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Der Niederländer Björn Kuipers wird das Finale pfeifen – im Fall des Falles auch über die 120. Minute hinaus.

Foto: AP/David Ramos

Euro-Ticker, das Finale: Italien vs. England, So., 21 Uhr

Sonntagabend, Wembley. 20 Uhr Orts-, also 21 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit: das Traumfinale. Jedenfalls haben das viele aus vielerlei Gründen vom ersten Spiel an so gesehen. (Darunter – falls erlaubt ist, das anzumerken -, auch der Autor, also ich.)Italien und England haben ja nicht bloß schönen, sehenswerten Fußball gespielt. Beide Teams haben sich gewissermaßen neu erfunden – und damit auch das Fußballspielen. Wobei es wunderbar unentschieden ist, wer das Neue zur Entpuppung gebracht hat. Die Trainer – Gareth Soutgate und Roberto Mancini gleichen einander auf wundersame Weise – oder die Teams. Viele Mannschaften gibt es, in denen junge, bestens geschulte, unbändige Spieler ihre altvaterischen Trainer drängen, sie doch zu lassen. G’scheite Trainer tun das.

Team-Building

Unbestritten ist, dass sowohl Italien als auch England als Mannschaft aufgetreten sind; und nicht bloß als Nationalteam. Beide haben – Italien weniger, England praktisch immer – darunter gelitten, dass die Spieler Loyalitäts-zerissen waren. Wer unterm Jahr für Fantastilliarden kickt, wird, wenn die Nation ruft, der Ehre nachzulaufen, eher nachdenklich; selbst dann, wenn die Ehre eh auch bezahlt wäre.

Unbestritten, dass die englische Premier League Fantastilliarden-bezüglich führt. Der englische Kader repräsentiert einen Wert von nicht ganz 1,3 Milliarden Euro; der italienische mit 750 Millionen ein bisserl mehr als die Hälfte. Das kann durchaus eine Rolle spielen. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass der kolportierte Buchwert eher ein "Wert" ist als ein Wert.

Endspiele seit 1960.

Gareth Southgate und Roberto Mancini haben ihren Sepp Herberger – deutscher Weltmeister 1954 – verinnerlicht: "Elf Freunde müsst ihr sein." Man hat das im Turnierverlauf beobachten können. Die Italiener spielen blind miteinander. Die Engländer sehr kompakt – und uneigennützig. Torjäger Harry Kane tut sich gerne auch als Assistgeber hervor. Und Raheem Sterling – einer, der jeder Verteidigung auf die Nerven geht – tut es ihm da gleich.

Bei beiden Mannschaften darf man sagen: Das war nicht immer so. Es wird ein Finale für Feinschmecker. Gastgeber England, das ballesterische Mutterland, hat seinen Kick and Rush ja nicht aufgegeben. Es interpretiert diese Altmode des Tieflaufs nur neu.Und Italien tut das gleich mit seinem wohl ins Nationalgen sedimentierten Catenaccio. Hinten stehen die Alten: die beiden Juve-Türme Giorgio Chiellini (Jahrgang 1984) und Leonardo Bonucci (1987). Die linke Seite wurde nach dem Achillessehnenriss von Leonardo Spinazzola und der notwendigen Hereinnahme von Emerson offensiv ein wenig schwächer. Emerson kickt unterm Jahr allerdings bei Chelsea. Mag sein, das entpuppt sich als Vorteil. Mag sein, ja.

Fakten.

Ein Spiel wie dieses – Gareth Southgate sagt: "Italien ist die größtmögliche Herausforderung" – lebt immer auch oder vor allem von jener Unerklärbarkeit, die im Sportberichterjargon gerne "Momentum" genannt wird. Da steht auf englischer Seite jedenfalls der Heimvorteil zu Buche (und dessen Missbrauch mit Laserpointern.) 65.000 Zuschauer werden versuchen, den Fußball heimwärts zu schreien.

Serien

Italiens Momentum ist auch die Statistik: Sie wissen gar nicht mehr, wie man verliert. 33 Matches en suite blieb die Squadra Azzurra ungeschlagen. Die Engländer halten mit zwölf Nichtniederlagen dagegen. Erst beim 0:0 in der Vorrunde gegen Schottland musste man sich mit einem Remis bescheiden.

Jordan Pickford hat alles daran gesetzt, eine englische Traditionschwäche vergessen zu lassen: das Patzen der Goalies. Während Gianluigi Donnarumma die Tradition der großartigen Torleute fortsetzt.

Marco Materazzi, wir haben ihn in Erinnerung behalten, sagt: "Wembley kann allen Angst machen, außer uns Italienern." Wir sagen: "Let’s get ready to rumble." (Wolfgang Weisgram, 10.7.2021)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen zum EM-Finale:

Italien – England (London, Wembley Stadion, 21.00 Uhr/live ORF 1, SR Kuipers/NED)

Italien: 21 Donnarumma – 2 Di Lorenzo, 19 Bonucci, 3 Chiellini, 13 Emerson – 18 Barella, 8 Jorginho, 6 Verratti – 14 Chiesa, 17 Immobile, 10 Insigne

Ersatz: 1 Sirigu, 26 Meret – 15 Acerbi, 23 Bastoni, 24 Florenzi, 25 Toloi, 5 Locatelli, 7 Castrovilli, 12 Pessina, 16 Cristante, 20 Bernardeschi, 9 Belotti, 11 Berardi, 22 Raspadori

Es fehlt: 4 Spinazzola (Achillessehnenriss)

England: 1 Pickford – 2 Walker, 5 Stones, 6 Maguire, 3 Shaw – 14 Phillips, 4 Rice – 25 Saka, 19 Mount, 10 Sterling – 9 Kane

Ersatz: 13 Ramsdale, 23 Johnstone – 12 Trippier, 15 Mings, 16 Coady, 21 Chilwell, 22 White, 24 James, 7 Grealish, 8 Henderson, 17 Sancho, 20 Foden, 26 Bellingham, 11 Rashford, 18 Calvert-Lewin

Weg ins Finale:

Italien – Gruppe: 3:0 gegen Türkei, 3:0 gegen Schweiz, 1:0 gegen Wales; Achtelfinale (London): 2:1 n.V. (0:0) gegen Österreich; Viertelfinale (München): 2:1 gegen Belgien; Halbfinale (London): 4:2 i.E. (1:1) gegen Spanien

England – Gruppe: 1:0 gegen Kroatien, 0:0 gegen Schottland, 1:0 gegen Tschechien; Achtelfinale (London): 2:0 gegen Deutschland; Viertelfinale (Rom): 4:0 gegen Ukraine; Halbfinale: 2:1 n.V. (1:1) gegen Dänemark

Torschützenliste der EM:

5 Cristiano Ronaldo (Portugal)
5 Patrik Schick (Tschechien)
4 Karim Benzema (Frankreich)
4 Emil Forsberg (Schweden)
4 Harry Kane (England)
4 Romelu Lukaku (Belgien)
3 Kasper Dolberg (Dänemark)
3 Robert Lewandowski (Polen)
3 Alvaro Morata (Spanien)
3 Haris Seferovic (Schweiz)
3 Xherdan Shaqiri (Schweiz)
3 Raheem Sterling (England)
3 Georginio Wijnaldum (Niederlande)