Das Arbeitsmarktservice soll weiterhin bevorzugt Arbeitslose mit Bleiberecht vermitteln.

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Eigentlich war Ali Z. der Erste, durch den das Thema aufs Tapet und vor Gericht kam. Michaela Krbecek und ihr Mann Gerhard hatten lange nach einem Lehrling für ihre Zehn-Mann-Tischlerei bei Aschach an der Donau gesucht, fündig wurden sie nicht. Ali Z. kannte die Unternehmerin von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit mit Geflüchteten, wie sie erzählt, "also haben wir gesagt, wir probieren es mit ihm". Was folgte, war ein langwieriger Zug durch die Instanzen, denn der Antrag auf Beschäftigungsbewilligung wurde negativ beschieden: für Asylwerber keine Lehrplätze. Die Tischlereibesitzer gaben nicht auf, letztlich bekamen sie vom Bundesverwaltungsgericht recht. Ein Präzedenzfall war geschaffen. Ali Z. konnte, nach weiteren behördenbedingten Verzögerungen, seine Lehre beginnen.

Am Mittwoch folgte zum Thema Asylwerber und Arbeitsmarkt eine weitere richtungsweisende Entscheidung. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) kippte zwei Erlässe, durch die Asylwerber vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wurden – mit der Ausnahme im Saisonnierbereich.

Neuer Erlass

Der jetzige Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) übermittelte aber schon am Tag darauf einen neuen Erlass ans Arbeitsmarktservice (AMS). Dessen Ziel ist es, die strenge Praxis beim Arbeitsmarktzugang für Asylwerber möglichst beizubehalten.

Neuerungen gibt es aber: Durften Asylwerber bisher eben bloß als Erntehelfer oder Saisonkräfte arbeiten, bekommen sie nun Zugang zu sämtlichen Branchen – sofern keine Ersatzarbeitskräfte vermittelt werden können. In der Praxis sieht das dann so aus: Will ein Unternehmen einen Asylwerber einstellen, geht das nur, wenn das AMS keinen Inländer oder am Arbeitsmarkt gleichgestellten Ersatz findet.

Überregionale Vermittlung

Beim AMS rechnet man jedenfalls damit, dass Lehrstellen im Gastrobereich und Baunebengewerbe künftig leichter mit Asylwerbern zu besetzen sein werden. Im Übrigen aber wird sich wenig ändern. Angesichts fast 350.000 Arbeitsloser dürfte die Suche nach Ersatzkräften oft erfolgreich ausfallen. Die können nach neuem Kocher-Erlass nämlich auch von weiter hergeholt werden. Im Erlass ist in dem Zusammenhang von "überregionaler Vermittlung" die Rede.

Der Arbeitsmarktexperte des Wifo Helmut Mahringer kann nachvollziehen, weshalb man zuerst Arbeitslose vermitteln will. Nach der Krise sei es wichtig, diese wieder in Beschäftigung zurückzubringen. Denn sonst riskiere man, dass sich die Arbeitslosigkeit auf einem hohen Niveau verfestigt.

Im Zusammenhang mit Asylwerbern meint er, dass das Entscheidende die Dauer der Asylverfahren sei. "Wenn sie Jahre dauern, Asylwerber aber nicht arbeiten dürfen, wirkt sich das langfristig negativ auf den Integrationserfolg jener aus, die dann längerfristig in Österreich bleiben." Wenn die Verfahren nur wenige Monate dauern, sei es arbeitsmarktpolitisch weniger problematisch, in der Zeit den Zugang zum Arbeitsmarkt einzuschränken.

Sozialwissenschaftlerin Judith Kohlenberger hob auf Twitter die positiven Aspekte eines Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber hervor.

Fachkräfte fehlen

Ob man den in Österreich immer stärker spürbaren Fachkräftemangel nicht mit dem Einsatz von Asylwerbern mildern könnte? Da ist Mahringer skeptisch: Denn der Fachkräftemangel hat viele Gründe. Ihm sollte man mit adäquater Aus- und Weiterbildung, Förderung von Mobilität, Attraktivierung von Arbeitsplätzen und betrieblichen Strategien begegnen. So könnte man für Arbeitssuchende attraktiver werden und bestehendes Personal längerfristig halten. Nur wenige Betriebe könnten ihren Arbeitskräftebedarf besser decken, wenn sie Asylwerber einstellen dürfen", sagt der Wirtschaftsforscher. Ein großer Beitrag zur Erhöhung des Arbeitskräfteangebots in Bereichen mit Knappheit bei qualifizierten Beschäftigten sei nicht zu erwarten.

Beim Koalitionspartner der ÖVP, den Grünen, stoßen VfGH-Entscheidung und der Kocher-Erlass auf Wohlwollen. Der grüne Sozialsprecher Markus Koza sieht den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber durch den VfGH-Entscheid nun als gesichert an. Grundsätzlich sei es nicht sinnvoll, Leute, die arbeiten wollen, in den informellen Arbeitsmarkt abzudrängen, sagt er zum STANDARD. Man solle ihnen doch eine Erwerbsarbeit ermöglichen.

Das würden die Krbeceks ihrem Lehrling Ali Z. auch gern ermöglichen. Doch der Asylantrag des heute 27-Jährigen wurde abgelehnt. Nach seinem Lehrabschluss wird er abgeschoben. (Renate Graber, Aloysius Widmann, 15.7.2021)