Zelebrieren sich der Fußball und seine Akteure als wertegebunden, dann gilt es auch, sie daran zu messen, sagen Michael Lysander Fremuth, Marcel Igl und Tom Augustine Kandathil vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte und der Universität Wien im Gastkommentar.

Was zur EM nicht möglich war, am Christopher Street Day freilich schon: Die Münchner Allianz-Arena erstrahlt in Regenbogenfarben.
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And the winner is … Italien! Jedenfalls auf dem grünen Rasen der EM. Die neuerlich diskutierte Frage, ob die Menschenrechte als Verlierer vom Platze gezogen sind, wirft ihren Schatten schon auf eine anstehende und noch größere Herausforderung: die Weltmeisterschaft 2022 in Katar.

Dabei sind die potenziellen Menschenrechtsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit Fußballspielen mannigfaltig: Im Rahmen der heurigen Europameisterschaft lässt sich hinsichtlich des Ehrschutzes und des Diskriminierungsverbotes der beleidigende Torjubel von Marko Arnautović gegenüber Ezgjan Alioski ebenso nennen wie rassistische Anfeindungen englischer Fans gegenüber den gescheiterten Elfmeterschützen Marcus Rashford, Bukayo Saka und Jadon Sancho.

"Die Anerkennung einer Verpflichtung der Fußballverbände zur Achtung der Menschenrechte wächst."

Fragen nach dem Schutz der Gesundheit von Zuschauern, Mitarbeitern und Sportlern haben sich angesichts der Covid-19-Pandemie im Hinblick auf volle Stadien ohne Einhaltung von Schutzmaßnahmen gestellt. Die Fernsehübertragung der Reanimation des von einem Herzstillstand betroffenen Spielers Christian Eriksen berührte dessen Persönlichkeitsrechte.

Und die Rechte von sexuellen Minderheiten (LGBTQI) spielten eine Rolle sowohl hinsichtlich der Billigung einer regenbogenfarbenen Binde des Kapitäns Manuel Neuer (Meinungsfreiheit) als auch des Verbots, das Münchner Stadion als Zeichen der Toleranz in Regenbogenfarben erscheinen zu lassen – was zugleich als Zeichen des Protests gegen ein in Ungarn erlassenes, als homophob gewertetes Gesetz gedacht gewesen ist.

Und in Katar?

Im Vorfeld der WM in Katar wird insbesondere die Lage der Wanderarbeitnehmer, die Verletzung von Arbeitnehmerrechten durch Arbeitsbedingungen, die an moderne Sklaverei heranreichen, sowie die Verletzung deren Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit beklagt. Homosexuellen empfahl der vormalige Fifa-Präsident Sepp Blatter, gleich ganz auf sexuelle Handlungen zu verzichten, um mit dem dortigen Strafrecht nicht in Konflikt zu geraten.

Hauptverantwortlich für den Schutz von Menschenrechten sind Staaten, die als ausrichtende Länder dafür zu sorgen haben, dass es nicht zu Verletzungen kommt. Demgegenüber sind der Sport und seine Akteure Teil der Zivilgesellschaft, welche nach herrschender Auffassung nicht unmittelbar an menschenrechtliche Garantien, wie sie sich aus dem Völkerrecht und nationalen Recht ergeben, gebunden sind.

Verbände in der Pflicht

Allerdings wächst die Anerkennung einer Verpflichtung der Fußballverbände zur Achtung der Menschenrechte. Immerhin formuliert das Völkerrecht – etwa in Form der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – auch gegenüber privaten Akteuren die Erwartung, Menschenrechte zu respektieren, was von nationalen Gerichten zunehmend rezipiert wird.

Nun sind die großen Sportverbände, etwa die Fifa und die Uefa, zwar formaljuristisch als eingetragene Vereine nach Schweizer Recht konstituiert und auf nichtwirtschaftliche Aufgaben sowie das Gemeinwohl ausgerichtet. Faktisch sprechen deren finanzielle Umsätze, die menschenrechtliche Relevanz des Fußballs und ihre Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten der sich bewerbenden und ausrichtenden Staaten und Partner dafür, eine menschenrechtliche Verantwortlichkeit auch der Fußballverbände anzuerkennen. Dies hat etwa die Fifa ausdrücklich bestätigt und zur Grundlage einer eigenständigen Menschenrechts-Policy erhoben.

Entweder ... oder

Aus dem Bekenntnis zur Einhaltung der international anerkannten Menschenrechte ergibt sich eine weitere, autonome Bindung im Sinne einer Selbstverpflichtung. Sofern sich die Uefa zu Diversität, Vielfalt und Antidiskriminierung bekennt, überzeugt es nicht, einerseits Kapitänsbinden in Regenbogenfarben zuzulassen und "Rainbowwashing" mit dem eigenen Logo zu betreiben, andererseits aber die Beleuchtung eines Stadions in entsprechenden Farben zu untersagen. Durchaus lässt sich der Idee von Stadien als Foren der neutralen, unpolitischen Zusammenkunft zur Förderung der unvoreingenommenen Begegnung und Verständigung von Völkern und Menschen einiges abgewinnen; nicht zuletzt stellt dies eine Adaption der in die Antike zurückreichenden Idee des olympischen Friedens dar.

Wenn sich indes der Fußball und seine Akteure als wertegebunden verstehen und dieses Verständnis zelebrieren, haben sie sich selbst ein "Mascherl" umgehängt, an dem es sie zu messen gilt. Konsequenterweise kann es in Bezug auf die (vermeintliche) Neutralität nur ein "Entweder-oder" geben, da sich einer situativen Öffnung für politische Botschaften eine gewisse Scheinheiligkeit attestieren lässt.

Fußballspieler als Botschafter

Zu begrüßen ist, dass die EM 2020 und die WM 2022 dem Schutz der Menschenrechte große Aufmerksamkeit verschafft haben – auch bei Menschen, die sich bislang diesem Thema nicht gewidmet haben. Weiters ist anzuerkennen, dass sich Fußballspieler als Botschafter der Menschenrechte präsentieren und ihnen damit ein prominentes Gesicht verleihen. Freilich bleibt zu hoffen, dass die Verbände ihrer Verantwortung – etwa durch Verträge mit Gastgeberländern – noch besser entsprechen.

Auf Drängen der Fifa wurden in Katar die Arbeitsbedingungen verbessert, wenngleich die Menschenrechtsbilanz insgesamt beklagenswert bleibt. Der Fußball kann vieles, und er kann noch mehr bewegen. Möge dieses Potenzial künftig noch besser ausgeschöpft werden! (Michael Lysander Fremuth, Marcel Igl, Tom Augustine Kandathil, 16.7.2021)