Die Akropolis Rollator-fit.

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Der Aufstieg ist ziemlich steil.

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Als Griechenland wieder "offen" war, nach monatelangem Lockdown und Einreisebeschränkungen, wartete auf kulturbeflissene und andere Touristen ein besonderes Geschenk der konservativen Regierung Mitsotakis: Die Akropolis in Athen, das europäische Kulturerbe schlechthin, ist jetzt unübersehbar neu betoniert.

Zwischen den 2500 Jahre alten Sakralbauten auf dem "heiligen Felsen", dem Eingangstor der Propyläen, dem Erechtheion-Heiligtum mit den dachtragenden Frauenstatuen und dem gewaltigen Parthenon-Tempel führen jetzt vier Meter breite, funkelnagelneue Wege aus Beton.

Der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und seine Kulturministerin Lina Mendoni erklärten, das gewaltige Kulturdenkmal mit 3,5 Millionen Besuchern pro Jahr sei nun auch für alte, nicht so fitte oder Menschen mit Behinderung besser und gefahrloser zu besichtigen.

Die griechische Archäologen-Community und Mitglieder der Kulturszene sprachen von einer unglaublich hässlichen Bausünde, von einer Autobahn, die zwischen die Tempelruinen hineingeknallt worden sei – und zwar nur, um noch mehr Senioren von Kreuzfahrtschiffen auf die Akropolis zu karren.

Starker Anstieg

Ein Lokalaugenschein vor Ort Ende Juni fällt nicht wirklich begeisternd aus. Von der "Vor-Halle" (Propyläen) führt ziemlich stark ansteigend eine echte Betonautobahn zum Hauptstück der Akropolis, dem Parthenon (Jungfrauen-Gemach) – und um diesen Tempel der jungfräulichen Göttin Pallas Athene herum. Eine Abzweigung läuft zum nach einem sagenhaften Heros benannten Erechtheion-Tempel mit seinen bekannten Frauenstatuen (Karyatiden), eine weitere Rampe führt zum Aussichtspunkt am anderen Ende.

Inmitten der Ruinen und der unzähligen herumliegenden Trümmer wirkt der Parcours, der noch durch weitere Abzweigungen ergänzt werden soll, brutalistisch und unsensibel. Der Kontrast des lieblos wirkenden dicken Betonbandes zu den antiken Gebäuden aus der Blütezeit Athens und vor allem zur gesamten Balance der Anlage ist einfach zu groß.

Die Regierung hat immerhin einige Argumente für sich: Zunächst wurde der Weg auf dem Plateau schon in den 1960er-Jahren einmal betoniert. Der war aber schon zerfallen und ein Sicherheitsrisiko. Auch die teilweise noch vorhandene Pflasterung aus der Zeit, als religiöse Umzüge stattfanden, ist, weil abgeschliffen und glatt, gefährlich. Jedes Jahr gab es dutzende Verletzte, sagt der Kulturminister.

Erst einmal hinaufkommen

Tatsächlich ist der Weg auf dem Plateau jetzt für nicht so fitte Personen leichter gangbar. Allerdings müssen gehbehinderte oder untrainierte Personen erst einmal hinaufkommen – denn die Stufen und der Weg hinauf zu den Propyläen sind extrem steil, unmöglich für Rollstuhlfahrer oder Senioren mit Rollator. Was nutzt es also, dass man sich oben besser bewegen kann, wenn man gar nicht hinaufkommt ? Die Abhilfe, die dafür geschaffen wurde, nämlich die Erneuerung eines Aufzuges für (schwindelfreie) Rollstuhlfahrer an der senkrechten Nordwand des 156 Meter hohen Akropolisfelsens ist kein ernsthafter Zubringer.

Deshalb betrachten Kritiker weitere Pläne des Vorsitzenden des Akropolis-Komitees, des Architekten Manolis Korres, den Aufstieg zu den Propyläen mit einer Art Stiege zu erleichtern, mit größtem Misstrauen. Korres gilt zwar als die größte Koryphäe, was die Akropolis betrifft, aber viele Kolleginnen und Kollegen, wie Despina Koutsoumba, die Präsidentin der griechischen Archäologenvereinigung, werfen ihm vor, "dem Druck der Kreuzfahrtindustrie" nachzugeben. Vor allem sei die Änderung überfallsartig, ohne vorherige Studien und ausreichende Präsentationen erfolgt.

Die Akropolis und ihre Heiligtümer haben schon viel zu erdulden gehabt. Die ersten Tempelbauten auf dem mythischen Burgberg wurden 480 vor Christus von den Persern unter Großkönig Xerxes zerstört. Die faszinierenden archaischen Statuen, die man noch im "Perserschutt" fand, sind heute im ausgezeichneten neuen Akropolismuseum am Fuß des Felsens zu bewundern.

Nach dem Sieg der Griechen über die Perser wurde der Parthenon-Tempel errichtet, architektonischer Höhepunkt europäischer Kultur. Die aus Gold und Elfenbein bestehende Kolossalstatue der Pallas Athene des Bildhauers Phidias im Inneren verschwand irgendwann einmal. Aber lange blieb der Bau im Wesentlichen intakt (bis auf christliche und muslimische Bilderstürmerei), bis die Osmanen auf die Idee kamen, dort eine Pulverkammer einzurichten.

Ewige Baustelle

Dann war das Abendland mit einem kulturellen Verbrechen im Rahmen der existenziellen Auseinandersetzung mit den Osmanen an der Reihe. Bei der Belagerung 1687 durch die Venezianer ging ein Volltreffer in den Parthenon, das Munitionslager explodierte. Im frühen 19. Jahrhundert ließ der antikenbegeisterte britische Lord Elgin einen großen Teil der Marmorskulpturen aus dem Parthenon entfernen (gegen eine kleine Anerkennung für den türkischen Sultan). Sie sind heute im British Museum – und Gegenstand eines ewigen Rückgabestreits. Aber frühere griechische Regierungen haben auf das Erbe auch nicht gut aufgepasst: Der saure Regen zerfraß etwa die Gesichter der Karyatiden am Erechtheion, ehe man sie im Museum in Sicherheit brachte (auf der Akropolis stehen Kopien). Seit 1900 ist die Akropolis eine ewige Baustelle, vor allem wurde ein Teil der Säulen des Parthenon wieder aufgerichtet.

Auf Twitter haben sich bereits griechische Witzbolde ausgetobt. In Fotomontagen wird das Betonband als Autobahn mit Begrenzungszeichen dargestellt oder als Kegelbahn mit den Säulen des Parthenon als Kegel. Tausende haben dagegen unterschrieben.

Für konservative Politiker, die so gerne das "große Erbe der Vergangenheit" im Mund führen, spielt natürlich der kommerzielle Aspekt auch eine gewaltige Rolle. Ob Kommerzialisierung und Verbeugung vor den rollatorfahrenden Kreuzfahrttouristen endgültig gesiegt haben, wird man daran erkennen, ob die Pläne für einen leichteren Aufgang beim Propyläen-Eingang umgesetzt werden. (Hans Rauscher, 11.7.2021)