Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bieten den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch kaum an.

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200 mg Mifepriston, 11 mm Durchmesser – die "Abtreibungspille" Mifegyne sollte den Schwangerschaftsabbruch in Österreich einfacher machen. Bis zur neunten Schwangerschaftswoche kann sie im Rahmen der Fristenregelung zum Abbruch eingesetzt werden – und stellt damit eine sichere Alternative zum chirurgischen Abbruch dar.

Jahrzehntelang forderten Frauenorganisationen und Gesundheitsexpertinnen, dass Mifegyne auch von niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen abgegeben werden darf – vor einem Jahr wurde das durch die Abänderung des Zulassungsbescheids erlaubt. Die Grünen sprachen von einem "Meilenstein" für die Gesundheitsversorgung von Frauen in Österreich. Aber hat sich die Lage von ungewollt Schwangeren dadurch verbessert?

Vor allem für Frauen, die auf dem Land wohnen, ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Herausforderung. Während in Wien, Graz, Salzburg und Linz mehrere spezialisierte Ambulatorien und einige öffentliche Krankenhäuser Abbrüche durchführen, sind sie in Vorarlberg und Tirol jeweils nur in einer gynäkologischen Praxis möglich. Abseits der Landeshauptstädte sieht es in den meisten Bundesländern ähnlich aus. Viele Frauen müssen für einen Abbruch deshalb lange Anfahrten in Kauf nehmen. "Gerade für sie könnte die Zulassung im niedergelassenen Bereich eine Erleichterung sein", sagt Angela Tunkel von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF).

Wirkung wie Spontanabort

Der in Mifegyne enthaltene Wirkstoff Mifepriston hemmt die Wirkung des körpereigenen Hormons Progesteron, das essenziell für die Entwicklung und den Erhalt der Schwangerschaft ist. Bei einem medikamentösen Abbruch wird das Präparat in Kombination mit einem Prostaglandin eingesetzt, um in Folge Kontraktionen der Gebärmutter auszulösen. Klinisch verläuft der medikamentöse Abbruch mit Mifegyne wie ein Spontanabort und ist davon nicht zu unterscheiden. Anders als chirurgische können medikamentöse Abbrüche bereits in einem frühen Stadium der Schwangerschaft und ohne örtliche Betäubung oder Narkose durchgeführt werden.

Seit 1999 ist das Präparat Mifegyne in Österreich im Rahmen der Fristenregelung zugelassen– aufgrund eines nationalen Bescheids durfte es jedoch nur von Krankenanstalten und spezialisierten Ambulatorien ausgegeben werden. Als im Frühjahr des Vorjahrs die Pandemie Gesundheitssysteme an ihre Grenzen brachte, sorgten sich Frauenorganisationen weltweit um die Versorgung ungewollt Schwangerer. Mehrere Länder lockerten deshalb ihre Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch.

In Österreich genehmigte das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) schließlich im Juni 2020 einen neuerlichen Antrag zur Zulassung von Mifegyne durch niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen.

Nur wenige Gynäkologen führen medikamentösen Abbruch durch

Wie viele von der neuen Rechtslage aber tatsächlich Gebrauch machen, ist schwer zu beantworten. Es gibt dazu keine Erhebungen, weder im Gesundheits- noch im Frauenministerium. Auch die Ärztekammer kann auf Anfrage des STANDARD keine Auskunft darüber geben, wie viele ihrer Mitglieder einen medikamentösen Abbruch anbieten. Viele dürften es jedoch nicht sein.

"In den Bundesländern ist mir keine Praxis bekannt, die den medikamentösen Abbruch nun durchführt", sagt Tunkel. Auch auf der Website des ÖGF sind seit der Freigabe von Mifegyne keine neuen Adressen hinzugekommen. "Wir müssen den Großteil der Frauen nach wie vor nach Wien schicken."

Auf Anfrage des STANDARD teilt der Zulassungsinhaber des Präparats mit, dass der Absatz von Mifegyne im vergangenen Jahr nicht gestiegen sei. Und: Nur ein kleiner Bruchteil der verkauften Packungen entfiele auf niedergelassene Praxen, rund 95 Prozent der medikamentösen Abbrüche würden nach wie vor in Kliniken und Ambulatorien stattfinden.

"Es ist fraglich, ob die Regelung den Zugang zum Abbruch auch tatsächlich verbessert hat", sagt Tunkel. Die gesetzliche Änderung sei bestimmt ein Fortschritt. Sie verbessert die Versorgung ungewollt Schwangerer jedoch nur, wenn Ärztinnen und Ärzte davon auch Gebrauch machen.

Nachbetreuung und Notfalldienst

Fragt man Ärztinnen und Ärzte, warum sie den medikamentösen Abbruch nur selten durchführen, nennen sie medizinische Gründe: In sehr geringen Fällen ist der Abbruch mit Mifegyne nicht erfolgreich – Expertinnen und Experten rechnen mit einem bis vier Prozent an unvollständigen Aborten, in weniger als einem Prozent bestehen Schwangerschaften fort. Ärztinnen und Ärzte müssen dann eine Nachkürettage, also eine Gebärmutterausschabung, durchführen. Die Behandlung mit Mifegyne setzt zudem einen biologischen Prozess ein, der engmaschig beobachtet werden müsse, heißt es aus der Ärztekammer. Die Nachbetreuung sei dabei von großer Relevanz. Kommt es zu seltenen Komplikationen wie starken Blutungen, sollte ein notfallmedizinischer Dienst erreichbar sein. Für kleine Praxen rechnet sich das nicht.

"Das Thema ist aber auch für Ärztinnen und Ärzte nach wie vor ein Tabu", sagt Tunkel. Einige würden deshalb Schwangerschaftsabbrüche nicht anbieten oder es nicht publik machen, wenn sie es tun. Ein Rundruf des "Moment"-Magazins bei 50 niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen ergab folgendes Ergebnis: Fast die Hälfte führt nach wie vor keine Abbrüche durch, ein Großteil gab keine Auskunft.

Gleich teuer wie chirurgischer Abbruch

Auch eine weitere Hürde für ungewollt Schwangere scheint sich seit vergangenem Jahr nicht verkleinert zu haben: der Preis eines Abbruchs. Da dieser in Österreich – anders als im Großteil westeuropäischer Staaten – selbst zu bezahlen ist, ist der Kostensatz dafür nicht einheitlich festgelegt. Das gilt auch für den medikamentösen Abbruch.

Im niedergelassenen Bereich wird oft leistungsbezogen abgerechnet, Kliniken und Ambulatorien verlangen für die Behandlung und Nachkontrollen meistens Pauschalen. Laut Erhebungen der ÖGF kostet ein medikamentöser Abbruch in Österreich zwischen 325 und 835 Euro – und ist damit genauso teuer wie ein chirurgischer. (Eja Kapeller, 14.7.2021)