Peking – Die chinesische Genfirma BGI Group nutzt einen zusammen mit dem chinesischen Militär entwickelten Test für Schwangere, um Gendaten von Millionen Frauen weltweit zu sammeln und auszuwerten. Diese Daten werden für umfassende Forschungen zu den genetischen Eigenschaften von Bevölkerungsgruppen genutzt, wie aus Unternehmensangaben und einer Reuters-Analyse wissenschaftlicher Studien hervorgeht.

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Über den pränatalen Bluttest Nifty können genetische Anomalien wie Trisomien bei einem Fötus nachgewiesen werden.
Foto: Jakub Stezycki / Reuters

Chinas größtes Genomikunternehmen BGI begann 2013 mit der Vermarktung des Pränataltests im Ausland. Unter dem Markennamen Nifty gehört er zu den meistverkauften nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT) der Welt. Dabei wird eine Blutprobe einer schwangeren Frau untersucht, um Anomalien wie das Down-Syndrom beim sich entwickelnden Fötus festzustellen. Bislang wurden laut BGI weltweit mehr als acht Millionen Frauen getestet. Nifty wird in mindestens 52 Ländern verkauft, darunter in Österreich, Deutschland, Kanada, Australien, Thailand und Indien, aber nicht in den Vereinigten Staaten.

BGI verwendet übriggebliebene Blutproben, die an sein Labor in Hongkong geschickt werden, um anonymisierte genetische Daten für Bevölkerungsforschung einzusetzen, bestätigte das Unternehmen. Nach Informationen von Reuters befinden sich die genetischen Daten von mehr als 500 Frauen auch aus Europa und Asien, die den Test benutzt hatten, auch in der von Chinas Regierung finanzierten China National Gene Bank.

"Höhere Gewalt" im Kleingedruckten

Wie "Bild Online" am Freitag berichtete, werden nicht nur die genetischen Informationen deutscher Schwangerer zur Firma BGI nach Hongkong geschickt, sondern auch die von Frauen aus Österreich. Demnach verspreche die slowenische Firma, die die China-Tests unter dem Namen "Nifty by Gene Planet" in Österreich anbietet: "Proben werden in unserem eigenen Labor in Europa analysiert, was das höchste Niveau von Qualität und Datensicherheit gewährleistet". Recherchen von "Bild Online" hätten jedoch ergeben, dass im Kleingedruckten der zu unterschreibenden Aufklärungsbögen für die Schwangeren stehe, dass "in Ausnahmefällen und Fällen höherer Gewalt (...) die Blutprobe und die personenbezogenen Daten an das Partnerlabor BGI in Hongkong übermittelt" würden.

Keine Beweise für Datenschutzverstoß

Reuters fand keine Beweise dafür, dass BGI gegen Datenschutzvereinbarungen oder -bestimmungen verstoßen hat. Das Unternehmen betonte, es hole eine unterzeichnete Zustimmung ein und vernichte Proben und Daten aus Übersee nach fünf Jahren. "Zu keinem Zeitpunkt während des Test- oder Forschungsprozesses hat BGI Zugriff auf identifizierbare persönliche Daten", erklärte das Unternehmen.

Die Datenschutzrichtlinien des Tests besagen jedoch, dass die gesammelten Daten weitergegeben werden können, wenn sie "direkt relevant für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigungssicherheit" in China sind. BGI erklärte, dass es "niemals darum gebeten wurde, Daten aus den Nifty-Tests für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigung an chinesische Behörden weiterzugeben" – noch habe es diese Daten zur Verfügung gestellt. Chinas Außenministerium erklärte, die Reuters-Recherchen spiegelten "grundlose Anschuldigungen und Verleumdungen" der US-Behörden wider.

Denn die Erkenntnisse der Recherche riefen in den USA und auch in Deutschland Besorgnis hervor – zumal sich die Tonlage in den Beziehungen zwischen westlichen Regierungen und vor allem den USA und dem kommunistischen China in den vergangenen Monaten verschärft hat. Der Vorgang wirft zudem ein Licht auf den generellen Umgang mit Medizindaten durch Regierungen und Konzerne weltweit, zumal zunehmend künstliche Intelligenz benutzt wird, um Daten auszuwerten.

"Hätte anderen Test gewählt"

Die US-Regierung sieht in den Bemühungen von BGI, menschliche Gendaten zu sammeln und zu analysieren, eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. In Deutschland gibt es zudem Kritik an einem möglichen Datenabfluss. "Dieser Test darf künftig in Deutschland nur angewendet werden, wenn sichergestellt ist, dass die verwendeten Daten im Geltungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung verbleiben", sagte etwa der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Freitag.

In Deutschland wird der Pränataltest "Previa Test" von der Firma Eluthia aus Gießen vertrieben. Geschäftsführer Ramon Enriquez Schäfer versicherte, dabei werde europäisches Datenschutzrecht eingehalten. "Die Daten gehen nach Hongkong, nicht nach China", sagte er am Freitag. Es handle sich dabei um den ausführlichsten Test am Markt, der nur von dem Labor in Hongkong ausgewertet werden könne. Außerdem würden die Frauen über Risiken einer Testauswertung im Ausland aufgeklärt: "Das unterschreibt die Patientin in vollem Wissen, dass das mögliche Risiken sind."

Reuters sprach unter anderem mit vier Frauen, welche die Tests genutzt haben. Eine von ihnen erklärte, bei der Einwilligungserklärung zur Nutzung ihrer Daten für die Forschung sei nur Hongkong als Ort genannt worden, aber nicht klar gewesen, wo die Daten gespeichert werden oder dass das Forschungszentrum von BGI im chinesischen Shenzhen sitzt. Wäre ihr das bekannt gewesen, hätte sie einen anderen Test gewählt, sagte die 32-jährige Emilia aus Polen, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen wollte. "Ich will wissen, was mit sensiblen Daten über mich, mein Genom und das meines Kindes geschieht."

Fragwürdige Untersuchung der Gene von Tibetern und Uiguren

Aus einer BGI-Studie geht hervor, dass mithilfe von Supercomputern des Militärs aus den Daten von chinesischen Frauen die Verbreitung von Viren oder Indikatoren für Geisteskrankheiten herausgefiltert wurden. Gene von Tibetern und Uiguren wurden auf Zusammenhänge mit Charaktereigenschaften hin durchforstet. Solche Praktiken erinnern beunruhigend an Rassenvorstellungen und Eugenik des Nationalsozialismus. BGI kündigte im vergangenen Jahr an, Genomik "industrialisieren" zu wollen.

Gendaten sind seit einer Gesetzesregelung von 2019 in China eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit. 2015 wurde der Zugang ausländischer Forscher auf Gendatenbanken von Chinesen beschränkt, während im Westen Wissenschafter aus aller Welt solche Daten zur Forschung nutzen dürfen.

BGI arbeitet nach Reuters-Informationen mit dem chinesischen Militär daran, die "Bevölkerungsqualität" zu verbessern, sowie an genetischer Forschung, mit der Gehörschäden oder Höhenkrankheit bei Soldaten verhindert werden soll. Das U.S. National Counterintelligence and Security Center, das schon früher vor dem Sammeln von Gesundheitsdaten durch chinesische Firmen gewarnt hatte, zeigte sich besorgt über den Datentransfer nach China. So könnten "genetische und genomische Daten aus der ganzen Welt gesammelt werden", erklärte das Zentrum.

Neue Größenordnung

Andere Firmen, die solche pränatalen Tests verkaufen, verwenden ebenfalls Daten für die Forschung. Auch zahlreiche amerikanische IT-Konzerne sammeln und verarbeiten weltweit Gesundheitsdaten von Menschen – auch aus Deutschland. Aber keiner von ihnen operiere bei Gendaten in der Größenordnung von BGI, sagten Wissenschafter und Ethiker. Und keiner habe wie BGI Verbindungen zu einer Regierung oder dem nationalen Militär.

BGI begann 2010, mit chinesischen Militärkrankenhäusern zusammenzuarbeiten, um die Genome von Föten zu untersuchen. Die Firma hat mehr als ein Dutzend gemeinsamer Studien mit Forschern der Volksarmee veröffentlicht, um seine pränatalen Tests zu testen und zu verbessern, wie die Reuters-Überprüfung von mehr als 100 öffentlichen Dokumenten zeigte.

Der deutsche FDP-Politiker Lambsdorff forderte eine gesetzliche Regelung gegen unerlaubten Datenabfluss. "Das gilt sowohl für den eigentlichen Test als auch für die nachgelagerte Verarbeitung weiterer Datensätze, die aus diesem gewonnen wurden. Das ist exakt die Regelung, die in China selber gilt", sagte er. Die kommunistische Regierung in Peking hatte angeordnet, dass Daten chinesischer Bürger das Land nicht ohne Kontrolle verlassen dürfen. Dies betrifft nicht nur Gesundheitsdaten, sondern etwa auch die bei der Erforschung des autonomen Fahrens anfallenden Informationen.

Auch der deutsche Bundesbeauftragte für Datenschutz mahnte zur Vorsicht. "Daten über unsere Gesundheit sind sehr sensible Informationen. Deshalb sind sie laut der europäischen Datenschutz-Grundverordnung besonders schützenswert. Das gilt auch bei Datentransfers in Länder außerhalb der EU", sagte ein Sprecher auf Anfrage, ohne zu dem konkreten Fall Stellung zu nehmen. (APA/Reuters, red, 9.7.2021)