Junge Männer in Johannesburg beeilen sich, aus dem Schussfeld der Polizei zu kommen. Mehrere Tage lang dauern die Krawalle nun bereits.

Foto: LUCA SOLA / AFP

Szenen wie aus dem Bürgerkrieg. Auf der Autobahn zwischen Durban und Johannesburg zünden Mobs Lastwagen an – anderntags stehen die ausgebrannten Metallskelette wie nach einem Bombenangriff auf der Fahrbahn. Durch Johannesburgs Innenstadt ziehen hunderte wütende Männer: Sie werfen Steine auf Polizisten, plündern Geschäfte und geben gelegentlich Schüsse ab. In eine Klinik im Johannesburger Stadtteil Hillbrow wird ein sechs Monate altes Kind mit einem Kopfschuss eingeliefert, ein Mann stirbt an den Folgen mehrerer Messerstiche, zwischen den Patienten brechen Schlägereien aus. "Es ist ein Albtraum", sagt der Arzt Suhayi Essa zu einem Reporter von "News24": "Hier geht es zu wie im Krieg."

Auch am fünften Tag nach der Verhaftung Jacob Zumas halten in mehreren südafrikanischen Städten schwere Unruhen an: Erstmals sandte die Regierung am Montagmittag auch die Armee in die Zentren der Gewalt. Die Welle der Ausschreitungen wird mit der Festnahme des ehemaligen Präsidenten in Verbindung gebracht, der sich am Donnerstag freiwillig zum Antritt seiner 15-monatigen Haftstrafe in der Polizeistation eingefunden hat.

Nach Verhaftung Zumas

Am Freitagabend brachen in der Provinz KwaZulu/Natal, aus der der 79-jährige Zuma stammt, die ersten Unruhen aus: Sie griffen am Wochenende auch auf Johannesburg über. Dort standen die sogenannten "Hostels" im Mittelpunkt der Gewalt: Wohnheime für Wanderarbeiter aus der Provinz KwaZulu/Natal, von der schon seit Jahrzehnten regelmäßig Gewalt ausgeht. Die Polizei wagt sich höchstens mit Unterstützung der Armee in die Hostels, deren Bewohner teilweise auch mit automatischen Gewehren bewaffnet sind. Auch bei den Straßenschlachten im alten Geschäftszentrum von Johannesburg sahen sich die Ordnungshüter am Wochenende immer wieder zum Rückzug gezwungen.

Sowohl in Kwa-Zulu/Natal wie auch in Johannesburg sollen bisher mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen sein. Die Polizei verhaftete nach eigenen Angaben inzwischen über 100 Personen. Der bisherige Sachschaden soll sich auf hunderte Millionen von Rand, zig Millionen an Euro, belaufen. Staatspräsident Cyril Ramaphosa forderte am Sonntagabend in einer Fernsehansprache ein sofortiges Ende der Gewalt: "Einige von euch mögen wütend oder gekränkt sein", sagte der Regierungschef unter Anspielung an Zumas Verhaftung: "Das rechtfertigt jedoch unter keinen Umständen derartig brutale Gewaltaktionen."

Gewaltpotenzial in Hostels

Anhänger des Ex-Präsidenten hatten vor dessen Verhaftung immer wieder mit einem Aufstand der Bevölkerung gedroht. Als Zuma in der Nacht zum Donnerstag freiwillig seine Haft antrat, kam es allerdings zu keinen Protesten seiner Anhänger. Die Unruhen seien mit Zumas Verhaftung nur bedingt in Zusammenhang zu bringen, heißt es in der südafrikanischen Presse. Sowohl auf den Autobahnen der Provinz KwaZulu/Natal als auch in der Umgebung der Hostels in Johannesburg war es in der Vergangenheit bereits öfter zu gewalttätigen Ausschreitungen vor allem gegenüber Ausländern gekommen. Dabei wurden regelmäßig Geschäfte geplündert und von ausländischen Fahrern chauffierte Lastwagen angezündet. Zumas Haftantritt habe den plündernden Hooligans nur als Vorwand gedient, heißt es in Johannesburg.

Ernsthafte Auswirkungen auf die südafrikanische Politik werden von der Gewaltwelle nicht erwartet. Die chaotischen Ausschreitungen wirkten sich auf den regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) eher vereinigend aus, meinen Fachleute: Die gesamten ANC-Politiker sei sich darin einig, dass den Unruhen nur mit staatlicher Gewalt begegnet werden könne.

Überprüfung der Haftstrafe

Innerhalb der Regierungspartei habe Zuma nun auch noch den letzten Rest seiner Sympathien verspielt. Ob das Militär bei der Bekämpfung der Unruhen erfolgreicher als die Polizei vorgeht, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest. Das Urteil des Verfassungsgerichts über einen Antrag Zumas zur Überprüfung seiner Haftstrafe wurde für Montagabend erwartet. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 12.7.2021)