Auf eine Frau kommen in den österreichischen Medien fast drei Männer. Das ist der ernüchternde Befund einer Studie zur visuellen Sichtbarkeit von Frauen und Männern in Tageszeitungen im Jahr 2020 – und dieses Verhältnis, das deuten Studien aus anderen Ländern an, verschlechtert sich durch die aktuelle Covid-Krise wohl eher zulasten von Frauen. Das ist nicht nur hinsichtlich der Medienvielfalt problematisch – Journalismus sollte in einer Demokratie doch möglichst alle abbilden und allen eine Stimme geben –, Frauen werden dabei von Diskursen in vielen Themen- und Lebensbereichen schlicht ausgeschlossen. Zudem fehlen, gerade für Heranwachsende, auch weibliche Vorbilder. Eine Analyse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Teil einer durch die Stadt Wien geförderten Studie, soll deshalb dabei helfen, besser zu verstehen, welche Faktoren und Prozesse im Nachrichtenjournalismus für die unterschiedliche mediale Präsenz von Frauen und Männern verantwortlich sind.

Nur einer von vier Nachrichtenbeiträgen lässt eine Frau zu Wort kommen

Zunächst: Frauen sind quantitativ massiv unterrepräsentiert – das zeigen auch die Daten aus der vorliegenden Studie. Für diese wurden rund 3.500 politische Nachrichtenbeiträge aus insgesamt zwölf österreichischen Tageszeitungen, TV-, Radio- und Online-Medien analysiert. Im Untersuchungsjahr 2018 haben nur 25 Prozent der Beiträge (mindestens) eine Frau als zentrale Akteurin, also zum Beispiel Expertinnen, Politikerinnen oder Privatpersonen, die mit ihrer Einschätzung oder Meinung vertreten sind. In der überwiegenden Mehrheit, in 75 Prozent der Artikel, kommen weibliche Akteurinnen überhaupt nicht vor. Im Schnitt bedeutet das, dass pro Artikel nur 0,29 Frauen, aber 1,15 Männer vertreten sind.

Warum ist das so? Um umfassend verstehen zu können, wie dieses ungleiche Verhältnis zustande kommt, wird mit der Studie erforscht, welche Einflüsse auf die Erstellung von Nachrichtenbeiträgen einwirken. Dafür wurden die Autorinnen und Autoren der untersuchten Nachrichtenbeiträge zunächst mittels eines standardisierten Fragebogens bezüglich ihres professionellen Selbstverständnisses, ihrer Arbeitsrealität im jeweiligen Medienhaus sowie ihrer persönlichen Einstellungen befragt. Rund 200 Journalistinnen und Journalisten nahmen daran teil. Um die Rolle von konkreten journalistischen Arbeitsabläufen und redaktionellen Strukturen zu verstehen, wurden zudem mit 24 Journalistinnen und Journalisten Tiefeninterviews geführt, in denen die Entstehungsgeschichte der Texte oder Radio- und TV-Beiträge rekonstruiert wurde.

Männer drängen auch im Journalismus – sei es als Gast, Gesprächspartner oder als Redakteur – Frauen an den Rand.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Journalistische Einflüsse auf die Sichtbarkeit von Frauen

Die Ergebnisse zeigen, dass die Sichtbarkeit von Frauen zum Teil mit der journalistischen Kultur in Österreich zusammenhängt: Wie Journalistinnen und Journalisten sich selbst und ihre Rolle als Medienschaffende verstehen, prägt ihr Handeln. Gaben Journalistinnen und Journalisten etwa als professionellen Anspruch an, dass sie der Bevölkerung in ihrer Berichterstattung auf partizipatorische Weise eine Stimme geben wollen, dann kamen in ihren Arbeiten rechnerisch auch etwas mehr Frauen – die nach wie vor eine marginalisierte Gruppe darstellen – vor. In den Tiefeninterviews zeigt sich: Diesem Verständnis liegt das Bewusstsein hinsichtlich gesellschaftlicher Ungleichheiten zugrunde, die ein Teil der Medienschaffenden nicht einfach hinnehmen möchte. Journalistinnen und Journalisten, die in diesem Verständnis handeln, lassen etwa nicht nur die üblichen Fachmänner zu Wort kommen, sondern bemühen sich aktiv auch darum, qualifizierte Expertinnen einzubeziehen, nicht zuletzt um aufzuzeigen, dass in der Regel zu jedem Thema divers berichtet werden kann.

Was die Studie auch zeigt: Schriftliche Regeln für geschlechtsspezifische Darstellung und Sprache innerhalb der Redaktionen, sogenannte "Gender Policies", lösen das Problem nicht automatisch – obwohl sie, wie eine andere Studie der ÖAW und des Medienhauses Wien zeigt, für Journalistinnen und Journalisten in Österreich wichtiger werden. Ob Journalistinnen und Journalisten in der Befragung angegeben haben, dass es in ihrer Redaktion solche Policies gibt, wirkt sich nicht statistisch signifikant auf die Repräsentanz von Frauen in den von den Befragten verfassten Artikeln und Beiträgen aus. Wie kann das sein? In den Tiefeninterviews wird deutlich, dass solche Policies primär zu Maßnahmen auf redaktioneller Ebene führen. Zum Beispiel wird dadurch stärker darauf geachtet, Gastautorinnen und Kommentatorinnen paritätisch einzubinden – die Repräsentanz von Frauen in der tatsächlichen Berichterstattung wird dabei aber weniger bedacht. Die Policies dienen dabei als Diskussionsgrundlage für Umsetzungsmöglichkeiten und dazu, um generell Verständnis für das Thema Gender zu schaffen. Eine dadurch erhöhte Sensibilität kann aber auch trügerisch sein: Sie kann zu dem vermeintlichen Schluss führen, dass der Einbezug von Frauen bereits eine Selbstverständlichkeit wäre. Die Fakten sprechen freilich eine andere Sprache.

Der stärkste Einflussfaktor auf die Einbeziehung von Frauen in der politischen Berichterstattung liegt – übrigens deckungsgleich mit Befunden aus anderen Ländern (etwa aus Belgien, den USA oder Chile) – in der eigenen Identifikation von Journalistinnen und Journalisten mit einem bestimmten Geschlecht: Während Journalistinnen mit 38 Prozent in mehr als einem Drittel ihrer Nachrichtenbeiträge jedenfalls eine Frau zu Wort kommen lassen, beziehen ihre männlichen Kollegen mit 24 Prozent nicht einmal in einem Viertel ihrer Beiträge Frauen ein (siehe Grafik). Dieser Effekt des Geschlechts von Journalistinnen und Journalisten bleibt dabei auch bestehen, wenn man für alternative Erklärungen für die Unterrepräsentation von Frauen statistisch kontrolliert. Zum einen mag das daran liegen, dass sich die Netzwerke, Kontakte und Interaktionen mit Quellen zwischen Journalistinnen und Journalistinnen unterscheiden. Zum anderen können dafür aber auch genderspezifische professionelle und organisationsbezogene Faktoren verantwortlich sein, die in der aktuellen Studie noch nicht berücksichtigt wurden – wie Führungskräfte mit Journalistinnen und Journalisten unterschiedlich interagieren beispielsweise, wer dadurch letztlich "welche Geschichte macht".

Grafik: ÖAW

Zwischen Anspruch und Realität

Geht es um die mediale Sichtbarkeit von Frauen, bleibt in Österreich also einiges zu tun. Natürlich hängt die geringe(re) Präsenz von Frauen in der politischen Berichterstattung damit zusammen, dass Frauen in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen unterrepräsentiert sind – Österreich liegt im aktuellen Gender Equality Index nach wie vor unter dem EU-Schnitt. Wie diese Studie aber zeigt, spielt auch der Journalismus eine nicht unwesentliche Rolle dabei. Vor allem in den Tiefeninterviews wird klar, dass Sensibilität alleine nicht reicht, um der Unterrepräsentanz von Frauen zu begegnen. Es kommt auf praxisorientierte Maßnahmen an, wie etwa Kontaktlisten und Expertinnen-Datenbanken (wie sie beispielsweise das Frauennetzwerk Medien pflegt), welche die täglichen journalistischen Routinen berücksichtigen und vor allem auch unter Zeitdruck funktionieren. (Andreas Riedl, Christina Krakovsky, Tobias Rohrbach, 23.7.2021)