Bild nicht mehr verfügbar.

Aus zwei mach drei: Laut den Herstellern Biontech und Pfizer ist nach spätestens einem Jahr eine dritte Dosis ihres mRNA-Vakzins nötig. Experten sind noch skeptisch.

Foto: : REUTERS

Die Hersteller Pfizer und Biontech arbeiten an Studien zu einer dritten Impfdosis – das haben die Impfstoffpartner am Donnerstag verkündet. In den kommenden Wochen sollen die Daten bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA sowie der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) eingereicht werden – der erste Schritt zur Zulassung.

Die gemeinsame Aussendung zur noch unveröffentlichten Studie ist eine Erfolgsmeldung: Die dritte Dosis habe eine hohe Schutzwirkung gegenüber allen bisher getesteten Coronavirus-Varianten gezeigt. So seien die Antikörperwerte nach dem dritten Stich um das Fünf- bis Zehnfache angestiegen. Auch im Fall der ansteckenderen Delta-Variante rechne man damit, dass eine dritte Dosis wirken werde. Gleichzeitig werde auch eine an die Variante angepasste Version des Impfstoffs entwickelt. Doch braucht es überhaupt eine dritte Impfung? Und wenn ja, wann?

Daten aus Israel

Nach einem halben Jahr müsse man von einem Rückgang der Schutzwirkung ihres mRNA-Vakzins ausgehen, teilten Biontech und Pfizer erneut mit. Das würden auch die vorläufigen Erhebungen aus Israel belegen, die Anfang der Woche veröffentlicht wurden.

"Wie anhand der vom israelischen Gesundheitsministerium erhobenen Daten aus der praktischen Anwendung bereits deutlich wurde, sinkt die Schutzwirkung des Impfstoffs gegenüber Infektionen und symptomatischen Erkrankungen sechs Monate nach der zweiten Impfung", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Pharmafirmen.

Laut den Behörden in Israel liege der Schutz vor einer symptomatischen Erkrankung mit der Delta-Variante nur noch bei 64 Prozent, zuvor hatte man den Schutz auf über 90 Prozent geschätzt. Diese Ergebnisse würden sich mit laufenden Analysen aus den Phase-3-Studien der beiden Unternehmen decken.

Im Laufe der Zeit und angesichts des Auftretens weiterer Virusvarianten erwarten die Hersteller einen Rückgang der Wirksamkeit bei symptomatischen Verläufen. Es sei deshalb wahrscheinlich, "dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird".

Nicht genügend Evidenz

Es gibt aber auch Studien, die dem Impfstoff eine höhere Wirksamkeit attestieren – auch in Bezug auf die Delta-Variante. In Großbritannien berichtete die nationale Gesundheitsbehörde im Mai, dass zwei Dosen des Impfstoffs eine Wirksamkeit von 88 Prozent hätten, wenn es darum geht, symptomatische Infektionen mit der Delta-Variante zu verhindern. Eine Studie aus Schottland kam zu dem Schluss, dass der Impfstoff in dieser Hinsicht zu 79 Prozent effektiv sei. Eine Studie aus Kanada bezifferte seine Wirksamkeit zuletzt auf 87 Prozent.

Nach der Ankündigung von Pfizer und Biontech zeigten sich Forscherinnen und Forscher in den USA deshalb teils skeptisch. Die FDA und die US-Gesundheitsbehörde CDC teilten in einer gemeinsamen Stellungnahme mit, dass vollständig geimpfte Amerikaner derzeit keine Auffrischungsimpfungen benötigen. Die US-Gesundheitsbehörde würde untersuchen, ob und wann Auffrischungsimpfungen notwendig seien. Auf Twitter schloss sich der Impfstoffexperte Florian Krammer dieser Einschätzung an.

Die Virologin Christina Nicolodi sagt gegenüber dem STANDARD: "Es gibt derzeit noch wenig Evidenz, um abschließend beurteilen zu können, wann eine Auffrischung nötig sein wird." Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur sieht noch keine ausreichende Studienlage, teilte die Behörde der Deutschen Presse-Agentur mit.

Weniger neutralisierende Antikörper

Tatsächlich dürfte die Delta-Variante den Immunschutz aber teilweise umgehen. In einer kürzlich im Fachmagazin Nature publizierten Studie berichten Forscherinnen und Forscher, dass Antikörper die Virusvariante aufgrund von Veränderungen an der Oberfläche des Spike-Proteins schwerer bekämpfen können.

Das Team analysierte Blutproben von 59 Personen nach der ersten und zweiten Teilimpfung mit den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Astra Zeneca. Nach der ersten Teildosis waren die dadurch gebildeten Antikörper bei nur zehn Prozent der Probanden in der Lage, die Delta-Variante zu neutralisieren. Ebenso waren Antikörper in Blutproben von ungeimpften Genesenen im Vergleich zur bisher vorherrschenden Variante Alpha weniger gut in der Lage, an Delta zu binden.

"Die Bindung der neutralisierenden Antikörper ist bei einer Infektion mit der Delta-Variante nicht mehr so hoch, wie das etwa beim Wildtyp der Fall war", sagt Nicolodi. Im Laborexperiment erhöhte die zweite Teilimpfung die Wirksamkeit – danach konnte bei 95 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine neutralisierende Antikörperantwort nachgewiesen werden, jedoch lag der Antikörpertiter gegen die Deltavariante um das Drei- bis Fünffache niedriger als bei der Alpha-Variante.

"Durch eine dritte Impfung könnte man die Anzahl der neutralisierenden Antikörper noch weiter erhöhen", sagt Nicolodi. "Wir wissen aber nicht, ob das auch wirklich einen entscheidenden Einfluss auf den Schutz hat." Denn: Wie sehr der Antikörpertiter mit dem Impfschutz korreliert, ist nicht abschließend geklärt.

Hohe Wirksamkeit bei schweren Verläufen

Erhebungen aus Großbritannien und Israel legten zuletzt nahe, dass zwei Teilimpfungen auch im Fall der Delta-Variante gegen schwere Krankheitsverläufe und Hospitalisierungen schützen: In dieser Hinsicht lag die Wirksamkeit des Impfstoffs bei über 90 Prozent.

Unabhängig vom Vorhandensein von Antikörpern wird nach einer Impfung auch eine zelluläre Immunität aufgebaut. Eine kürzlich erschienene Studie kam zu dem Schluss, dass die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna eine über mehrere Jahre anhaltende Immunfähigkeit gegen Covid-19 auslösen können – dafür verantwortlich sind nicht Antikörper, sondern B-Gedächtniszellen, die im Fall einer Infektion rasch eine gezielte Abwehrreaktion aufbauen.

Die Gedächtniszellen werden in sogenannten Keimzentren in den Lymphknoten gebildet. Auch 15 Wochen nach der ersten Teilimpfung waren solche Keimzentren bei Geimpften noch aktiv. Normalerweise, so schreiben die Autorinnen und Autoren, nehmen sie bereits eine bis zwei Wochen nach der Immunisierung ab. Das lege nahe, dass die Mehrheit der geimpften Personen über einen langen Zeitraum geschützt ist – zumindest, was bestehende Virusvarianten betrifft.

Ältere Menschen hingegen oder jene, die immunsupprimierende Medikamente nehmen, könnten Auffrischungsimpfungen brauchen. "Angesichts dessen macht eine dritte Impfung für Teile der Bevölkerung Sinn", sagt Nicolodi.

Obwohl eine dritte Dosis nicht mit gesundheitlichen Risiken für Geimpfte einhergeht, spricht laut Nicolodi einiges dagegen, die gesamte Bevölkerung ohne wissenschaftliche Evidenz zur Vorsicht ein drittes Mal zu impfen: "Damit würden sich Industriestaaten erneut ein riesiges Kontingent an Impfstoffen reservieren, während in Entwicklungsländern die meisten Menschen noch nicht einmal die erste Impfung erhalten haben." (Eja Kapeller, 10.7.2021)