Nicht nur Google hat mit der Fehlerkorrektur bei Quantencomputern einen Meilenstein erreicht, jetzt schaffte es auch noch ein Wiener Forschungsteam mit einem beeindruckend kontrollierten Quantensystem auf das Titelblatt des renommierten Fachjournals "Nature". Durch die Kombination von Quantenphysik und der mittlerweile alltäglichen Regelungstechnik, wie sie etwa bei der Steuerung von Roboterarmen oder Temperaturen von Hochöfen verwendet wird, ist das geglückte Experiment auch für die Praxis interessant.

Das Titelblatt der aktuellen "Nature"-Ausgabe.
Bild: Nature

Zuvor hilft es aber, die Theorie oder zumindest den Versuchsaufbau zu verstehen – und das ist, typisch für Quantenphänomene, nicht trivial. Versuchen wir es trotzdem: Man stelle sich zunächst ein winziges Glaskügelchen vor. Es ist mit einem Durchmesser von weniger als 200 Nanometern etwa tausendmal kleiner als ein Sandkorn, besteht aber noch immer aus ungefähr einer Milliarde Atome. Für quantenphysikalische Maßstäbe ist es damit ein eher großes Objekt.

Erhitzt und abgekühlt

Im Vakuum lässt sich dieses Glaskügelchen von einem Laserstrahl in der Schwebe halten. Das sorgt allerdings dafür, dass der Laser die Atome auf mehrere Hundert Grad Celsius aufheizt – und die Atome dadurch heftig ins Wackeln geraten. Bisher wurde ebenfalls mit Licht eine Abkühlung des Nanoteilchens bewirkt: Während die Teilchen auf 300 Grad Celsius aufgeheizt wurden, nähert sich die Bewegungsenergie dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius.

Dieser bizarre Zustand heißt für das Glaskügelchen, dass es nicht mehr durch die Gesetze der klassischen Physik beschrieben werden kann, die wir uns relativ gut vorstellen können, und sich stattdessen wie ein Quantenteilchen mit ganz eigenen Gesetzen verhält. Das ist dem Experimentalphysiker Markus Aspelmeyer von der Universität Wien, seinem Team sowie Kollegen vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) schon im Vorjahr so ähnlich gelungen.

Alles andere als trivial: der Versuchsaufbau – genauer: die Optik zum Lenken und Manipulieren des Lichts, das das Nanoteilchen einfängt.
Foto: Lorenzo Magrini/Aspelmeyer Group/University of Vienna

Nun aber konnten sie mit der Hilfe von Regelungstechnik, für die der TU-Wien-Elektrotechniker Andreas Kugi mit Team verantwortlich war, eine noch bessere Kühlung bewirken. Das funktioniert über das sogenannte "Feedback Cooling": Kontinuierlich wird die Objektposition gemessen und dazu passend eine Kraft – das Feedback – aufgebaut, das die Bewegung des Glaskügelchens bremst. Obwohl die einzelnen Teilchen noch immer wackeln, wird das Gesamtobjekt relativ starr an einer Position gehalten. Und weil es sich weniger bewegt, wird es gekühlt – vereinfacht gesagt. Ob diese Technik überhaupt für ausreichende Kühlung sorgen könne, war bisher umstritten.

Das Problem des Heisenberg-Mikroskops

Das ist möglich, weil unter Quantenregeln bereits das Messen eines Gegenstands Einfluss auf ihn ausübt. "Werner Heisenberg überlegte sich dazu ein berühmtes Gedankenexperiment – das sogenannte Heisenberg-Mikroskop", sagt der Erstautor der Studie, Lorenzo Magrini von der Universität Wien. "Wenn man in einem Mikroskop die Position eines Objekts sehr genau messen möchte, muss man Licht mit möglichst kurzer Wellenlänge verwenden. Kurze Wellenlänge bedeutet aber höhere Energie, dadurch wird die Bewegung des Teilchens stärker gestört."

Dies kann man sich allerdings zunutze machen. "Bei klassischen Regelungsaufgaben hat die Messung keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf das System. In der Quantenphysik lässt sich dieser Einfluss aber grundsätzlich nicht verhindern", sagt Andreas Kugi. Daher mussten neuartige regelungstechnische Methoden entwickelt werden. Sie gehen über die übliche Regelungstechnik hinaus, die Systeme – etwa die Produktionsanlage einer Fabrik – so beeinflussen will, dass sie unabhängig von Störungen ein gewünschtes Verhalten zeigen.

So sieht ein vor dem Mikroskopobjektiv "gefangenes" Teilchen im Quantengrundzustand auf einer Infrarotaufnahme aus.
Bild: Lorenzo Magrini/Constanze Bach/Aspelmeyer Group/University of Vienna

Das gelang beim aktuellen Experiment, und zwar so: Das Glaskügelchen streut Licht zurück, das mit einer bestimmten Mikroskopietechnik möglichst vollständig detektiert werden kann. Dadurch wurde extrem genau in Echtzeit die Position des Objekts festgehalten. Dementsprechend angepasst wurde ein elektrisches Feld um das Kügelchen – und zwar so, dass es der Bewegung entgegenarbeitete.

Messung am Quantenlimit

Kommen wir zurück zu Heisenberg und zu einer der großen quantenphysikalischen Theorien: Aus dem Gedankenexperiment lässt sich schließen, dass man nicht gleichzeitig den Aufenthaltsort und den Bewegungszustand eines Teilchens exakt messen kann. Das wird unter dem Begriff der Heisenberg'schen Unschärferelation zusammengefasst. Das Produkt der Ungenauigkeiten bei der Messung dieser beiden Eigenschaften ist daher natürlich begrenzt durch das Planck'sche Wirkungsquantum. So wird die absolute theoretische Untergrenze genannt.

Man kann sich allerdings an diese Maßzahl für Genauigkeit annähern, und das ist dem Forschungsteam beeindruckend gelungen: "Insgesamt betrug das Produkt der Quantenunschärfen des Glaskügelchens nur das 1,7-Fache des Planck'schen Wirkungsquantums", sagt Lorenzo Magrini. Und die Bewegungsenergie des Kügelchens entsprach einer Temperatur von nur fünf Millionstel Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt. Das heißt, man konnte so knapp wie nie zuvor bei einem Objekt dieser Größe ans absolute Quantenlimit heranrücken.

Lorenzo Magrini (links) und Constanze Bach (rechts), die maßgeblich an der Studie beteiligt waren, beim Monitoring des Zustands eines schwebenden Nanoteilchens.
Foto: Uros Delic/Kahan Dare/Aspelemyer Group/University of Vienna/IQOQI

Das stellt laut Markus Aspelmeyer einen "wichtigen Schritt" in der Verbesserung der "coolen Toolbox" dar, wie er das schwebende und relativ große Glaskügelchen mit Quanteneigenschaften bezeichnet. Die Physikerin Tania Monteiro vom University College London, die nicht an der Studie beteiligt war, schreibt in einem Kommentar zu dieser sowie einer weiteren quantenphysikalischen Arbeit, die Studien seien "ein Durchbruch im Bereich der Optomechanik".

Die Forschungsgruppen wollen nun weiter zusammenarbeiten, um mit Know-how aus der Regelungstechnik noch präzisere Quantenexperimente durchzuführen. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen Verbesserungen im Bereich der Quantensensoren und Quanteninformationstechnologien möglich machen. (sic, 15.7.2021)