Lieferketten werden von geopolitischen Konflikten zunehmend bedroht.

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Im Frühjahr 2020 lernte Österreich die Schattenseite der Globalisierung schmerzhaft kennen. Das Land brauchte dringend Masken als Schutz gegen das Coronavirus. Doch die Lieferungen aus China blieben aus, und eigene Produktionsstätten gab es nicht. Tausende Menschen infizierten sich wohl, weil es an Masken fehlte.

Die Reaktion auf diese Krise bot eine Lektion anderer Art. Rasch wurde eine nationale Produktion hochgefahren. Doch das stolze Projekt Hygiene Austria erwies sich als ein Desaster – nicht nur wegen des Fehlverhaltens des Managements, das Masken made in China umetikettieren ließ. Werke in Österreich waren gar nicht in der Lage, die notwendige Zahl von Masken zu wettbewerbsfähigen Preisen herzustellen. Heute stammt der Großteil der Masken im Umlauf wieder aus China – und fast niemand regt sich auf.

Globale Lieferketten sind aus dem Leben nicht mehr wegzudenken. Sie bilden den Blutkreislauf der Weltwirtschaft, der reiche Staaten mit günstigen Produkten versorgt und ärmeren die Chance auf Entwicklung bietet. Sie fördern Wettbewerb und Innovation und tragen entscheidend zum technischen Fortschritt bei. Ohne die internationale Arbeitsteilung, die seit den 1970er-Jahren ständig zugenommen hat, wäre die Welt heute viel ärmer und womöglich auch weniger friedlich.

Es läuft nicht mehr rund

Wenn Lieferketten funktionieren, dann fallen sie gar nicht auf. Das war jahrelang der Fall. Doch dieser Tage ist der globale Warenkreislauf in aller Munde – eben weil es nicht mehr rundläuft. Das betrifft nicht nur die Dinge, die Länder im Kampf gegen Covid-19 benötigen, von Schutzausrüstungen bis zu den Impfstoffen. Die Preise für Baumaterialien sind explodiert, und ein akuter Mangel an Computerchips legt Teile der Autoindustrie lahm. Immer öfter wird die Frage gestellt, ob der Kapitalismus auf der Suche nach Effizienz und Profiten nicht einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist. Denn je mehr man von einzelnen Lieferanten und einzelnen Staaten für kritische Rohstoffe und Komponenten abhängt, desto größer wird das Ausfallrisiko, wenn sich ein Flaschenhals verstopft.

"Jede Maßnahme, mit der ich meine Lieferkette widerstandsfähiger mache, ist mit Kosten verbunden."
Harald Nitschinger CEO von Prewave

Das ist heute vor allem in der Elektronik der Fall. Mikrochips werden vornehmlich in Taiwan produziert, Teile und Geräte meist in China. "Europa und die USA sind hier extrem zurückgefallen", sagt Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transport und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu abhängig werden von einzelnen Ländern. Monokulturen sind immer schlecht." Die aktuelle Mikrochipkrise war eine Verkettung von unternehmerischen Entscheidungen, ausgelöst durch die Pandemie, berichtet Harald Nitschinger, Chef des österreichischen Start-ups Prewave, das Unternehmen mithilfe von künstlicher Intelligenz vor kommenden Lieferausfällen warnt. Im März 2020 machte die europäische Automobilindustrie dicht und stornierte ihre Chipbestellungen. Gleichzeitig aber stieg die Nachfrage aus der IT-Industrie, als Millionen ins Homeoffice wechselten.

"Die Chipproduktion wurde von den Elektronikherstellern komplett aufgegriffen. Im Sommer kam die Automobilindustrie dann zurück, wollte sogar überkompensieren, doch die Kapazitäten waren nicht da", sagt Nitschinger. Es dauert Jahre, bis eine neue Chipfabrik steht.

Container-Chaos auf den Meeren

Die gleichen massiven Schwankungen bei der Nachfrage gab es beim Stahl, und auch die Transportindustrie wurde durch die Covid-Krise durcheinandergewirbelt, schildert Kummer. Durch den frühen Lockdown in Ostasien kamen Containerschiffe nicht nach Europa, und als das Virus dort ankam, wurden viele Häfen wegen Quarantäne zeitweise stillgelegt. "Das ganze fragile Gleichgewicht im Containerverkehr ist aus dem Gleichgewicht geraten, und das hat sich bis heute nicht aufgelöst", sagt Kummer. Die Folge sind Containerpreise, die sich in vielen Fällen verzehnfacht haben. Doch selbst das schlägt sich nur wenig in den Endproduktpreisen nieder, fügt Kummer hinzu. Die sechstägige Blockade des Suezkanals sei dagegen recht glimpflich verlaufen und habe nur wenige Spuren hinterlassen, sagen Experten.

Dazu kam, dass viele Unternehmen angesichts dieser Unsicherheiten ihre Lagerbestände kurzfristig ausgebaut haben, was die Nachfrage und die Preise für viele Produkte weiter in die Höhe treibt. Kummer bezeichnet dies als "Peitschenschlageffekt", der aber nur kurzfristig wirkt. Denn sobald die Nachfrage nachlässt, brechen die Preise wieder ein.

Trump und die Folgen

Die Diskussion über Lieferketten betrifft Geopolitik genauso wie die Einkaufsstrategie einzelner Unternehmen – und zunehmend auch das Verhalten einzelner Verbraucher. Es war vor allem der frühere US-Präsident Donald Trump, der die Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft von Lieferungen aus China attackiert und die Rückkehr vieler Produktionsstätten in die USA forciert hat. Mit seinem sprunghaften Protektionismus habe Trump allerdings zu den jüngsten Engpässen bei kritischen Produkten beigetragen, schreibt der US-Ökonom Paul Krugman in einer aktuellen Kolumne in der New York Times. Denn wenn Hersteller jederzeit fürchten müssen, dass sie vom US-Markt durch Strafzölle ausgeschlossen werden, dann investieren sie nicht in neue Fabriken.

Chinas Monopole

Die Sorge vor der Marktmacht Chinas und anderer Schwellenländer hat allerdings die Trump-Präsidentschaft überlebt. So gab Präsident Joe Biden den Auftrag für eine Risikobewertung der Lieferketten in allen wichtigen Bereichen. Auch in Europa gibt es seit der Pandemie Bemühungen, die Belieferung mit wichtigen pharmazeutischen Produkten, die zumeist in Indien hergestellt werden, besser abzusichern. Besondere Sorgen macht das Quasi-Monopol Chinas bei der Förderung und Verarbeitung von seltenen Erden, die für Batterien und andere klimarelevante Technologien gebraucht werden.

Auch Einparteienstaat China unter Präsident Xi Jinping reduziert mit der Strategie der "zwei Kreisläufe" seine Abhängigkeiten vom Westen, um sich gegen zukünftige Sanktionen und Exportbeschränkungen zu wappnen. Je schärfer der Ton zwischen Washington und Peking wird, desto problematischer wird die immer noch sehr enge Vernetzung zwischen den beiden Volkswirtschaften.

Davon ist auch Taiwans Chipindustrie betroffen: Eine militärische Eskalation mit China könnte zu noch viel größeren Ausfällen als die derzeitigen führen.

Auch in vielen Unternehmen findet ein Umdenken statt. Jahrelang war das einzige Ziel, möglichst günstig einzukaufen. Das geht am besten mit einem Lieferanten, der dank großer Mengen die niedrigsten Preise bietet. Ebenfalls wurde versucht, Lagerbestände durch "Just-in-time-delivery" niedrig zu halten, was Kapital und Zinsen spart. Kommt es dann zu Ausfällen, sind die Kosten oft viel höher als die früheren Ersparnisse.

Eine Umfrage des Complexity Science Hub Vienna unter österreichischen Unternehmen hat im Vorjahr gezeigt, dass mehr als ein Drittel der Firmen mindestens einen Zulieferer haben, durch dessen Ausfall es zu einem kompletten Betriebsstillstand kommen würde. Und die Mehrheit dieser Unternehmen haben keine alternativen Lieferanten.

Um dieses Risiko zu verringern, sollten Unternehmen frühzeitig diversifizieren, höhere Lagerbestände als Puffer halten und sich vor allem besser informieren, sagt Nitschinger von Prewave, das solche Frühwarnungen liefert. "Jede Maßnahme, mit der ich meine Lieferkette widerstandsfähiger mache, ist mit Kosten verbunden, denen man aber die Ausfallskosten entgegenstellen muss", fügt er hinzu.

Sorgen der Konsumenten

Auch Konsumenten schenken den Lieferketten zunehmend Aufmerksamkeit. Sie sorgen sich um die Konsequenzen von langen Transportwegen auf den Treibgasausstoß und die sozialen und ökologischen Bedingungen in den Herstellerländern. Lieferkettengesetze, wie sie in Deutschland beschlossen und in der EU in Ausarbeitung sind, sollen Unternehmen dazu zwingen, genauer auf die Standards bei ihren Zulieferern zu achten. "In der Politik, bei den Unternehmen und den Konsumenten ist das Bewusstsein gewachsen", sagt Nitschinger. "Wenn das einmal alles zusammenkommt, dann tut sich etwas in der Welt."

Aber was? Eine völlige Abkehr von der Globalisierung hätte katastrophale Folgen – höhere Preise in Europa und den USA, was vor allem Niedrigverdiener treffen würde, und mehr Armut im Globalen Süden. Denn die wirklich armen Länder der Welt sind jene, die an den Lieferketten gar nicht teilnehmen können.

Der Trend geht zu kürzeren Lieferwegen, einer stärkeren Diversifizierung und einem höheren Risikobewusstsein, schrieb der britische Economist vor kurzem. Aber "globale Lieferketten sind immer noch eine Quelle der Stärke und nicht der Schwäche", hieß es dort. Das sieht auch Kummer so. "Man muss nur aufmerksamer sein als in der Vergangenheit und die Warnsignale besser beachten." (Eric Frey, 10.7.2021)