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Vor allem in Russland, aber auch in zahlreichen anderen Ländern, ist die Impfskepsis in der Bevölkerung groß.

Foto: REUTERS/Tatyana Makeyeva

In vielen europäischen Ländern geht derzeit die Angst vor einer neuen Corona-Welle um. Grund dafür ist die Delta-Variante, die deutlich ansteckender ist und wohl bald weltweit dominant werden könnte. In den Niederlanden hatte sich die Zahl der positiv Getesteten zuletzt binnen einer Woche versiebenfacht. Die erst seit Ende Juni geöffneten Clubs sind deshalb seit Samstag wieder geschlossen, Sperrstunde ist nun Mitternacht. Auch Großveranstaltungen, bei denen kein Sicherheitsabstand gewährleistet werden kann, sind nun wieder untersagt. Die neuen Regeln gelten vorerst bis 13. August.

Auch Nachtclubs in der spanischen Region Katalonien sind wieder geschlossen; für Großveranstaltungen im Freien muss man vollständig geimpft sein oder einen negativen Corona-Test vorweisen. Deutschland stufte ganz Spanien wegen der steigenden Zahlen als Risikogebiet ein, für Rückkehrende gilt also Quarantänepflicht.

Malta verschärfte die Regeln für Urlauberinnen und Urlauber: Ab Mittwoch dürfen nur noch vollständig Geimpfte einreisen, Kinder brauchen einen negativen PCR-Test. Auch in Österreich stieg die Zahl der Neuinfektionen zuletzt: Innerhalb von einer Woche hat sich die Zahl der positiv Getesteten von 75 auf 159 mehr als verdoppelt.

Mit Sorge blickt man derzeit nach London, wo beim EM-Finale am Sonntag 65.000 Zuschauerinnen und Zuschauer zugelassen waren. Zuletzt hatten sich in Großbritannien erstmals mehr Männer infiziert als Frauen – und vorwiegend männliche Fußballfans hatten sich in den vergangenen Wochen in Stadien, Fanzonen und Pubs versammelt.

Niederschwellige Angebote

Als wesentlich im Kampf gegen die weitere Ausbreitung gilt eine hohe Durchimpfungsrate. Allerdings ist Expertinnen und Experten zufolge angesichts der ansteckenderen Delta-Variante eine deutlich höhere Impfquote nötig als bisher angenommen: Der Beirat der französischen Regierung nannte 95 Prozent. Das deutsche Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass 85 Prozent doppelt Geimpfte zwischen zwölf und 59 Jahren eine vierte Welle verhindern würden. Angesichts dieser auch in Österreich noch lange nicht erreichten Quote (knapp 65 Prozent haben ihre erste Dosis, gut 45 Prozent sind vollständig geimpft) versucht man, mit möglichst niederschwelligen Angeboten die Bereitschaft zu erhöhen.

In Wien kann man etwa auf dem Rathausplatz, auf der Donauinsel und im Austria Center ohne Voranmeldung den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen. In Tirol ist an mehreren Standorten, etwa Lienz und Kitzbühel, ein Impfbus unterwegs (siehe Wissen).

Auch in der Ampelkommission beschäftigt man sich mit dem Thema: In einem überarbeiteten Brainstorming wurden etwa Impfungen in Museen, Sommerkinos, Bädern und auf dem Berg angeregt. "Immunisieren statt niederlegen" lautete der etwas skurrile Vorschlag für eine Motivation auf dem Friedhof. Um Menschen mit Migrationsgeschichte besser zu erreichen, wird auch gezielt in bestimmten Medien inseriert. Zudem wird auf Testimonials wie Fußballstar Marko Arnautović oder Siebenkämpferin Ivona Dadic gesetzt.

Hoffen auf "Impfruck" in Deutschland

Auch in Deutschland wirbt die Regierung unermüdlich fürs Impfen, mittlerweile gibt es mehr Dosen als Impfwillige. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat allerdings einen Impfskeptiker im eigenen Kabinett sitzen. Sein Vize, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, lehnt eine Impfung ab und sagt: "Die Entscheidung, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung – die nehme ich auch für mich in Anspruch."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hofft auf einen "Impfruck" in der Bevölkerung. Er spricht sich auch für Impfungen von Kindern und Jugendlichen aus. Auch die Bundesschülerkonferenz fordert Impfungen für alle, die sie wollen. Doch die Ständige Impfkommission (Stiko) gibt eine Empfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige in Deutschland nur dann ab, wenn sie Vorerkrankungen haben.

Impfskepsis in Russland

In Russland wollen sich einer aktuellen Umfrage zufolge 54 Prozent nach wie vor nicht impfen lassen. Das sind zwar weniger als im April (62 Prozent), aber immer noch weit mehr als in den meisten anderen Ländern. Als häufigste Ursache ihrer Ablehnung nennen die Befragten mögliche Nebenwirkungen (33 Prozent), weitere 20 Prozent erklärten, abwarten zu wollen, bis die "Testphase" abgeschlossen sei, 16 Prozent halten die Impfung prinzipiell für zwecklos. Daher floriert das Geschäft mit falschen Impfzertifikaten.

Dabei liegt die Ursache des Misstrauens weniger an den Präparaten selbst. Das erste von Russland entwickelte Vakzin Sputnik V beispielsweise wird auch in internationalen Fachblättern durchaus gelobt. Problematisch ist vielmehr die Informationspolitik des Kremls selbst. Während die Massenimpfungen in Russland im Dezember begannen, ließ sich Präsident Wladimir Putin selbst erst Ende März impfen.

Die Bevölkerung ist grundsätzlich misstrauisch gegenüber allen Initiativen der Obrigkeit, weil sie oft betrogen wurde. Auf dieser Basis blühen Verschwörungsmythen. Bei der Covid-Informationspolitik gibt es zudem erhebliche Mängel. So wurden Zahlen manipuliert und der Sieg gegen Covid schon mehrfach verkündet, was die Menschen in falscher Sicherheit wiegt.

Geschenke für Impfwillige

In den USA ist die Impfquote zwar deutlich höher als in Russland, aber schon seit Monaten kämpft man dort gegen die sinkende Impfbereitschaft. Angebote reichen dort von Gratisalkohol über Rubellose bis zu versprochenen Vorteilen auf Datingplattformen.

In Dubai wirbt man mit gratis Mitgliedschaften bei Fitnesscentern für die Impfung. In der indischen Stadt Rajkot erhalten impfwillige Frauen einen goldenen Nasenring – und Männer einen Stabmixer. (André Ballin aus Moskau, Birgit Baumann aus Berlin, Noura Maan, 12.7.2021)