"Moneyboys", das elegische, sehr stilsichere Langfilmdebüt des österreichisch-chinesischen Regisseurs C. B. Yi.

Foto: Filmfestspiele Cannes

Ennui-sur-Blasé, schon der Name der französischen Stadt, in der Wes Andersons The French Dispatch angesiedelt ist, muss man als kultivierten Witz bezeichnen. Gemeint ist damit nicht etwa Cannes, wo der Glamour der Filmwelt mit billigem Bling-Bling auf den Straßen konkurriert, sondern der fiktive Standort eines Magazins, das man in der echten Welt als den New Yorker kennt. Bis heute setzt die in ihrer Aufmachung unverwechselbare Publikation nicht nur Maßstäbe in Sachen seriöser Journalismus. Mit ihren gezeichneten Covern und edlen Rubriken gilt sie auch als Flaggschiff erlesenen Stils.

Anderson, bekanntermaßen ein Freund von Eleganz und Schönheit alter Dinge, verneigt sich nun vor ebendiesem Magazin, indem er in die 1960er-Jahre zurückkehrt, eine Ära, in der sich US-Autoren und Journalisten in der Alten Welt einer aufblühenden Kultur noch ganz nahe wussten. Ausgeführt ist der Film als Anthologie, die in Episoden gleichsam durch eine Magazinausgabe blättern lässt: ein formvollendeter Pastiche, in dem jede Bildkomposition eine kleine Augenweide ist. Und es wimmelt von Stars: Benicio del Toro verkörpert etwa einen zerzausten Mörder, der, inspiriert von seiner Wärterinnenmuse (Léa Seydoux), die abstrakte Kunst erfindet.

Ode an Kosmopoliten

Im Politikressort ist dann Frances McDormand als Reporterin so nahe an der 68er-Revolte dran, dass man den Begriff "embedded journalism" neu überdenken muss. Trotz aller Ironie und Idiosynkrasien rutscht Anderson jedoch in keine Kunstwelt ab, vielmehr beschwört er einen Kosmopolitismus herauf, der in Zeiten nationaler Restauration aus dem Blick geraten ist. In der schönsten Episode spielt Jeffrey Wright einen an James Baldwin angelehnten Restaurantkritiker, dessen Artikel in eine wilde Kidnappinggeschichte ausufert, dann aber doch zum Hohelied auf die Bereicherung durch alles Fremde wird.

Auch sonst werden in Cannes im Rückgriff auf die Vergangenheit die Gräben der Gegenwart sichtbar: Mia Hansen-Løve gelingt in ihrem Wettbewerbsbeitrag Bergman’s Island eine mit leichter Hand inszenierte, trotzdem vielschichtige Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich Frauen aus dem Schatten übergroßer Künstlersubjekte befreien. Vicky Krieps verkörpert die Filmemacherin an der Seite ihres erfolgsverwöhnten Mannes (Tim Roth), die am Rückzugsort des schwedischen Cineasten Ingmar Bergman, auf der Insel Fårö, mit ihrem Drehbuch ins Stocken gerät. Hansen-Løve zieht den Zuschauer immer tiefer in die Vorstellungswelt ihrer Protagonistin hinein, ohne dabei die Paarbeziehung zu desavouieren.

Heimische Beiträge

Der heimische Filmkünstler Peter Tscherkassky begeisterte wiederum mit seiner fulminanten Geschwindigkeitsstudie Train Again, in der er eines der Urmotive des Kinos, die Zugfahrt, mit apokalyptischen Reitern und einer Pferdekutsche zu einer sinnesbetörenden Raserei kurzschließt. Tscherkassky experimenteller Actionfilm führt per Montage, ruckelnde Frames und Mehrfachbelichtungen noch einmal eine abstrakte Kernschmelze des Attraktionskinos vor. Moderne und ungebremster Fortschrittsglauben laufen hier auf dem Fast Track ab, das Unglück, die Katastrophe ist schon unausweichlich.

Auf die meditative Erzähltradition des asiatischen Kinos verweist dagegen Moneyboys, das elegische, sehr stilsichere Langfilmdebüt des österreichisch-chinesischen Regisseurs C. B. Yi. In einem gemessenen Erzählduktus, exzellent fotografiert von Kameramann Jean-Louis Vialard, dringt Yi in die Lebensrealität von jungen Männern vor, die in chinesischen Großstädten als Callboys arbeiten und dafür einen hohen Preis zahlen: Ihre Familien schmähen sie, ihr prekärer Status und gesellschaftlicher Anpassungsdruck verunmöglichen ein erfülltes Dasein als schwuler Mann. Yi formuliert dieses Drama um seinen Helden Fei nicht unnötig aus, sondern vertraut auf Bilder, in denen sich gegenläufige Energien freisetzen: Das Melodram holt Moneyboys schleichend ein. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, 14.7.2021)