Saisonauftakt, Melbourne. Zu dritt fahren wir mit Höchstgeschwindigkeit auf die Kurve 11 des Albert Park Circuits zu. Das geht sich niemals aus. Und nur Sekunden später fliegt unser Teamkollege mit abgefahrenem Frontflügel von der Strecke ab. "Geht es ihm gut?", fragen wir am Funk. "Ja, fahr einfach weiter", kommt prompt die Antwort. Das gibt später Ärger.

Autos, Strecken und Umgebungen sehen wie immer super aus.
Screenshot: Codemasters

Ich wünschte, diese Szene wäre wirklich so passiert. Allerdings ist sie eine der ersten Cutscenes aus dem neuen Storymode von F1 2021, "Braking Point". In dessen Verlauf spielt Ihr Hauptcharakter Aiden Jackson nach seinem (ebenfalls spielbaren) Erfolg in der Formel 2 auf dem Weg in und durch die Königsklasse des Motorsports. Dafür fangt ihr bei einem der niederen Teams an, wie beispielsweise Williams oder Alfa Romeo. Spieler von FIFA kennen das Prinzip, es gibt eine vorgefertigte Story und zwischendurch darf man auch mal selber ans Pad. Jackson wird, egal, für welches Team man sich entscheidet, mit Veteran Casper Akkerman gepaart. Der ist auch derjenige, der in der oben beschriebenen Cutscene einen Abflug machen muss. Das findet er natürlich nicht so berauschend.

Drive To Survive?

Ein dritter Charakter ist der aus den vorherigen Spielen bekannte Devon Butler. Der super arrogant gezeichnete Schnösel-Rivale (Gary, ich schau auf dich!) macht einem vor allem am Anfang der Story die Hölle heiß, indem er dumme Sprüche ablässt und gerne Öl ins Team-interne Feuer gießt.

Aiden ist ein sympathischer Kerl, der hie und da ein paar dumme Entscheidungen auf der Strecke trifft – ohne dass man das beeinflussen kann.
Screenshot: Codemasters

Zwischen dem Drama, das ganz offensichtlich an die Netflix-Produktion Drive To Survive anknüpfen soll, darf man auch racen! Und zwar in der Regel keine ganzen Rennen, sondern immer nur Abschnitte samt bestimmter Ziele. Überhole so und so viele Autos, erreiche diesen und jenen Platz, fahr einfach bitte das Auto nicht zu Schrott. Dieses Szenarien-Gameplay macht durchaus Laune, weil es Spielerinnen und Spieler vor neue Herausforderungen stellt. Und dank der Einbettung der Story hat man sogar etwas mehr Motivation und will dem verdammten Butler zeigen, wo der Hammer hängt.

Das ist leider alles nicht allzu konsequent. Beispiel: Gleich im dritten Rennen bin ich auf Platz eins gefahren. Weil ich ein Riesentalent bin und eventuell weil der Schwierigkeitsgrad sehr niedrig eingestellt war. Ein Sieg für Williams! Die Story tut das mit einem "Gutes Ergebnis, Aiden" ab, weil man natürlich nicht dran gedacht hat, für alle Eventualitäten ein Alternativ-Skript zu schreiben. Das ist schade, aber verständlich.

Generell ist der "Braking Point"-Modus eine gute Ergänzung, weil er mal etwas anderes als nur den auf Dauer natürlich öde werdenden Kreislauf aus Training, Qualifying und Rennen bietet. Über den einen oder anderen Cringe-Moment muss man aber hinwegsehen, auch über so manche Story-Entscheidung. Plus, aber das ist eventuell ein rein subjektiver Aspekt: mich hat gestört, dass Aiden vor allem am Anfang ein wirklicher Tollpatsch ist. Wenn man selber auf der Strecke extra vorsichtig ist und keine Fehler machen will und der Hauptcharakter dann in der Cutscene alles in Grund und Boden rammt, dann ist das schon etwas peinlich. Aber gut, sonst wäre es ja auch keine Heldengeschichte.

Keine Historie

Aber kommen wir weg von der Story. Denn dahinter, besser gesagt davor, ist F1 2021 wohl der beste Teil der Reihe. Das hat mehrere Gründe. Der "Braking Point"-Modus ist eine Ergänzung zur mittlerweile wirklich beeindruckenden Vielfalt an Spielmodi. Wie vergangenes Jahr gibt es den "My Team"-Modus, in dem man sein eigenes Formel-1-Team aufbauen kann. Eine Karriere als einer der 20 Fahrer geht natürlich auch, dieses Jahr sogar im Koop mit Freundin oder Freund zusammen, Zeitfahren, Online-Multiplayer, reine Saison etc. Formel-1-Fans kommen voll auf ihre Kosten. Schade: das erste Mal seit langem gibt es keine historischen Boliden mehr.

Schön sind sie allemal, die Boliden der aktuellen Formel-1-Saison.
Screenshot: Codemasters

Dafür sind die aktuellen umso schöner (flüssig läuft es auch, ohne Einbrüche) und fühlen sich besser an. Codemasters hat viel getan, um das Racing noch realistischer zu machen. Windschatten und DRS sind spürbar stärker, während man bei den vergangenen Teilen immer dachte, man mache etwa falsch. Hinzu kommt, dass einige Strecken überarbeitet wurden. Konnte man in den vergangenen Teilen die Variante della Roggia in Monza einfach schneiden, wartet dort nun in der Rechtskurve ein Curb auf einen, der nicht nur das Auto in den Sand katapultiert, sondern dabei auch noch den Unterboden regelrecht massakriert. Aufpassen also. Die Abnutzung der Reifen wirkt sich deutlich spürbarer auf das Fahrverhalten aus und auch das Schadensmodell ist überarbeitet worden. Wer alles auf realistisch einstellt, darf seinen Frontflügel nicht einmal zu lange anschauen, dann fliegt der schon weg. Auf einer Strecke wie Monaco da zu überleben? Viel Spaß!

Aber das muss alles nicht sein. Wie immer, und dieses Jahr sogar noch ausführlicher, kann man sich das Spiel so einstellen, wie man es haben will. Das fängt bei den Kamerapositionen an, geht über die Fahrhilfen bis zu den Karriere-Einstellungen, wie oft ein technischer Defekt auftreten oder wie schnell das Safety-Car auf die Strecke kommen soll. Nimmt man sich die Zeit, dann findet man in den unzähligen Menüs für fast alles seine perfekte Einstellung, herrlich.

Endlich Widerstand

Einstellen kann man auf der Playstation 5 natürlich auch die Adaptiven Trigger des Controllers. Die heben das Spielgefühl wenn man denn mit Pad spielt, nochmal auf eine neue Ebene. Bricht das Auto aus, merkt man das nicht nur an der reinen Vibration des Controllers, sondern auch am Verhalten des Gasfußes, sprich: dem rechten Trigger. Und endlich gibt es nun auch die Möglichkeit, den Widerstand beim Bremsen zu simulieren. Hat man das erlebt, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie es vorher war. Ebenfalls auf der PS5 fantastisch: die (fast) nicht-vorhandenen Ladezeiten.

Wen man sich im "My Team"-Modus ins Team holen will, hängt von den Stats ...
Screenshot: Codemasters
... und dem eigenen Budget ab.
Screenshot: Codemasters

Ein weiteres Highlight, das auch schon genannt wurde, ist mal wieder der "My Team"-Modus. Hier erstellt man sich eine Fahrerin oder einen Fahrer, der oder die gleichzeitig Chef eines neuen Teams ist. Ja, das Gendern ist gewollt, denn ich habe mir im Handumdrehen einen weiblichen Charakter gebastelt, der nun die Formel 1 in Grund und Boden fährt. Während der Saison kümmert man sich dann um die verschiedensten Sachen: Ausbau des Werks, Forschung & Entwicklung, PR-Termine und, und, und. Das ist wunderbar abwechslungsreich, und wer keine Lust auf den ganzen Quatsch hat, der kann das auch alles den Computer übernehmen lassen und nur die Wochenenden fahren (und selbst da kann man simulieren, ja, Monaco, ich meine dich damit). Den zweiten Platz in seinem Team darf man an einen offiziellen Fahrer des Formel-1-Lagers vergeben und hier greift das neue Ranking-System, das die Piloten, wie bei FIFA, mit Werten und Attributen ausstattet. Nettes Feature.

Für Fans ein Muss

Lobend zu erwähnen ist auch die neue KI der Fahrer. Die stecken nun weit seltener bei Zweikämpfen zurück, fighten bis zum Schluss und machen einem vor allem auf den höheren Schwierigkeitsgraden das Leben schwer.

Die KI hält heuer sehr gut mit. Hier in einem durchaus realistischen Duell eines Haas mit den beiden Ferraris.
Screenshot: Codemasters

Alles in allem ist F1 2021 eine konsequente und sinnvolle Weiterführung der Serie. Der "Braking Point"-Modus ist ein netter Zusatz, der für die Zukunft noch viel Potenzial innehält, und darüber hinaus findet man hier wohl das beste Rennspiel des Jahres. Vielfalt der Modi, Fahrverhalten, Schadensmodell, KI: All das ist wirklich super und sucht derweil seinesgleichen im Arcade-bis-hin-zur-Simulation-Racing. Für Fans ein Muss. (Thorben Pollerhof, 18.07.2021)