Das Setzen und Pflegen von Pflanzen und Blumen vermittelt Verantwortung und sorgt für Selbstwirksamkeit.

Foto: imago/Westend61

Blumen, Pflanzen, Bäume, so weit das Auge reicht. Es gibt wenig, was so beruhigend und entspannend ist wie ein üppiger Garten, der in allen Farb- und Grüntönen leuchtet. Doch nicht nur das Betrachten der Pflanzen oder das Spazieren – um nicht zu sagen: Lustwandeln – durch die grüne Pracht tut gut. Auch die Arbeit mit den Pflänzchen, das Graben in der Erde, das Setzen, Pflegen und Hegen entspannt und hat sogar meditativen Charakter. Kann man dann irgendwann die Früchte der eigenen Arbeit ernten – und hier gilt das tatsächlich im Wortsinn –, sorgt das für regelrechte Glücksgefühle. Kaum verwunderlich also, dass die Gartenarbeit so beliebt ist wie nie.

Neu ist die Begeisterung dafür übrigens nicht. Ein berühmter Vertreter war der Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der seinen eigenen Garten gestaltete und in seinem Gartenhaus in Weimar, heute ein Museum, an zahlreichen Werken und Gedichten arbeitete, inspiriert von der ihn umgebenden Natur. Auch Politiker schätzen die Entspannung, die sie dort finden. Altkanzler Wolfgang Schüssel etwa präsentierte im Jahr 2006 seine Gartentipps in Buchform. Und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekommt beim Garteln Abstand vom täglichen Politstress.

Beruhigender Effekt

Tatsache ist, dass das Hantieren mit Erde, Setzlingen, Unkraut und mehr beruhigend wirkt. "Man fokussiert dabei auf eine ganz spezielle Tätigkeit, Jäten etwa oder Umgraben. Das Gedankenkarussell im Kopf schaltet irgendwann ab, und es entsteht ein richtiger meditativer Flow", beschreibt das die Psychologin Kerstin Jäger vom psychologischen Online-Beratungsdienst Instahelp. "Mit den Händen in der Erde zu graben verschafft einem das Gefühl, eins zu sein mit der Natur, man spürt das mit dem ganzen Körper. Dazu kommt, dass man dabei zusehen kann, wie etwas gedeiht, das man selbst ins Leben gerufen hat. Das vermittelt einem das Gefühl der Selbstwirksamkeit."

Genau aus diesem Grund wird Gartenarbeit auch in Therapiesettings eingesetzt, etwa mit Jugendlichen, Menschen mit Beeinträchtigungen oder Demenzpatienten. Jäger erklärt: "Man lernt dabei, mit der Aufmerksamkeit im Moment zu sein. Das Samen-Säen oder Pflänzchen-Setzen, das Gießen, das Unkrautjäten, das Beobachten, wie etwas wächst und Früchte trägt, all das stärkt das Selbstwertgefühl. Und es gibt Halt und Struktur."

Corona-Boom

Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen auf die Schaufel kommen, besonders auch in Zeiten von Covid. Dieser konzentrierte Fokus tut ja jedem gut. "Corona hat viel Stress erzeugt und tut es noch. Dafür hat der Körper nur die beiden Reaktionsmuster Kampf oder Flucht. Der Garten bietet beides. Beim Graben, Umstechen, Schwitzen kann man sich abreagieren, man hat das Gefühl, etwas tun zu können, das Wirkung zeigt. Tendiert man dagegen eher zur Flucht, findet man im Garten eine sichere Umgebung, einen Rückzugsort", weiß Jäger.

Dazu kommt, dass aktuell viele nicht wirklich das Gefühl haben, in ihrem Leben immer selbst entscheiden zu können. Das kleine System Garten kann da sehr hilfreich sein, bietet es doch Raum für Kreativität und individuelle Verwirklichung, aber auch für Kontrolle. Wobei Kontrolle nicht unbedingt bedeutet, dass alles so wird, wie man es will. Aber es bedeutet, dass man es versteht. An Hagelschlag und Ungeziefer etwa ist niemand schuld. Aber man kann begreifen, dass so etwas eben passiert, und lernt, mit diesen negativen Aspekten umzugehen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sinnstiftende Wirkung. Gerade in der Pandemie haben viele Menschen den Zugang zu sich selbst im Kontakt mit der Natur gesucht. Das hat unter anderem eine Studie der University of Vermont untersucht, die im Dezember 2020 im Journal Plos One veröffentlicht wurde. Die Studie belegt, dass sich die Zahl der Spaziergänger und Hobbygärtner im Vergleich zum Vorjahr (2019) tatsächlich deutlich erhöht hat. Die Beschäftigung mit Natur und Garten habe den Befragten zu mehr Identitätsgefühl und Spiritualität verholfen.

Das erscheint logisch, sind doch die Suche nach Sinn und Orientierung, das Bedürfnis, das eigene Handeln in einem größeren Zusammenhang zu sehen, psychische Grundbedürfnisse. Früher wurde dieser Zusammenhang vielfach in der Religion gesucht. Heute bietet den oft die Natur. "Der intensive Kontakt zeigt, dass das, was ich tue – oder eben nicht tue –, nicht nur mich selbst betrifft. Es hat Folgen, und für die muss ich die Verantwortung übernehmen", betont Jäger.

Direkter Draht ins Gehirn

Neben der psychischen Wirkung hat die Gartenarbeit übrigens auch einen handfesten körperlichen Effekt. Die aktive Bewegung stärkt das Herz-Kreislauf-System, die Herzfrequenz sinkt, der Puls wird ruhiger, der Blutdruck ausgeglichener. Die verschiedenen, sich wiederholenden Bewegungsmuster stärken den gesamten Bewegungsapparat, das Atemvolumen steigert sich um bis zu 50 Prozent, und der Stoffwechsel gleicht sich aus. Für Letzteres dürften unter anderem die ätherischen Öle verantwortlich sein, die sich in Pflanzen befinden. "Das sind sekundäre Pflanzenstoffe, die produziert werden, um Insekten anzulocken, Feinde zu vertreiben, untereinander zu kommunizieren und mehr", erklärt die Agrarwissenschafterin und Kräuterpädagogin Valerie Jarolim. Sie betreibt den Blog Blatt und Dorn, wo sie Wissenswertes über Kräuter erzählt."

Diese Öle gehen über die Riechschleimhaut direkt in das limbische System, einen der ältesten Teile unseres Gehirns. Dort werden dann neurochemische Stoffe wie zum Beispiel Enkephaline, Endorphine, Serotonin oder Noradrenalin freigesetzt. Diese Botenstoffe interagieren unter anderem mit dem Immunsystem." Diese Wechselwirkung dürfte dafür sorgen, dass das parasympathische Nervensystem, das für Entspannung zuständig ist, aktiviert wird. So werden körpereigene Erholungsmechanismen in Gang gesetzt, die etwa für besseren Schlaf sorgen – ein Effekt, den die meisten Gärtner kenne und den Jarolim treffend beschreibt: "Nach einem Tag Arbeit im Grünen verspürt man eine körperliche Müdigkeit, die man von Computerarbeit nicht kennt. Und die lässt einen so richtig gut schlafen."

Der Klang der Natur

Wer jetzt auf der Stelle einen eigenen Garten anlegen möchte, kann sich entspannen. Es ist nicht unbedingt nötig, selbst eine riesige Fläche zu beackern, um davon zu profitieren. Zum Einstieg reicht sogar eine gezielte Beschäftigung mit der Natur. Etwa wenn man barfuß durchs Gras läuft, dessen Kühle spürt oder die Härte der Kieselsteine auf dem Weg wahrnimmt. Auch das Angreifen von Pflanzen, das Reiben eines Blatts oder Krauts und das Wahrnehmen des Geruchs, den es verströmt, sind sinnliche Erlebnisse, die einen direkt in den Moment holen.

Ein ebenso wichtiges Erlebnis ist das bewusste Hören von Naturgeräuschen, besonders von Vogelgezwitscher, und zwar möglichst ohne menschengemachte Geräusche. Eine aktuelle Multistudienanalyse von Forschern der Carleton University, der Colorado State University und der Michigan State University, die die Auswirkungen von natürlichen Klanglandschaften in US-Nationalparks auf die Gesundheit untersuchten, zeigt, dass diese Geräusche Schmerzen und Stress verringern, kognitive Funktionen und die Stimmung verbessern. Und wer gerade keinen Nationalpark in greifbarer Nähe hat, legt sich zumindest Zimmerpflanzen zu. Denn auch deren Anblick hilft schon, die Konzentration zu stärken.

Waldbaden im Trend

Manchmal braucht es Input von außen, um das Naheliegende zu schätzen. Aus Japan kommt der Trend zum Waldbaden, also zum vermehrten Aufenthalt unter Bäumen. Ob man dabei einfach die Natur genießt, läuft oder vielleicht Schwammerln sucht, ist für die positive Wirkung egal. Derzeit laufen mehrere Studien, die den Effekt auch wissenschaftlich zeigen sollen, etwa an der Wiener Boku oder an der Paracelsus-Medizin-Uni in Salzburg. Ein paar Erkenntnisse gibt es bereits:

Terpene: Das sind ätherische Öle, die vor allem Nadelbäume produzieren. Sie reduzieren Stress und stärken das Immunsystem, indem sie die Anzahl der Killerzellen erhöhen.

Filter: Bäume filtern die Luft und reduzieren dadurch deren Feinstaubgehalt.

Kühlung: Um rund zehn Grad kühler wirkt die Luft im Wald an heißen Tagen. (Pia Kruckenhauser, 14.7.2021)