Gianluca Vialli und Roberto Mancini: "Wir sind wie Brüder."

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Euro-Ticker, das Finale: Italien vs. England, So., 21 Uhr

London – Roberto Mancini und Gianluca Vialli haben noch etwas nachzuholen. Im Londoner Wembley-Stadion, wo sie vor 29 Jahren mit Sampdoria Genua ihre wohl schmerzhafteste sportliche Niederlage hinnehmen mussten, soll mit Italiens Fußball-Nationalteam die finale Krönung gelingen. Im EM-Endspiel gegen England wollen Teamchef Mancini und Delegationschef Vialli, die beiden langjährigen Freunde, die "Squadra Azzurra" am Sonntag (21.00 Uhr/live ORF 1) zum Titel führen.

Die neue Squadra Azzurra, die mit Leidenschaft, Mut und Offensivfußball bis ins EM-Finale gestürmt ist, ist ein gemeinsames Projekt von Mancini und Vialli. Die beiden kennen einander seit über 40 Jahren, führten Sampdoria 1991 als "Tor-Zwillinge", wie sie genannt wurden, zum bisher einzigen Meistertitel und verloren 1992 in London das Meistercup-Finale gegen den FC Barcelona mit 0:1. "Ich habe mit ihm vielleicht die schönsten Momente meines Lebens als Fußballer erlebt", sagte Mancini. "Uns verbindet eine Freundschaft, die mehr als eine Freundschaft ist. Wir sind wie Brüder."

"Die Zeit war sehr schwer, auch für einen harten Typen wie mich"

2018 wurde der 56-Jährige Nationalcoach, 2019 holte er seinen Freund als Delegationschef dazu. Für Vialli war es nach überstandener Krebs-Erkrankung auch eine Art Therapie. Der Job bedeute ihm "sehr viel", sagte Vialli, der am Freitag seinen 57. Geburtstag feierte, vergangenes Jahr der Zeitung "La Repubblica". "Die Zeit war sehr schwer, auch für einen harten Typen wie mich. Physisch und mental", berichtete Vialli über seine Krebs-Erkrankung. Seine Aufgabe ist es nun, den Spielern als Kämpfer, Vorbild und Ratgeber zur Seite zu stehen. "Ich bin in einer Phase meines Lebens, wo ich Menschen inspirieren möchte."

Vialli feierte als Spieler mit Sampdoria, Juventus Turin und Chelsea Erfolge, galt in seiner Heimat lange als unverwundbarer Champion, bis 2017 Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Er unterzog sich einer Chemotherapie, zuletzt wurden keine Krankheitszeichen mehr festgestellt. "Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, weil ich nicht gewinnen könnte", sagte Vialli über seine Krankheit. "Der Krebs ist wie ein unerwünschter Reisebegleiter." Er hoffe, "dass dieser Gast müde wird und mich in Ruhe viele weitere Jahre leben lässt, weil es noch so viel gibt, das ich tun will."

"Wir hatten die gleichen Träume"

Während der schwersten Zeit seines Lebens stand auch Mancini Vialli bei, der für ihn einer der ganz wenigen richtig guten Freude ist. Zuerst mental, dann mit dem Job bei der Nationalmannschaft. Mit 15 Jahren lernten einander die beiden im nationalen Trainingszentrum Coverciano kennen, in ihrer Zeit bei Sampdoria wurden sie Freunde. "Wir hatten die gleiche Einstellung zum Leben, wir waren gleich alt, wir hatten die gleichen Träume. Das bringt dich zusammen", berichtete Vialli in der Dokumentation "Sogno Azzurro" des TV-Senders Rai, die auch die gemeinsame Geschichte von "Mancio" und "Luca" nacherzählt.

Das Projekt Nationalteam, dem auch ihre früheren Clubkollegen Attilio Lombardo, Fausto Salsano, Alberico Evani and Giulio Nuciari als Teil des Trainerteams angehören, erinnert durchaus an das erfolgreiche Sampdoria zu Beginn der 90er Jahre. "Das war eine sehr besondere Mannschaft, ein sehr besonderer Verein mit wichtigen Werten. Also ja, ein bisschen ja", sagte Mancini auf die Frage, ob er Parallelen sehe. Auch damals trat Sampdoria als absoluter Außenseiter an und überraschte – ähnlich wie die "Squadra Azzurra" in den vergangenen drei Jahren nach der verpassten WM 2018.

"Atmosphäre wie bei einem Club"

"All diese Spieler haben vier sehr wichtige Eigenschaften: Sie sind selbstlos, mutig, rastlos und hungrig. Es herrscht eine Atmosphäre wie bei einem Club", schwärmte Vialli. Diese Mischung soll die "Azzurri" nun den letzten Schritt gehen lassen und sie am Sonntag zum Titel tragen. Dann wollen die Freunde "Mancio" und "Luca" das erleben, was ihnen vor fast 30 Jahren verwehrt geblieben ist: Gemeinsam einen Pokal in den Londoner Abendhimmel zu strecken. (APA, 10.7.2021)