Gianluigi Donnarumma, der beste Torhüter des Turniers, bescherte Italien kurz vor 23 Uhr Lokalzeit im Elferschießen den zweiten EM-Titel nach 1968. Nach 120 Minuten war es 1:1 (0:1) gestanden. England weint, der viermalige Weltmeister feiert.
Roberto Mancini vertraute der Elf, die im Halbfinale begonnen hatte. Auch im Endspiel sollten drei Spitzen für Betrieb sorgen. Kollege Gareth Southgate setzte diesmal von Beginn an auf Kieran Trippier, der gegen die Dänen eingewechselt worden war. Jungspund Bukayo Saka blieb dafür draußen – mehr Stabilität war also gewünscht. Stabilität, die auch die Absperrungen vor dem Stadion zu beweisen hatten, als sich Dutzende wohl kartenlose Fans mit Gewalt Zutritt verschaffen wollten.
Auch so wurde es eine Fete, die Virologen kalte Schauer über die Rücken jagte. Über die Verteilung der Gunst der 67.173 Zuschauer herrschte Klarheit. Auf der Ehrentribüne genoss Herzogin Kate an Prinz Williams Seite nur wenige Stunden nach ihrem Auftritt bei der Siegerehrung in Wimbledon und natürlich in neuem Outfit die Stimmung.
Englische Blitzführung
Nach einem Kniefall beider Mannschaften dauerte es genau 117 Sekunden, bis das Wembley zum Tollhaus wurde. Harry Kane bediente in einem schnellen Gegenstoß Trippier, der mit einer weiten Flanke den linken Fuß von Luke Shaw am Fünfereck fand. Der Verteidiger von Manchester United traf halbvolley via Innenstange im 16. Länderspiel zum allerersten Mal für England (2.). Italiens Goalie Gianluigi Donnarumma war beim bisher schnellsten Treffer in einem EM-Finale machtlos.
Italien brauchte lange, um die kalte Dusche bei zunehmendem Regen zu verkraften. Weg war plötzlich die Leichtigkeit in der Offensive, Einzelaktionen versandeten in der englischen Abwehr, auf der Gegenseite warteten Kane und Kollegen auf die Gelegenheit, dem zuvor in 33 Spielen ungeschlagenen Gegner den zweiten Schlag zu versetzen. Immerhin kam Italien so auf ein leichtes Plus an Ballbesitz. Der unverdrossene Federico Chiesa gab den Seinen mit einem guten Schuss knapp an Jordan Pickfords Tor vorbei Grund zur Zuversicht (35.). Mehr als geblockter Schuss von Ciro Immobile und ein Edelroller von Marco Verratti wollte aber bis zur Pause nicht mehr herausschauen.
Zweimal kein Elfer
Die sicher stehenden Engländer hatten ihre Offensivbemühungen weitgehend eingestellt, ein Tauchversuch von Sterling nach Zweikampf im Strafraum mit Leonardo Bonucci fand vor den Augen des niederländischen Referees Björn Kuipers keine Elfer-Gnade.
Eine wesentlich haarigere Szene bald nach Wiederbeginn bewertete Kuipers ebenfalls zugunsten der Italiener, Bonucci und Giorgio Chiellini hatten Sterling im Strafraum in die Zange genommen (48.). Der erste Rückstand während der Endrunde ließ Mancini doppelt wechseln. Gleich darauf prüfte Insigne Torhüter Pickford mit einem Schuss aufs kurze Eck (57.).
England setzte gefährlich früh auf Halten, Italien erhöhte auf 70 Prozent Ballbesitz. Bei einem Schuss von Chiesa zeigte Pickford seine bis dahin größte Tat (62.). Der Ausgleich fiel aber folgerichtig. Nach einem Eckball wehrte Pickford den Kopfball von Verratti an die Stange ab, der aufgerückte Abwehrrecke Bonucci staubte zu seinem achten Tor für die Squadra Azzurra ab (67.) – im 109. Länderspiel. Kurz darauf schrammte der für Immobile eingewechselte Domenico Berardi halbvolley am Führungstreffer vorbei (73.). Danach kehrte allerdings eher ungepflegte Ruhe ein, bei Italien musste Chiesa blessiert vom Platz. Bis zum Ende der regulären Spielzeit sorgte nur ein Flitzer für Aufsehen.
Rashford, Sancho, Saka verschießen
Die achte Verlängerung im 15. K.o.-Spiel der EM war nach sechs Minuten Nachspielzeit gewiss. In ihr schien die etwas bessere Fitness der Engländer zu greifen. Zumindest gab es wieder Chancen, wenn auch wenig zwingendes. Der Eindruck eines insgesamt schwachen Finales verfestigte sich damit.
Nach 135 Minuten – inklusive aller Nachspielzeiten – mussten die Elfmeter entscheiden. Nach sechs von acht dieser Glücksspiele bei Großereignissen seit 1999 war England als Verlierer vom Platz gegangen. Auch diesmal, denn erstmals bei einer EM gewann eine Mannschaft zwei Elferschießen.
Italien, schon gegen Spanien glücklicher, vergab zwar durch Andrea Belotti und Jorginho , Marcus Rashford und Jaden Sancho, beide fürs Elferschießen eingewechselt, sowie Saka scheiterten bei den Engländern. (Sigi Lützow, 12.7.2021)
Fußball-EM – Finale:
Italien – England 1:1 (1:1, 0:1) n.V., 3:2 i.E..
London, Wembley-Stadion, 67.173 Zuschauer, SR Kuipers (NED)
Tore:
0:1 ( 2.) Shaw
1:1 (67.) Bonucci
Elfmeterschießen:
1:0 – Berardi trifft
1:1 – Kane trifft
1:1 – Belotti scheitert an Pickford
1:2 – Maguire trifft
2:2 – Bonucci trifft
2:2 – Rashford schießt an die Stange
3:2 – Bernardeschi trifft
3:2 – Sancho scheitert an Donnarumma
3:2 – Jorginho scheitert an Pickford und der Stange
3:2 – Saka scheitert an Donnarumma
Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Chiellini, Emerson (118. Florenzi) – Barella (55. Cristante), Jorginho, Verratti (96. Locatelli) – Chiesa (86. Bernardeschi), Immobile (55. Berardi), Insigne (91. Belotti)
England: Pickford – Walker (120. Sancho), Stones, Maguire – Trippier (70. Saka), Philipps, Rice (74. Henderson/120. Rashford), Shaw – Mount (99. Grealish), Sterling – Kane
Gelbe Karten: Barella, Bonucci, Insigne, Chiellini, Jorginho bzw. Maguire
UEFA-Statistik:
Schüsse:
20 bzw. 6
Schüsse aufs Tor:
6 bzw. 1
Corner:
3 bzw. 5
Abseits:
5 bzw. 1
Fouls:
21 bzw. 13
Ballbesitz:
62 bzw. 38 Prozent
Pässe gesamt:
840 bzw. 440
Pässe angekommen:
756 bzw. 341 (in Prozent: 90 bzw. 78)
Spieler des Spiels:
Leonardo Bonucci (ITA)
Alle Europameister nach der Zahl ihrer EM-Titel:
Spanien 3 (1964,2008,2012)
Deutschland 3 (1972,1980,1996)
Italien 2 (1968,2021)
Frankreich 2 (1984,2000)
Portugal 1 (2016)
Griechenland 1 (2004)
Dänemark 1 (1992)
Niederlande 1 (1988)
CSSR 1 (1976)
UdSSR 1 (1960)
Die Torschützenliste der Fußball-EM 2020 (2021):
5 Cristiano Ronaldo Portugal
5 Patrik Schick Tschechien
4 Karim Benzema Frankreich
4 Emil Forsberg Schweden
4 Harry Kane England
4 Romelu Lukaku Belgien
3 Kasper Dolberg Dänemark
3 Robert Lewandowski Polen
3 Alvaro Morata Spanien
3 Haris Seferovic Schweiz
3 Xherdan Shaqiri Schweiz
3 Raheem Sterling England
3 Georginio Wijnaldum Niederlande