Moskau sieht sich als Verlierer des europäischen Green Deal.

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Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Klimapolitik veröffentlicht. Die Reaktion aus Moskau erfolgte schnell, und sie ist erwartungsgemäß verärgert ausgefallen. Russlands Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow kritisierte, dass der von der EU vorgeschlagene Mechanismus keinen offensichtlichen Bezug zum Kampf für den Klimaschutz habe. Vielmehr gehe es um Protektionsmaßnahmen, vermutet die russische Regierung.

"Fast eineinhalb Jahre wurde das Projekt ausgearbeitet, unsere EU-Kollegen haben währenddessen der ganzen Welt versichert, dass dabei die WTO-Vereinbarungen in Wortlaut und Geist eingehalten werden. Doch heute besteht dazu kein Vertrauen", sagte Reschetnikow. Das Strategiezentrum seines Ministeriums hat bereits mögliche Klagen vor der WTO vorbereitet.

Großer Verlierer

Russland sieht sich als einer der größten Verlierer des Green Deal der EU und schließt nicht aus, rechtlich gegen die neuen Bestimmungen vorzugehen. Allerdings ist auch Moskau klar, dass Klagen langwierig sind und die Erfolgsaussichten vage. Verhandlungen sind vielleicht das probatere Mittel.

Ziel der Kritik ist der Carbon Border Adjustment Mechanism – kurz CABM oder auf Deutsch CO2-Grenzsteuerausgleich. Damit will die EU Importe aus Ländern, die weniger strengen Klimaschutz betreiben, mit Abgaben belegen.

Nach Berechnungen des russischen Wirtschaftsministeriums kostet die Einführung der CO2-Grenzsteuer Russland 7,6 Milliarden Dollar. Das liegt eher an der unteren Grenze der zuvor von der Consultingagentur KPMG gemachten Berechnungen. Diese hatte in drei Szenarien die Kosten für Russland bis 2030 auf 6,6 Milliarden bis 50,6 Milliarden Euro taxiert.

Metallbranche leidet

Dabei entsprechen die Bedingungen eher dem 33 Milliarden Euro teuren Basisszenario von KPMG, wenn der CBAM 2023 eingeführt wird. "Dieses Szenario ist auch noch aktuell, wenn die Regulierung auf andere Sektoren ausgeweitet wird", betonte Igor Koretezki, Partner bei KPMG für nachhaltige Entwicklung, gegenüber dem STANDARD.

In der derzeitig auf einige Branchen beschränkten Variante sieht er Kosten von jährlich 2,5 Milliarden Euro auf Russland zukommen. Allerdings sei es jetzt wichtiger, zu verstehen, welche Kosten für die einzelnen Unternehmen entstehen, fügte Koretezki hinzu.

Tatsächlich wird derzeit besonders die Metallbranche in Mitleidenschaft gezogen: Stahl und Aluminium sind besonders energieintensive Produktionen, und in beiden Sektoren ist die EU ein Großabnehmer für die russischen Konzerne. 2020 exportierte Russland trotz Pandemie drei Millionen Tonnen Walzstahl und 1,8 Millionen Tonnen Aluminium in die EU. Bei zwei Tonnen CO2, die bei der Stahlproduktion ausgestoßen werden, und gar vier Tonnen bei der Alu-Produktion sind das 300 Millionen für die Stahlbarone und 355 für die Alu-Industrie.

Der größte Alu-Produzent des Landes, der mit dem Österreich-affinen Oligarchen Oleg Deripaska verbundene Konzern Rusal, ist daher ein klarer Gegner des CBAM. Man sei in der Situation solidarisch mit dem europäischen Aluminiumverband, der sich gegen die Grenzsteuer ausgesprochen habe. "Wir meinen, dass die Einführung der Zölle automatisch zu einer Verteuerung des Durchschnittspreises für Aluminium auf dem Markt führt", sagte ein Rusal-Sprecher.

Unzufriedene Industrie

Neben dem Metallurgiesektor trifft es in der ersten Welle auch die Baubranche – vor allem Zementhersteller –, die Düngemittelindustrie und Stromproduzenten aus Russland. Unzufriedenheit gibt es daher in weiten Teilen der Industrie. Der Chef des Industriellenverbands, Alexander Schochin, bezeichnete den CBAM-Vorschlag aus Brüssel als Versuch, den Emissionshandel auszuweiten und damit "faktisch anderen Ländern die regulatorischen Praktiken der EU aufzuzwingen". Dieser Ansatz widerspreche total den Prinzipien, die im Pariser Klimaschutzprotokoll niedergelegt worden seien, so Schochin.

Prinzipiell ist der Kreml dabei durchaus gewillt, beim Umweltschutz mitzumachen: Ein Programm zur Verbesserung der Luftqualität ist aufgelegt. Wladimir Putin hat sich zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt. Beim Petersburger Wirtschaftsforum forderte er seine Untergebenen auf, einen Plan zur "Dekarbonisierung der Wirtschaft" aufzustellen und bis 2050 die Emissionswerte auf ein Niveau unterhalb der EU-Werte zu drücken.

Harmonisierung der Umweltpolitik

Doch dazu dürfe es kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander geben, meint Fares Kilzie, Vorstandsvorsitzender der Investmentgesellschaft Creon Group. Mit der sturen Einführung des CBAM werde Russland nicht nur "die Mehrausgaben auf seine EU-Exporte aufschlagen", was dort die Preise und Inflation befeuern werde, sondern "im Gegenzug alle europäischen Produkte besteuern, die in den eurasischen Wirtschaftsraum geliefert werden", vermutet er.

Kilzie schlägt daher eine Harmonisierung der europäischen Umweltpolitik mit Russland vor. "Klimaschutz ist ein globales Anliegen, der Green Deal sollte daher auf den eurasischen Wirtschaftsraum und alle Partnerländer erweitert werden, um Kosten und Risiken gemeinsam gerecht aufzuteilen und auch Anreize gemeinsam zu setzen, sagte er dem STANDARD.

Ähnlich argumentiert die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK). Klimaschutz funktioniere nur in Kooperation. Dies sei durch die gegenseitige Anerkennung von CO2-Zertifikaten, aber auch die Zusammenarbeit bei der Erschließung umweltfreundlicher Technologien möglich. Gerade bei der Produktion von Wasserstoff sieht die AHK enormes Zukunftspotenzial für eine Kooperation. (André Ballin aus Moskau, 16.7.2021)