Havanna – Im Zusammenhang mit den ersten Massenprotesten gegen die Regierung in Kuba seit Jahrzehnten sind nach Angaben von Amnesty International vom Montag mindestens 115 Menschen dort willkürlich festgenommen worden. Mexiko, Russland, Venezuela und Argentinien sprachen der kubanischen Regierung indes ihre Unterstützung zu. Die USA und die EU forderten das Land auf, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu respektieren.

Internetzugang eingeschränkt

Unter den Festgenommenen waren prominente Dissidenten sowie auch Journalisten, wie die Amerika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, Erika Guevara-Rosas, am Montag (Ortszeit) auf Twitter schrieb. Berichten zufolge herrschte eine hohe Präsenz der Sicherheitskräfte. Es kursierten Videos, die neue, kleinere Proteste zeigen sollten. Da aber der Internetzugang in Kuba eingeschränkt wurde, drangen wenige Informationen nach außen.

Am Sonntag hatten Tausende Menschen in zahlreichen Städten des autoritär regierten Karibikstaates gegen Mangelwirtschaft und Unterdrückung demonstriert. Sie riefen unter anderem "Patria y Vida" (Vaterland und Leben) – den Titel eines im Februar veröffentlichten Protest-Lieds. Dieser ist eine Anspielung auf einen viel zitierten Ausspruch Fidel Castros: "Patria o Muerte" (Vaterland oder Tod).

Amnesty International beklagt, dass mindestens 115 Menschen in Kuba willkürlich festgenommen wurden.
Foto: YAMIL LAGE / AFP

Präsident stachelt Demonstranten an

"Wenn sie die Revolution bezwingen wollen, müssen sie über unsere Leichen gehen", hatte der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel am Sonntag im Fernsehen gesagt. Er rief dazu auf, die Revolution – sprich: das sozialistische System – auf den Straßen zu verteidigen. Die Sicherheitskräfte griffen Berichten zufolge hart durch. Auf Videos war zu sehen, wie Männer, bei denen es sich laut Aktivisten um Polizisten in zivil handelte, Demonstranten schlugen und mitnahmen.

Die Regierung bezeichnete die Proteste als Provokationen durch Konterrevolutionäre, die von den USA finanziert worden seien, um Kuba zu destabilisieren. Das Volk sei zur Verteidigung der Revolution auf die Straße gegangen, die "subversiven Handlungen" besiegt worden, berichtete "Granma", die Zeitung der Kommunistischen Partei (PCC) – der einzigen in Kuba zugelassenen Partei.

In einer TV- und Radioansprache beschuldigte Staatschef Díaz-Canel Washington am Montag (Ortszeit), eine "Politik zur Erstickung der Wirtschaft" in Kuba zu verfolgen, um "soziale Unruhen" im Land zu provozieren.

USA und EU gegen Eskalation

US-Präsident Joe Biden erklärte, seine Regierung stehe an der Seite der Kubaner, die sich nach Freiheit und einem Ende "der jahrzehntelangen Unterdrückung und des wirtschaftlichen Leids" sehnten. Verantwortlich dafür sei Kubas "autoritäre" Regierung. "Die Vereinigten Staaten rufen das kubanische Regime auf, in diesem entscheidenden Moment seinem Volk zuzuhören und auf seine Bedürfnisse einzugehen, anstatt sich selbst zu bereichern", sagte Biden.

Foto: EPA/ARIEL LEY ROYERO

Die EU schloss sich den US-Forderungen an Havanna nach Meinungs- und Versammlungsfreiheit an. "Ich möchte die dortige Regierung auffordern, friedliche Demonstrationen zuzulassen und auf die Unzufriedenheit der Demonstranten zu hören", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Auch Brasiliens rechtsradikaler Präsident Jair Bolsonaro drückte seine "Solidarität" mit den Demonstranten aus, die "ein Ende einer grausamen Diktatur" forderten.

Russland und Mexiko auf Kuba-Seite

Mexikos linksgerichteter Präsident Andrés Manuel López Obrador bot der Regierung in Kuba indes Unterstützung an. Sein Land könne Lebensmittel, Medikamente und Corona-Impfstoff bereitstellen. Zugleich warnte er vor politischer Einflussnahme durch ausländische Regierungen.

Auch Kubas Verbündeter Russland sprach sich gegen jegliche "Einmischung von außen" in dem kommunistischen Land aus. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, warnte vor "destruktiven Handlungen, die die Destabilisierung der Situation auf der Insel fördern würden" – womit sie mutmaßlich auf die USA abzielte.

Auch der venezolanische Präsident Nicolás Maduro sprach der kubanischen Regierung "alle Unterstützung" aus. Sein argentinischer Amtskollege Alberto Fernandez forderte die Aufhebung der US-Sanktionen.

Eine Seltenheit

Proteste finden in Kuba nur äußerst selten statt – die einzigen erlaubten Versammlungen sind normalerweise Veranstaltungen der Kommunistischen Partei. Beobachter sprachen von den größten Demonstrationen seit Jahrzehnten.

Auslöser war unter anderem der Mangel an Medikamenten und Lebensmitteln. Unter dem Ex-Präsidenten Donald Trump hatten die USA ihre Sanktionen gegen Kuba verschärft. Während der Pandemie fehlen nun auch die wichtigen Einnahmen aus dem Tourismus. Zuletzt stiegen zudem die Zahlen der Corona-Infektionen deutlich. (APA, dpa, 13.7.2021)