Im beliebten Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf (im Bild das Amtshaus) soll eine Frau zwei Jahre lang von ihrem Ehemann misshandelt worden sein. Die 23-Jährige bestreitet das allerdings.

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Wien – Dass der Prozess gegen Mohamed B. interessant zu werden verspricht, erkennt man bereits vor dessen Beginn. Denn zwei wartende Zeuginnen im Gang vor dem Verhandlungssaal 201 tragen lautstark einen Konflikt aus, der kurz auch körperlich zu werden droht – wie sich herausstellt, handelt es sich bei den Streitparteien um die Ehefrau des Angeklagten und deren Mutter.

Der Grund der Auseinandersetzung ist die offenbar etwas vertrackte Familiensituation: Die Mutter hat nämlich ihren Schwiegersohn angezeigt und behauptet, er schlage seit zwei Jahren teils wöchentlich, teils monatlich ihre Tochter. Neben diesem Anklagepunkt der fortgesetzten Gewaltausübung wird dem 36-jährigen Algerier auch vorgeworfen, am 12. August des Vorjahres ein Päckchen mit zehn Gramm Cannabiskraut über die Mauer der Justizanstalt Hirtenberg geworfen zu haben, um Insassen mit Rauschmittel zu versorgen.

Telefonterror bei Verteidiger

Zu beiden Anklagepunkten bekennt sich der zweifach Vorbestrafte nicht schuldig. "Fakt ist, dass die Schwiegermutter ihn hasst", erklärt Verteidiger Mirsad Musliu in seinem Eröffnungsplädoyer. "Ich kenne die Gattin, weil sie mich ständig am Telefon terrorisiert, wenn ihr Mann in Haft ist. Sie ist keine Frau, die sich leicht einschüchtern lässt", schildert er aus dem Arbeitsalltag eines Anwalts.

Diese tiefgehende Abneigung sei auch der Hintergrund der Sache in Hirtenberg: In diesem Gefängnis sei damals nämlich der Lebenspartner der Schwiegermutter eingesessen. Musliu stellt in den Raum, dass die Alufolie, in die das Cannabis eingewickelt gewesen sei und auf der ein Daumenabdruck von B. gefunden wurde, zwar aus dessen Wohnung stammen könnte, aber von der Schwiegermutter benutzt wurde. Außerdem wäre es absurd, wenn sein Mandant die zehn Gramm leugnen würde, da er nächste Woche eine Verhandlung am Bezirksgericht über 80 Gramm habe, deren Verkauf er gesteht.

"Ich schlage meine Ehefrau nicht, ich liebe sie!"

"Ich schlage meine Ehefrau nicht, ich liebe sie!", lässt B. übersetzen. "Wir führen ein ganz normales Leben. Wir haben drei Kinder!", verrät er. "Und warum hat eine Polizistin gesehen, dass Ihre Gattin Striemen auf der Nase und blaue Flecken auf den Oberarmen hatte?", fragt Richterin Tea Krasa. Der Angeklagte hat keine Ahnung, von ihm würden sie jedenfalls sicher nicht stammen.

Bevor die Hirtenberger Affäre besprochen werden kann, ersucht eine Dolmetscherin im Saal die Richterin, vor diesem vor Ruhe zu sorgen. Denn durch die geschlossene Türe ist deutlich zu hören, dass Mutter und Tochter auf dem Gang noch immer in Rage sind. Verteidiger Musliu schreitet als Schiedsrichter ein und schickt die Gattin seines Mandanten ums Eck, damit sie ihre Blutsverwandte nicht mehr sehen muss.

Zur angeblichen Drogenlieferung befragt, erklärt B., er sei es nicht gewesen. Die Justizanstalt kennt er, da er dort bereits Zeit verbrachte. "Dort sind überall Kameras! Wenn ich drauf bin, gibst du mir fünf Jahre!", bietet er der Richterin eine Sichtung der Aufnahmen an. Die lehnt höflich ab, die Filme wurden offenbar schon ohne Ergebnis geprüft.

Angebliche Drohung durch die Mutter

Dann wird der in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte in den Nebenraum geführt, da seine Gattin unbeeinflusst aussagen können soll. Die 23-jährige Slowakin sieht für die Maßnahme eigentlich keinen Grund. Ihr Mann habe sie noch nie geschlagen, man führe eine gute Ehe, sagt die Reinigungskraft. Ihre Mutter habe sie dagegen kurz vor der Anzeige aufgefordert, sich von B. zu trennen, da sie ihn sonst "fertigmachen" würde.

"Und woher stammen die Verletzungen, die die Polizistin gesehen hat?", fragt die Richterin die Zeugin. "Ich wollte an dem Tag einen Koffer vom Schrank holen, dabei ist eine Vase umgefallen und hat mich getroffen", behauptet die Frau. Blaue Flecken habe sie nicht gehabt. "Sind Sie immer so angezogen?", fragt der Verteidiger und spielt damit auf das Kopftuch und das langärmelige Oberteil der Zeugin an. Sei sie, bestätigt die Frau.

Emotionale Zeugin

Nach Frau B. erscheint deren 42 Jahre alte Mutter. "Sie ist meine Tochter, ich habe sie großgezogen. Ich will sie nicht tot finden!", beginnt sie ihre Aussage schluchzend. Immer wieder habe ihre Tochter sie weinend angerufen und von Schlägen durch den Ehemann berichtet, behauptet diese Zeugin. Einmal, vor etwa zwei Jahren, als Frau B. schwanger gewesen sei, habe sie selbst einen Angriff erlebt. "Ich bin mit einer Freundin in der Küche gesessen, als wir gehört haben, wie der Angeklagte im Nebenraum auf meine Tochter eintritt. Wir sind rübergerannt und haben es beide gesehen", stellt die Frau in den Raum.

Als die Staatsanwältin die Mutter nach dem Namen dieser Freundin fragt, zögert sie. "Ich möchte ihn nicht sagen. Der Angeklagte hat sie auch bedroht", behauptet sie zunächst. Dann nennt sie einen Vornamen, den Nachnamen kenne sie nicht. Wie alle Beteiligten wohne auch diese angebliche Augenzeugin in Wien-Floridsdorf, eine genaue Adresse kenne sie aber ebenso wenig wie einen Arbeitsplatz, bedauert die Mutter

"Lieben Sie Ihre Tochter?", fragt Verteidiger Musliu die Zeugin. "Ja." – "Haben Sie Angst um sie?" – "Ja." – "Wann haben Sie erstmals die angebliche Gewaltausübung bemerkt?" Die Zeugin weicht zunächst aus, dann legt sie sich auf 2019 fest. "Und warum warten Sie dann zwei Jahre mit einer Anzeige?", wirft der Anwalt der Frau an den Kopf. Die bricht daraufhin wieder in Tränen aus und antwortet schließlich. "Weil mir meine Tochter gesagt hat, ich solle mich nicht einmischen, und alles werde wieder gut."

Angeblich im Pyjama zur Polizei

"Entschuldigung, Sie haben gerade erstmals gesagt, dass der Angeklagte auf Ihre schwangere Tochter eingetreten haben soll! Warum haben Sie das bei der Polizei nicht erwähnt?", fährt Musliu fort. "Ich war gestresst. Ich bin damals im Pyjama zur Polizei gerannt, da der Angeklagte mich auch schlagen wollte!" – "Davon haben Sie aber auch nichts gesagt!" – "Vielleicht haben die Polizisten nicht alles aufgeschrieben?", vermutet die Zeugin.

Am Ende tritt die Polizistin, die die Verletzungen bemerkt hat, auf. "Die Geschichte war die, dass die Mama zur Polizei gekommen ist und das angezeigt hat. Sie hat versprochen, uns anzurufen, wenn der Angeklagte und seine Frau daheim sind. Dieser Anruf ist aber nie gekommen." Also sei sie am nächsten Tag zur Wohnung der B.s gefahren. "Die Frau trug normale Kleidung, daher konnte ich die Hämatome am Oberarm sehen", behauptet die Beamtin.

Polizistin mit mäßigem Interesse

"Hat die Frau gesagt, wie es zu den Verletzungen im Gesicht gekommen ist?", interessiert die Richterin. "Sie hat zuerst gesagt, ihr sei ein Koffer draufgefallen, danach, es sei eine Vase gewesen. Die wollte sie mir auch zeigen, ich war aber nicht daran interessiert", offenbart die junge Polizistin ein überraschendes Amtsverständnis. Noch etwas hat sie nicht in ihren Bericht geschrieben: "Die Frau hat mir gesagt, sie sei früher geschlagen worden, da sie nicht arbeiten gehen wollte, aber jetzt glücklich ist", offenbart die Polizistin. "Wieso steht das nirgends?", wundert der Verteidiger sich. Die im Saal verbliebene Frau B. widerspricht dieser Aussage. "Das stimmt nicht!", ruft sie.

Da für das Cannabis in Hirtenberg ein Zeuge urlaubsbedingt fehlt, wird dieses Faktum ausgeschieden und soll am Bezirksgericht verhandelt werden. Vom Vorwurf der fortgesetzten Gewaltausübung spricht Krasa B. dagegen frei. Sie könne schlicht nicht feststellen, ob es Gewalt gegeben habe, daher könne sie ihn nicht verurteilen, stellt die Richterin klar. Da die Staatsanwältin keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 18.7.2021)