Ein Baby kommt, trotzdem halten wir Genaueres privat – so die Kurzfassung der Facebook-Meldung über die Schwangerschaft. Zu besprechen gab es offenbar trotzdem viel.

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Ein heterosexuelles Paar Mitte dreißig bekommt ein Baby. Nichts Besonderes eigentlich. Total besonders wird es aber, wenn der werdende Vater ein ziemlich junger Bundeskanzler wie Sebastian Kurz ist. Das große Interesse ist da schon nachvollziehbar. Und dann noch dieses hübsche Foto des Paares, das die Facebook-Nachricht bebildert: In einem Getreidefeld lächeln sich die werdenden Eltern an. Ein Baby kommt, trotzdem halten wir Genaueres weiterhin privat, fertig – so die Kurzfassung des Kanzlers Kunde. Mehr muss man auch nicht wissen. Und trotzdem gibt es offenbar allerlei zu besprechen, wie die zahllosen Beiträge auf sozialen Medien und in Zeitungsforen dazu zeigen.

Eine Idee von Elternschaft

Neben den leider klassischen untergriffigen Anfeindungen ist darunter auch Interessantes zu finden. Unter den Wortmeldungen vieler halbwegs manierlicher Kurz-Kritiker*innen etwa. Dem Inhalt nach zu schließen schätzen sich von ihnen wohl die meisten als weitaus weniger konservativ als die ÖVP und Kurz ein, trotzdem verbreiten sie munter eine höchst unmoderne Vorstellung von Elternschaft – etwa wenn ziemlich oft angemerkt wird, Kurz habe jetzt die Chance, ein anderer zu werden. Wenn er erst Vater sei, würde er womöglich eine Corona-Politik, die Eltern mit viel zu viel Betreuungspflichten alleinlässt, überdenken. Dass er dann dank einer womöglich gewonnenen neuen Empathiefähigkeit seinen Asylkurs überdenken könnte. Kurz: Als Vater hätte der Bundeskanzler aus Sicht dieser Kritiker*innen eine höhere Chance, seine Perspektiven zu erweitern, sozialer zu werden, schlicht: ein "besser Mensch" zu werden.

Glück und Möglichkeit

Nun, Elternsein allein macht eine*n sicher nicht zu einem besseren Menschen. Jene, die Eltern werden wollen und es auch werden, haben verdammt viel Glück. Und die Chancen auf dieses Glück sind unterschiedlich hoch, manche Hetero-Paare lernen sich erst spät kennen, und es funktioniert wegen des Alters nicht mehr, andere bekommen es doch irgendwie mit In-vitro-Fertilisation hin, oft mit Einsatz von viel Geld und Nerven. Für LGBTQI-Personen ist es oft noch einmal um Längen komplizierter, ein Kind zu bekommen. Erst seit 2015 ist nun auch für lesbische Paare mithilfe von Samenspenden eine Schwangerschaft möglich. Alleinstehende Frauen und schwule Männer haben diese Möglichkeiten nicht – für sie gestaltet sich die Verwirklichung eines Kinderwunschs noch komplizierter. Es sind also eine Portion Glück und Möglichkeiten dahinter, die man hat – oder eben nicht hat.

Trotzdem gibt es diesen offenbar weitverbreiteten Glauben, Vaterschaft oder Mutterschaft mache jemanden zu einem weiseren, besseren Menschen. Doch was heißt das im Umkehrschluss? Dass jenen, denen Kinder verwehrt bleiben, auch abseits von ihrem unerfüllten Kindewunsch, etwas fehlt? Mitgefühl? Lebenserfahrung?

Diversität? Schön, aber bitte nicht für uns

Natürlich nicht. Und das gilt freilich auch für jene, die bewusst keine Kinder wollen. Ihnen wird noch immer gern nachgesagt, sie würden nur an sich denken. Indessen trifft ein solcher Ego-Vorwurf Eltern kaum, auch wenn sie plötzlich nur mehr das Wohl der eigenen Kernfamilie im Auge haben. Die ihre Kinder in teure Alternativkindergärten und -schulen schicken. Da können uns Sozialwissenschafter*innen noch so oft sagen, dass wir genau so einer zunehmenden sozialen Segregation zuarbeiten. Ein diverser sozialer Hintergrund bei Kindern in einer Klasse ist schon wichtig, klar, aber bitte, das eigene Kind soll da nicht hin. Das Gegenteil von Heiligenschein qua Nachkommenschaft ist also oft der Fall: Plötzlich sieht man nur mehr Optimierungspotenzial für das eigene, das engste familiäre Umfeld.

Gerade für gut situierte Schichten geht sich die Annahme, Elternschaft verleihe Menschen einen wacheren Blick auf die Lage der Gesamtgesellschaft, nicht ganz aus. Sie können die mit Kindern nunmehr geringer werdende Zeit mit Geld ein Stückweit zurückkaufen. Dann übernimmt halt das unliebsame Kochen der Lieferdienst, das Putzen wird outgesourct. Die Größe der Opfer, die man für ein Leben mit Kindern bringen muss, hängt also auch von der Geldbörse ab. Es ist also zu viel des Guten, an einen elternimmanenten Altruismus zu glauben.

Romantisierte Vorstellungen

Menschen, die Kinder bekommen, werden nicht per se wohlwollender oder lieben die Nächsten mehr. Wer das meint, meint auch, ein Mensch ohne Kinder wäre nicht komplett – eine Annahme, die vor allem noch immer Frauen mit voller Wucht trifft. Wir sollten also sehr vorsichtig mit derlei romantisierten Vorstellungen von Elternschaft sein. Sich kümmern, neue Perspektiven gewinnen, Perspektiven, die nicht nur der eigenen Position in der Gesellschaft geschuldet sind, eine klare politische Haltung: Dafür braucht es mehr als nur Glück. (Beate Hausbichler, 14.7.2021)