Experten erwarten für die nächste Zinssitzung am 22. Juli auch mehr Informationen über den in der Vorwoche kommunizierten Strategieschwenk der EZB – etwa den Klimaschutz betreffend.

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Nachdem sich die EZB vergangene Woche eine neue Strategie verpasst hatte, kündigte Notenbankchefin Christine Lagarde für die am 22. Juli anstehende Zinssitzung einen neuen geldpolitischen Ausblick an, da dieser an den Strategiecheck angeglichen werden müsse. "Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns weiter danach richten werden, günstige Finanzierungsbedingungen in unseren Volkswirtschaften zu bewahren", sagte sie in einem Gespräch mit Bloomberg. Lagarde zufolge soll es dabei "einige interessante Variationen und Veränderungen geben".

Trotz dieser Ankündigung hängt Friedrich Mostböck seine Erwartungen nicht allzu hoch. Vielmehr erwartet der Chefanalyst der Erste Group keine großen Veränderungen, zumal sich die EZB durch die neue Strategie mehr Spielraum bei der Bekämpfung hoher Inflation geschaffen habe. Denn in manchen Ländern der Eurozone liegt die Teuerung längst über dem alten Ziel der Notenbank von knapp zwei Prozent, auch in Österreich. Für das Gesamtjahr erwartet die Nationalbank heuer 2,2 Prozent Inflation, gemessen am europäischen Verbraucherpreisindex HVPI.

Künftig peilt die EZB die Inflation genau bei zwei Prozent pro Jahr als Zielwert an, der mittelfristig erreicht werden soll – wodurch ein zeitweiliges Überschießen der Teuerungsraten möglich wird, ohne die geldpolitischen Zügel deshalb unmittelbar anziehen zu müssen. Mostböck erwartet daher auch, dass die EZB auch ihr Corona-Anleihenkaufprogramm Pepp zumindest bis März 2022 weiterlaufen lassen wird.

Mehr als sechs Monate

Fraglich ist jedoch, was die EZB unter dem Begriff mittelfristig genau versteht. Lagardes Stellvertreter Luis de Guindos erklärte am Montag, man habe keine konkrete Dauer im Blick, wie lange bei einem extrem niedrigen Zinsumfeld eine Inflation über der Zielmarke hingenommen werden kann. Mostböck geht davon aus, dass es sich wohl um eine längere Zeitspanne als sechs Monate handeln wird.

Auch Wifo-Ökonom Josef Baumgarnter sieht in dem Strategiewechsel mehr Flexibilität für die EZB bei überschießenden Inflationsraten. Sonst erwartet er für die nächste Sitzung weitere Konkretisierungen – etwa, wie die Preise für eigentümergenutztes Wohnen Berücksichtigung finden könnten, denn im HVPI finden diese Preise bisher keinen Eingang. Diesen zu ändern ist Baumgartner zufolge jedoch schwer umzusetzen, aber die EZB könnte dafür einen eigenen Preisindex in die geldpolitischen Entscheidungen einfließen lassen.

Auch hinsichtlich der Kommunikation, die künftig einfacher und klarer erfolgen soll – schließlich beeinflusst man damit auch die Inflationserwartungen der Bürger. "Die Inflationsentwicklung hat eine nicht zu unterschätzende Erwartungskomponente", erinnert Baumgartner. Nicht zuletzt, da diese auch in den Lohnverhandlungen eine bedeutende Rolle spielten.

Klima beeinflusst Preise

Zudem will die EZB dem Klimaschutz in ihrer Geldpolitik mehr Gewicht beimessen. Ein detaillierter Plan soll erst nächstes Jahr folgen, aber Baumgartner und Erste-Analyst Mostböck können sich Präzisierungen schon bei der nächsten EZB-Sitzung vorstellen. "Die EZB ist eine moderne Notenbank", sagt Mostböck, "Notenbanken müssen sich neu erfinden – und das hat die EZB getan." Damit habe sie gegenüber dem US-Pendant Fed vorgelegt, das bisher nicht auf Klima achte – was sich unter Präsident Joe Biden aber noch ändern könne.

Denn die Klimaveränderung betreffe die Geldpolitik, etwa über Preisentwicklungen, die in die Inflation einfließen. Mostböck denkt dabei nicht nur an landwirtschaftliche Produkte, sondern auch an vielerorts knapper werdendes Wasser, das für viele Industrien eine sehr wichtige Ressource darstellt. Bisher habe die EZB hinsichtlich der Klimastrategie einen Rahmen abgesteckt. Künftig könnte Klima etwa bei Käufen von Unternehmensanleihen eine große Rolle spielen. Dazu brauchte es entsprechende Ratings von Agenturen, die Klimaschutz berücksichtigen – weshalb sich laut Mostböck auch die großen Ratingagenturen neu erfinden müssten. (Alexander Hahn, 13.7.2021)