Jainismus ist dem Hinduismus und Buddhismus verwandt. Mitglieder dieser Religion folgen Speisevorschriften, die zu den strengsten gehören müssen, die sich Menschen ausgedacht haben. Als strikte Anhänger des indischen Prinzips der Gewaltlosigkeit ist es ihnen verboten, Tiere zu essen – nicht nur große, sondern auch ganz kleine, weswegen Jains mitunter Atemschutzmasken tragen, um keine Fliegen zu verschlucken.

Strenge Jains essen kein Wurzel- und Knollengemüse1, weil aus diesem neues Leben wächst (und natürlich keine Eier), und verzichten auf Früchte, die besonders viele Samen haben, wegen des großen Potenzials, das in ihnen steckt. Zwiebel und Knoblauch sind damit ebenso tabu wie Feigen. Und zu gewissen Zeiten ist sogar Blattgemüse tabu2.

Jains essen und trinken zwar Milchprodukte3, Joghurt wird aber nur sehr frisch genossen, damit möglichst wenige Mikroorganismen zu Schaden kommen, und Käse, soweit ich weiß, nur in Form von Paneer, Frischkäse. Vergorenes wie Sauerteigbrot ist ebenso untersagt wie Alkohol.

Lauki Kofte, Okra mit Joghurt, Paneer in Cashewsauce.
Tobias Müller

Ich finde das höchst faszinierend. Erstens, weil Jains, nach allem, was ich über sie weiß, trotzdem keine Genussfeinde sind – gutes Essen hat seinen Stellenwert und seine Berechtigung4 für sie. Und zweitens, weil sie in dieser Art zu Kochen schon über zweitausend Jahre Erfahrung haben- jede Menge Zeit, um sich mit Bohnen, Linsen und Co zu beschäftigen. Wenn ein(e) Jain kochen kann und Hülsenfrüchte kocht, dann kann das was.

Auf meiner ersten und bisher einzigen Indienreise war ich leider recht erfolglos darin, ein vernünftiges Jain-Restaurant zu finden – ich schätze, unter anderem weil Indien zwar viel Straßenessen, aber keine große Restaurant-Tradition hat. Richtig gut isst man hier tendenziell nur zu Hause, und in ein Jain-Zuhause habe ich es in Indien leider nicht geschafft.

Jain-Glück in Wien

Dafür habe ich nun viele Jahre später in Wien Glück gehabt: Simran Sadiora war so nett, für ein paar Glückliche, darunter ich, ein Jain-kompatibles Festessen zu kochen. Simran stammt ursprünglich aus dem Punjab und lebt nun in Wien, weil ihr Mann bei der Uno arbeitet. Sie ist selbst keine Jain, aber begeisterte Köchin, hat Jain-Freunde und lässt sich gern auf Herausforderungen ein. Ihr Menü war mit großem Abstand das beste indische Mahl, das ich je essen durfte, und ganz generell eines der besten Essen der vergangenen Jahre.

Wir haben geschlemmt: Dohkla, einen fantastischen Kichererbsen-Linsenkuchen mit sandkuchenartiger Konsistenz, gewürzt mit Senfsamen, Koriander, frittierten Curryblättern; Dhahi Balla, ein fluffiger Linsenteig, der unter einer Sauce aus Joghurt begraben und dann noch mit wahlweise Tamarinden- und Korianderchutney gewürzt wurde, subtil, erfrischend, gut; schwarze Kichererbsen, trocken geröstet mit Garam Masala und Paprika, süchtigmachend; und knusprige Papadons aus Kichererbsenmehl.

Dhali Balla mit voller Garnitur und Papadon.
Tobias Müller

Es gab Paneer in Cashewnuss-Sauce (cremig, intensiv, bestes Paneer-Gericht ever), Okra mit Joghurtsauce (knackig, erfrischend, kräftig nach Okra schmeckend) und Lauki Kofte, kleine Bällchen aus Kichererbsenmehl und geriebenem Flaschenkürbis, mit ganz eigener, elastischer Konsistenz. Zum Abschluss hat Simran dann noch ein selten prächtiges Malai Ghevar serviert, einen Olymp der indischen Dessert-Tradition, Blattgold inklusive.

Tobias Müller

Das alles war aufregend, aber immer balanciert, befriedigend, aber nie schwer, ein Fest der Konsistenzen und Gewürze. Das liegt sicher daran, dass Simran eine außergewöhnlich gute Köchin ist. Es zeigt aber auch, was man innerhalb scheinbar sehr enger Grenzen Großes machen kann.

Simran hat mir einige ihrer Rezepte geschickt. Hier folgen zwei, die mir besonders gut gefallen haben: das Dhokla als Vorspeise und die Flaschenkürbis-Bällchen als Hauptgang – weil es jede Menge frittierte Bällchen jenseits der Falafel gibt.

Prächtige(s) Malai Ghevar.
Tobias Müller

Keine Angst vor der langen Zutatenliste – sie sollten alle in einem gut sortierten Asialaden erhältlich sein. Simran kauft gerne bei bei Mulackal auf der Laxenburgerstraße oder bei Prosi ein, frisches indisches Gemüse (in Italien angebaut) bezieht sie unter anderem bei Singhs Grocery in der Brunnengasse, bei der grandiosen Gärtnerei Bioschanze oder online bei Dhokla.

Rezept für Dhokla

Süchtigmachender würziger Kichererbsenkuchen

Dhokla mit Tempering.
Tobias Müller

Für den Teig

  • 140 g schwarzes Kichererbsenmehl (Achtung: Mehl ist trotzdem gelb)
  • 2 Esslöffel Grieß
  • 1 grüne Chili (fein gehackt)
  • 1 Prise Asafoetida** (Kennen Sie nicht? Lohnt sich, das zu ändern!)
  • 70 ml Joghurt
  • 2 Esslöffel Pflanzenöl
  • 1 Teelöffel Zucker
  • ½ Teelöffel Salz
  • 250 ml Wasser
  • ½ Teelöffel Eno-Fruchtsalz oder Backpulver

Für das Tempering (Tempering ist eine Kochtechnik, bei der Gewürze gebraten und dann am Schluss über das fertige Gericht geschüttet werden, Anm.)

  • 2 Esslöffel Öl
  • ½ Teelöffel Kreuzkümmelsamen
  • 1 Teelöffel Senfkörner
  • 1 Esslöffel Sesam
  • 8 Curryblätter
  • 1 Prise Asafoetida
  • 1 Chili
  • ¼ Tasse Wasser
  • 1 Esslöffel Zucker
  • ¼ Teelöffel Salz oder nach Geschmack
  • 1 Teelöffel Zitronensaft
  • 2 Esslöffel grüner Koriander (frisch gehackt)

Tamarinden-Chutney

  • 100 g Tamarinde ohne Samen
  • 100 g kernlose Datteln
  • 100 g Zuckerrohr-Jaggery oder unraffinierter brauner Zucker
  • 2½ Tassen Wasser
  • ½ Teelöffel Fenchelpulver
  • ½ Teelöffel Kreuzkümmelpulver
  • 1 Teelöffel Korianderpulver
  • 1 Teelöffel kashmirisches rotes Chilipulver
  • 1 Teelöffel Salz

Für das Chutney Tamarinde, Datteln und Zuckerrohr-Jaggery in einen großen Topf geben und mit dem Wasser begießen. Zum Kochen bringen und 15–20 Minuten auf kleiner Flamme köcheln lassen.

Gewürze zugeben, von der Hitze nehmen und auskühlen lassen. Datteln entfernen und Chutney pürieren und durch ein Sieb passieren.

Für das Dohkla Kichererbsenmehl, Grieß, Chili, Zucker, Asafoetida und Joghurt in einer Schüssel mischen. Wenn alles gut verbunden ist Öl, ½ Salz und Wasser zugeben. Mit einem Schneebesen gut verrühren und sicherstellen, dass alles gut vermischt ist, dann Fruchtsalz oder Backpulver zugeben und vorsichtig verrühren, bis es beginnt, zu sprudeln.

Den Teig sofort in eine gefettete Form gießen und im Dampfgarer oder Dämpfeinsatz über sprudelnd kochendem Wasser zehn Minuten dämpfen.

Inzwischen das Tempering vorbereiten. Öl erhitzen und Kreuzkümmel, Senfsaat, Sesam, Asafoetida, Chili und die Curryblätter kurz darin braten.

Während die Gewürze brutzeln, Wasser, Zucker, Salz und Zitronensaft zugeben. Einmal aufkochen lassen.

Dhokla auf einem tiefen Teller anrichten und die Temperingmischung darübergießen, sodass sie von den Dhokla gut aufgesogen wird. In Stücke schneiden und mit zwei Esslöffeln frisch gehacktem grünen Koriander garnieren.

Mit Tamarinden-Chutney servieren.

Rezept für Lauki Kofte

Vielleicht die besten frittierten Bällchen, die ich je essen durfte.

Links Lauki Kofte, rechts Okra mit Joghurtsauce.
Tobias Müller

Für die Bällchen

  • 1 mittelgroßer Lauki (Flaschenkürbis)
  • 35 g Kichererbsenmehl
  • ¼ Teelöffel Garam-Masala-Pulver (Simran macht es selbst, zum Kaufen empfiehlt sie Babettes)
  • ½ Teelöffel rotes Chilipulver aus Kaschmir
  • 2 Esslöffel Maismehl
  • Salz zum Abschmecken
  • Öl zum Frittieren

Für die Sauce

  • 2 Teelöffel Öl
  • 3 gehackte Tomaten
  • 12 Cashews
  • 1 Teelöffel rotes Kashmiri-Chilipulver
  • 1 Teelöffel Korianderpulver
  • 1 Teelöffel Garam-Masala-Pulver (selbstgemacht oder Babettes)
  • ¼ Tasse Joghurt
  • 1 Esslöffel Korianderblätter (fein gehackt)
  • Salz zum Abschmecken

Flaschenkürbis schälen und grob raspeln. Salzen, 20 Minuten ziehen lassen und dann gut ausdrücken. Möglichst viel Wasser entfernen. Gewürze und Kichererbsenmehl zugeben und gut mischen.

Öl zum Frittieren in einem schweren Topf erhitzen. Etwa vier Zentimeter dicke Bällchen formen. Mit Maismehl bestäuben, knusprig frittieren und beiseitestellen.

Für die Sauce das Öl erhitzen. Tomaten, Kurkuma, Chili, Koriander, Cashews und Salz zugeben und köcheln, bis es etwas eindickt. Von der Hitze nehmen. Joghurt und Garam-Masala-Pulver einrühren.

Sauce über die gebratenen Koftas gießen, mit frisch gehacktem grünen Koriander garnieren und servieren. (Tobias Müller, 18.7.2021)

Kofte im Wok.
Tobias Müller