierenberg, der bereits mit allen wesentlichen Experten und Institutionen im Gespräch ist, einen solchen nicht anstrebt, ist ganz im Sinne Josef Franks. "Das Haus soll leben, mit Möbeln, die man benutzen kann." Erste Beseitigungen späterer Einbauten erfolgen schon jetzt, ansonsten ist Besonnenheit angesagt. Bis September 2022 soll das Ausstellungskonzept stehen und ein Betreiber gesucht werden. Freuen darf man sich schon jetzt. (Maik Novotny, ALBUM, 10.7.2021)